Donnerstag, Oktober 10

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Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat beim Staatsbesuch in der Türkei einen Dönerspiess grilliert und damit eine Debatte ausgelöst. Was macht den Döner Kebab so erfolgreich? Eine kulinarische Lesung.

«Mit oder ohne Scharf?»

«Einmal mit allem, bitte.»

Dann gilt es, schnell die Alufolie abzureissen. Das fettige, würzige Fleisch zu kosten. Die Zwiebel, die Tomate, den knackigen Salat. Im ersten Biss entfaltet sich der Heisshunger, die Vorfreude auf das herzhafte Essen. Der erste Biss ist besser als der Rest.

Der Döner Kebab ist das bekannteste Gericht der türkischen Küche und der wohl beliebteste Imbiss überhaupt. In Deutschland, in der Schweiz, in Europa. Doch seit dieser Woche ist der Döner Kebab auch ein deutsch-türkisches Reizthema. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier brachte zum Staatsbesuch in der Türkei einen 60 Kilogramm schweren Dönerspiess mit. Steinmeier habe Klischees bedient, sagten die einen. Ein Zeichen der deutsch-türkischen Freundschaft, meinten die anderen.

Doch was ist der Döner Kebab eigentlich? Eine Beleidigung der türkischen Küche? Oder Symbol einer erfolgreichen Integration von Einwanderern?

Eine Berliner Erfindung – aber von wem?

Vor zwei Jahren feierte Deutschland den 50. Geburtstag des Döner Kebab. Es gab Veranstaltungen und Zeitungsartikel. Und ein Buch ist erschienen, der deutsche Journalist Eberhard Seidel hat es geschrieben, es heisst «Döner. Eine deutsch-türkische Kulturgeschichte».

Wo, wie und wann der Döner erfunden wurde, ist umstritten. Was sicher ist: Der Döner ist Doppelbürger: Türke und Deutscher.

Ende des 19. Jahrhunderts soll ein Mann aus Kastamonu, einer Stadt im Norden der heutigen Türkei, Fleisch an einem senkrechten Spiess grilliert haben. Das Fleisch war so gut, dass die Art der Zubereitung in der gesamten Region bekannt wurde. Der Döner wurde allerdings nicht im Brot, sondern auf dem Teller serviert. In der Türkei ist das bis heute die gängige Art, einen Döner Kebab zu essen.

In den 1970er Jahren wurde der Döner Kebab in Berlin ein zweites Mal erfunden. Diesmal im Brot, zum Mitnehmen. Mit Salat, Zwiebeln und viel Sauce. Zu dieser Zeit lebten in Westberlin 40 000 Menschen aus der Türkei. Sie waren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Einige von ihnen waren arbeitslos oder wollten sich selbständig machen, um Verwandten aus der Türkei Arbeit zu verschaffen. Einer der Einwanderer hat als Erster einen deutschen Döner verkauft. Über den Rest lässt sich mutmassen.

Es heisst, dass die erste Dönerbude vielleicht am Kottbusser Damm im Berliner Stadtteil Kreuzberg eröffnet wurde. Oder am Kurfürstendamm, beim Zoo. Sicher ist: Der Döner zum Mitnehmen wurde schnell populär. Zuerst in Berlin, dann in ganz Deutschland und Europa.

Dem Döner wird nachgesagt, ein Integrationstreiber zu sein. Der Autor und Döner-Experte Eberhard Seidel schreibt in seinem Buch: «Nicht in den Volkshochschulkursen und an den Stätten der Hochkultur, sondern an der Imbissbude kamen Hans und Mustafa ins Gespräch, reiften die Pläne für die erste Türkeireise, wurden die ersten Worte Türkisch gelernt.»

In der «Zeit» schrieb Seidel 1996 einen Artikel über den Döner. Darin hiess es, dass ein Fernsehreporter einen Tag nach dem Mauerfall im November 1989 einen DDR-Bürger gefragt habe, was er bei seinem ersten Ausflug in den Westen gemacht habe. Der Junge habe geantwortet: «Kebab gegessen.»

