Freitag, Januar 3

Keine andere Bank heuert mehr CS-Banker an als die EFG. Das ist eine Kampfansage an die UBS. Dem alten Grössenwahn will Pradelli aber nicht verfallen.

Sie ist erst dreissig Jahre alt. Doch befand sich die Schweizer Privatbank EFG schon einmal fast auf dem Grund. Ab Mitte der neunziger Jahre priesen die damaligen Chefs Jean-Pierre Cuoni und Lawrence Howell immer vollmundiger, wie stark sich ihre Bank von anderen Schweizer Vermögensverwaltungsbanken unterscheide. Und forcierten einen massiven Wachstumskurs, der sich nach dem Börsengang der Gruppe 2005 noch verstärkte.

Um die überrissenen Erwartungen zu erfüllen, wurden immer mehr Akquisitionen zu überhöhten Preisen getätigt. Der grosse Kater kam nach der Finanzkrise: Im zweiten Halbjahr 2010 resultierte ein Verlust von 800 Millionen Franken.

Nun folgten Wechsel in der Führung und ein brutales Sparprogramm, über zweihundert Banker wurden entlassen. Fortan backte die EFG kleinere Brötchen. Der neue Fokus auf mehr Professionalität und Realitätsnähe ist auch Giorgio Pradelli zu verdanken. 2018 wurde er CEO der EFG International. Die Privatbank gehört mit heute über 140 Milliarden Franken Kundenvermögen zu den zehn grössten im Land.

Ein erster Unterschied zu früher zeigt sich am Hauptsitz, einer Adresse unweit des Paradeplatzes in Zürich. Bis 2013 logierte die Bank an teuerster Lage an der Bahnhofstrasse. Journalisten wurden jeweils von mehreren auffallend schönen Frauen betreut; den damaligen Chefs lag viel am perfekten Schein.

Heute wird die Journalistin von einem reiferen, sehr aufmerksamen Mann begrüsst, wenig überraschend arbeitete dieser früher als Butler. Er erzählt von Kunden, die seit der Finanzkrise öfter die Wände anfassen, «um sich zu versichern, dass die Materialien echt sind». Die Wände sind aus Marmor, edel, aber nicht protzig. So soll auch der neue Empfangsbereich aussehen, der zum Zeitpunkt des Gesprächs gerade umgebaut wird.

Ein zweiter grosser Unterschied ist der CEO selbst. Der frühere CEO Howell tendierte zum Dozieren, auf kritische Fragen antwortete er gerne mit Lobeshymnen auf die Bank. Zwar ist Bescheidenheit auch keine Eigenschaft, die man mit Pradelli assoziieren würde. Der gebürtige Italiener weiss, was er kann – und erzählt gerne davon. Doch hört er sehr genau zu und antwortet auf jede Frage überlegt und präzis.

Sich selbst beschreibt Pradelli als «sehr ehrgeizig» und als kompetitiv. Aber auch als jemanden, der lange Teamsport betrieben hat und weiss, wie wichtig es ist, dass die ganze Mannschaft am selben Strick zieht. «Ich habe länger nördlich als südlich der Alpen gelebt. Die in Deutschland und der Schweiz praktizierte Konsensbildung sehe ich als Kunst und als wichtigen Teil von Entscheidungsprozessen», führt er aus.

Das Schweizerische wird wieder betont

Sowieso die Schweiz: Die früheren Chefs betonten oft, dass nichts an der EFG schweizerisch sei. Pradelli sagt dagegen: «Die EFG ist hier ansässig, wird hier beaufsichtigt, die meisten unserer Mitarbeitenden sind Schweizer. Wir sind sehr stolz, Schweizer zu sein.» Allerdings hat die EFG von Anfang an erkannt, dass neue Märkte wie Südamerika, Asien, die Golfstaaten und Indien künftig eine grosse Rolle spielen würden. Und dass die grenzüberschreitende Betreuung von Kunden, basierend auf dem Bankgeheimnis, ein Auslaufmodell war. Die Bank setzte von Anfang an auf die lokale Beratung der Kunden vor Ort, Altlasten um nichtversteuertes Geld entstanden so fast keine.

Seit kurzem hat Pradelli auch noch den Schweizer Pass. Und ist darauf sehr stolz. Aufgewachsen ist er in einer Familie von Ingenieuren in Turin, sein Vater war Professor am Polytechnikum. «Meine Familie legte grossen Wert darauf, dass ich Sprachen lerne», erzählt er. Als erste Fremdsprache lernte er Französisch, «zu Hause sprachen alle Französisch», mit sechzehn dann Englisch im Austauschjahr in den USA, später noch Deutsch. Obwohl er zeitweise mit einem Ingenieurstudium liebäugelte, erkannte Pradelli bald seine Leidenschaft fürs Geschäft und studierte in Turin Ökonomie.

«Alle wollten Englisch lernen, also lernte ich Deutsch. Nach Deutschland wollte nach der Universität niemand, also ging ich dahin», erklärt Pradelli seine Strategie der «empty spaces». Der Begriff «leere Räume» stammt aus seinen Jugendjahren beim Basketball. Nach einem Jahr als Trainee bei der Deutschen Bank in Münster wechselte er 1992 nach Frankfurt ins internationale Private Banking. «Empty spaces», lacht Pradelli, das Geschäft war damals noch nicht so prestigeträchtig.

