Dienstag, Oktober 22

Der Serbe ist unbestritten der beste Tennisspieler der letzten Jahre, trotzdem kämpft er weiterhin um Akzeptanz – auch in Wimbledon. Warum eigentlich?

Der Tennissport lebt von einer Atmosphäre, die freundlicher und gepflegter ist als jene in den meisten anderen Sportarten. Es gibt kaum Probleme mit rassistischen Zuschauern oder handgreiflichen Auseinandersetzungen. Noch nie ist während eines Matchs eine Banane auf den Court geflogen, wie das im Fussball früher bisweilen der Fall war.

Speziell in Wimbledon wird der Anstand extrem hochgehalten. Der Sicherheitsmann bei der Eingangskontrolle fragt höflich «May I?», «Darf ich?», ehe er den Reissverschluss der Laptop-Tasche zur Kontrolle öffnet. Ist die Überprüfung vorüber, dann wünscht er einem nicht einen «nice», sondern einen «lovely» day.

Und doch, ganz entziehen kann sich Wimbledon den verrohenden Umgangsformen nicht. Die Zuschauerinnen und Zuschauer freuen sich auch hier über Fehler eines unbeliebten Spielers und bejubeln vor allem britische Athleten. Das Publikum zeigt offen, wen es mag und wen weniger.

Gemessen an der Popularität immer noch hinter Federer und Nadal

Novak Djokovic ist siebenfacher Sieger des wichtigsten Tennis-Anlasses im Kalender. Mit 24 Major-Titeln ist er der erfolgreichste Spieler der Geschichte. Letztmals gewann er den Titel im All England Lawn Tennis Club 2021. Mit einem achten Sieg am diesjährigen Turnier könnte er mit Roger Federer gleichziehen. Doch misst man die Grösse eines Spielers an der Popularität, dann ist er weiterhin weit vom Baselbieter und dessen ewigem Rivalen Rafael Nadal entfernt.

Djokovic ist 37 Jahre alt. Wie lange er noch auf der Tour bleibt, weiss er wohl selbst nicht. 2024 ist bisher noch nicht sein Jahr. Gleich am ersten wichtigen Turnier, dem Australian Open in Melbourne, erlitt er im Halbfinal gegen Jannik Sinner eine seiner seltenen Niederlagen. Der erst 22-jährige Südtiroler hat ihn mittlerweile an der Weltranglistenspitze abgelöst. Bei Saisonhälfte wartet Djokovic noch immer auf den ersten Titel im laufenden Jahr.

Zuletzt stoppte ihn im Viertelfinal von Roland-Garros weniger der norwegische Gegner Casper Ruud als eine Knieverletzung. Im Match zuvor hatte Djokovic sich einen Meniskus-Anriss zugezogen und musste aufgeben. Er unterzog sich einem Eingriff und war rechtzeitig für Wimbledon zurück auf dem Court. Prompt entstand das Gerücht, die Operation habe gar nicht stattgefunden, sondern sei ein blosses Ablenkungsmanöver des Serben gewesen.

Novak Djokovic - "My favourite tennis wall"

Djokovic bleibt ein Verdächtiger

Das war absurd. Und doch traute es die Öffentlichkeit Djokovic zu, selbst eine Operation zu erfinden, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Weshalb immer ihm? Kaum ein anderer Tennisspieler sieht sich mit so vielen Vorbehalten und Vorurteilen konfrontiert wie er. Egal, wie viele Turniere Djokovic noch gewinnt – für viele Beobachter bleibt er ein Verdächtiger und Mysterium.