Heute ist der Döner das deutsche Fast-Food-Nationalgericht. Und es ist klar definiert, was drin sein darf. In den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft besteht das «Fleischerzeugnis Döner Kebab» aus «grob entsehntem Schaf-, Rind- oder Geflügelfleisch». Die Definition sollte den Döner Kebab in den 1980er Jahren vor dem Qualitätszerfall retten. Denn statt aus gestapelten Fleischscheiben wurde er immer öfter aus Pressfleisch hergestellt – mit Geschmacksverstärkern.

In Deutschland gibt es mittlerweile 18 000 Dönerläden, allein in Berlin sind es 1600. Laut dem «Verein türkischer Dönerhersteller in Europa» machen die Dönerläden Deutschlands jährlich über 2 Milliarden Euro Umsatz. Andere schätzen die Zahl noch höher.

Mehr als ein fettiges Essen

Doch der Döner ist in Deutschland längst mehr als ein fettiges Essen für unterwegs: Der Döner gehört zur deutschen Kultur. Das zeigt etwa der Erfolg eines Schlagerlieds von Tim Toupet aus dem Jahr 2008. Die Textzeile «Ich hab ’ne Zwiebel auf’m Kopf, ich bin ein Döner, denn Döner macht schöner» wurde im deutschsprachigen Raum berühmt. «Baguette macht fett, Sushi macht wuschi, Pizza macht spitza, aber Döner macht schöner», singt Toupet. Das Lied erreichte in den deutschen Single-Charts Platz acht. Und wird in einschlägigen Bars und Klubs noch immer gegrölt.

Der Weg zum nächsten Döner ist meistens kurz. Dönerbuden stehen in Deutschland, aber auch in der Schweiz, an jeder Ecke. Sie sind ein Fixpunkt in den Quartieren der Städte und auch an den kleinen Bahnhöfen in der Provinz. Und jeder weiss, wo es den besten gibt.

Auf den Dönerladen ist Verlass. Er hat dann noch offen, wenn alle anderen Imbisse oder Restaurants längst geschlossen sind. Man sieht dann von weitem die erhoffte Leuchtschrift über dem Laden: «Imbiss Döner Pizza Burger».

Der Döner ist Fast Food, ist Kultur – und sein Preis ist eine Messgrösse für die Wirtschaftslage Deutschlands. In den 1970er Jahren kostete in Berlin ein Döner umgerechnet 1 Euro 50, an einigen Berliner Strassenecken zahlte man bis vor kurzem noch 3 Euro 50. Ein Döner, so das Credo, kann sich jeder leisten. Doch durch die Energiekrise und Inflation hat sich der Preis für einen Döner verdoppelt. Heute zahlt man durchschnittlich 6 Euro. Der linke Politiker Ferat Kocak sagte im Herbst 2022: «Es ist Döner-Krise in Almanya!»

Dass sich der Preis verändert, beschäftigt die Leute. Denn Dönerbuden und ihr Angebot trotzen eigentlich dem gesellschaftlichen Wandel. Ihr Design und ihre Inneneinrichtung sind seit Jahrzehnten gleich, etwas schummrig, etwas billig. Es kommen Arbeiter, die in der kurzen Mittagspause eine möglichst günstige und nahrhafte Mahlzeit wollen. Und Partygänger, die nach einer langen Nacht noch etwas Fettiges brauchen.

Für einen Döner lässt sogar die hippe Stadtbevölkerung, die stark sensibilisiert ist für umweltfreundliche und gesunde Ernährung, ihre Prinzipien fallen. Spätabends, hungrig und alkoholisiert, ist es egal, dass es Fleisch ist. Und woher es kommt.

Von Frank-Walter Steinmeier ist derweil nicht überliefert, wie oft er sich einen Döner gönnt. Doch die «Döner-Affäre» von Istanbul wird ihm noch eine Weile anhaften. Wie der Geruch der Zwiebel, wenn man den Döner verschlungen hat.

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