In den folgenden dreizehn Jahren lernte Pradelli das Bankgeschäft in allen Facetten kennen. Und erhielt immer mehr Verantwortung. Mit 31 Jahren traf er bei einem Projekt auf die griechische Familie Latsis. Diese machte ihm 2003 das Angebot, alle Familienbanken in eine Holding zu bringen und damit an die Börse zu gehen. Pradelli sagte zu.

Der Reeder und die Königshäuser

Die Anfänge der EFG gehen auf den 2003 verstorbenen Reeder und Öl-Tycoon John S. Latsis zurück. Dieser hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der reichsten Männer Griechenlands hochgearbeitet. Seine vielfältigen Finanzaktivitäten bündelte er 1995 in der damaligen European Financial Group in Zürich, die ab 1997 unter EFG fungierte.

Medien verweisen oft auf Latsis’ enge Beziehung zu Königshäusern in Saudiarabien und Grossbritannien. Diese seien bis heute Kunden der EFG, so wird gemunkelt. Pradelli hält sich dazu bedeckt. Generell seien viele Kunden Unternehmer der ersten und der zweiten Generation. Gut ein Drittel lebten in der Schweiz, die anderen «sehr mobilen Kunden» hätten Wohnsitze in Domizilen wie Monaco. Als superreich gelten Kunden, die 30 Millionen Franken bei der EFG haben.

Für die Bank arbeiten weltweit gut 500 Kundenberater an über vierzig Standorten. Jeder Berater ist sehr autonom in der Kundenbetreuung, zentral geführt werden das Risikomanagement und die Compliance. Nach zwei Jahren sollte ein Berater Gewinn erwirtschaften, sonst muss er die Bank verlassen. Das Modell ist vor allem für erfahrene Private Banker geeignet, die unternehmerisch tätig sein wollen.

«Wir wollen ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Berater. Das ist unser wertvollstes Gut», sagt Pradelli. Die Bank fährt damit eine andere, manche sagen riskantere Strategie als andere Vermögensverwalter. Die UBS beispielsweise will seit dem Steuerstreit in den USA die Kunden nicht mehr an einzelne Berater, sondern an Teams binden. Zu enge Beziehungen hatten dazu geführt, dass Banker in Loyalitätskonflikte gerieten, weil sie sich verpflichtet fühlten, die internen Regeln zu strapazieren, um ihren Kunden bei Schwierigkeiten mit dem heimischen Fiskus zu helfen.

«Für mich ist diese Diskussion etwas akademisch», urteilt Pradelli. Das Private Banking sei ein «people’s business», die enge Verbindung von Kunde zu Berater sei wichtig und gewollt. Entsprechend gebe es keine Vorgaben, welches Produkt ein Banker wann verkaufen müsse. «Der Kundenberater weiss am besten, was seine Kunden brauchen. Wir überlassen ihm im Rahmen einer strikten Risikokontrolle die Wahl.» Er selbst legt augenscheinlich grossen Wert auf Luxus und Stil. Welche Marke er trägt, will er nicht sagen. Doch zieht er eine Parallele: «Es gibt keine wirkliche Luxusmarke, die ihren Kunden sagt, welches Produkt sie brauchen. Das ist genauso bei einer Privatbank.»

Mit der erfolgreichen Integration der problembeladenen BSI ab 2016 lieferte Pradelli noch als Finanzchef sein Gesellenstück ab. Unter seiner Ägide fährt die Bank gute Resultate ein, die Vergangenheit scheint Geschichte zu sein. Doch stehen neue Herausforderungen an. So rekrutiert die EFG verstärkt Banker, auch aus der Credit Suisse, gerade wurde die Übernahme zweier Teamleiter in St. Moritz und Gstaad gemeldet. Mit dem Einstieg des schillernden Boris Collardi, des früheren Bankchefs von Julius Bär, als Verwaltungsrat und Investor ist das mediale Interesse deutlich angestiegen. «Sehr präsent und engagiert» sei auch John Spiro Latsis als Vertreter des Hauptaktionärs im Verwaltungsrat, sagt Pradelli.

Pradelli dürfte die Qualitäten eines Dompteurs haben, um in diesem «Kreis der Alphatiere», wie das Magazin «Bilanz» die EFG-Führung kürzlich nannte, zu bestehen. Und darüber zu wachen, dass die Bank nicht wieder dem früheren Grössenwahn verfällt. Die Compliance, die er auch fünf Jahre lang leitete, und die strikte Kontrolle der Kundengelder hätten unter ihm weiterhin absolute Priorität, so versichert Pradelli.

Als grösstes Handicap nennt er seine Vorliebe für Details, zu hören ist die Bezeichnung «Mikromanager». Er wisse das, sagt Pradelli, und er versuche, mehr zu delegieren. An seiner «Mannschaft», die sehr aktiv sei und immer viele Ideen habe, hängt er sehr, das ist zu spüren. Besondere Freude bereite es ihm, jüngere Leute zu unterstützen und aufzubauen. «Schliesslich kann ich mit 56 nicht mehr selber dreissigjährige Kunden betreuen», lacht er.

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