Aus Djokovics Umfeld gab es auch schon Vorwürfe, er werde vom Publikum schlecht behandelt, weil er aus dem ehemaligen Jugoslawien stamme. Djokovic selbst weist immer wieder auf seine Geschichte hin, in der er inmitten des ersten Balkankrieges versucht hatte, seine Karriere als Tennisspieler voranzutreiben. Vor sechs Jahren führte er seine Anhänger in einem Youtube-Video zu jener Wand im serbischen Hinterland, gegen die er die ersten Tennisbälle geschlagen hatte. Sie ist übersät von Granateinschlägen, ein Zeugnis des gewalttätigen Befreiungskampfs seiner Heimat. Die Wunden der Auseinandersetzungen sind in der Region nicht verheilt.

Am Montag, im Achtelfinal gegen Holger Rune, holte Djokovic die Ablehnung des Publikums wieder ein. Der Grossteil der Zuschauer stellte sich demonstrativ hinter den Dänen. Auch der ist beim Publikum kein Sympathieträger und sorgt auf und neben dem Platz immer wieder für Kontroversen. Nach einem verpatzten Start, in dem Rune die ersten zwölf Punkte in Serie abgab, bejubelten die Zuschauer jeden seiner gewonnenen Ballwechsel frenetisch. Djokovic hingegen buhten sie aus, der reagierte beleidigt.

«Ihr könnt mich nicht aus der Reserve locken»

Im Platzinterview nach dem Match sagte er: «Danke an all jene Fans, die Respekt haben. An alle anderen, die sich respektlos gegenüber mir zeigen, wünsche ich eine ‹Guuuuuuute Nacht›.» Djokovic spielte damit auf die «Ruuuuuuuune»-Rufe an, die er als Buhrufe gegen sich interpretierte. Als der Interviewer sagte, diese Zuschauer hätten doch nur Rune angefeuert, widersprach Djokovic. «Nein, sie haben sich mir gegenüber respektlos verhalten. Und das akzeptiere ich nicht. Ich bin seit über 20 Jahren auf der Tour, ich kenne jeden Trick.» Er halte sich an all jene, die Tickets kauften und an den Match kämen, um das Tennis zu geniessen, sagte Djokovic: «Allen anderen sage ich: ‹Ihr könnt mich nicht aus der Reserve locken.› Ich habe in feindlicheren Atmosphären gespielt als in dieser hier.»

Djokovic gegen den Rest der Welt. Das ist eine Rolle, in die sich der Serbe immer wieder gedrängt sieht, die er zuweilen aber auch selber sucht. Zuweilen scheint es, als könne er aus diesem Kampf Kraft schöpfen. Wimbledon mit dem fachkundigen Tennispublikum war bisher relativ gemässigt. Schlimmer sind die Auswüchse in Roland-Garros oder am US Open, wo die Zuschauer stärkeren Einfluss auf das Spiel zu nehmen versuchen und dabei die Grenzen der Fairness immer wieder überschreiten.

Speziell störend war das im Final des US Open 2015, dort liessen die amerikanischen Zuschauer keinen Zweifel daran, dass sie Roger Federer mit dem Siegerpokal sehen wollten. Djokovic gewann trotzdem in vier Sätzen und sagte nach dem Match, er habe versucht, die «Roger, Roger»-Rufe innerlich in «Novak, Novak»-Rufe umzuwandeln.

Dieses Jahr in Wimbledon ist Djokovic weiterhin auf Kurs zum achten Titel, dem 25. Major-Sieg seiner Karriere. Sein nächster Gegner ist im Viertelfinal vom Mittwoch der Australier Alex de Minaur. Auch während dieses Spiels wird Djokovic einen beträchtlichen Teil des Publikums gegen sich haben.

Djokovic sagte dazu: «So ist es nun einmal. Das gehört zum Sport und ist wohl auch ein Grund dafür, warum wir hier sind und weltweite Beachtung finden.» Die Zuschauer stünden lange an, um Tickets zu erstehen. «Sie erkaufen sich damit wohl auch das Recht darauf, zu äussern, wen sie gewinnen sehen möchten. Ich versuche das zu respektieren.» Es waren versöhnliche Worte nach einem emotionalen Abend.

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