Freitag, November 22

Der klare Wahlsieg des früheren Präsidenten wurde an den Börsen in der ersten Reaktion bejubelt. Ein deutlicher Anstieg der Zinsen sowie Fragen zur künftigen Politik der US-Notenbank werfen aber erste Schatten. Zudem: Strebt Trump die grosse Reindustrialisierung Amerikas an?

«Wir haben nicht Inflation, weil die Menschen zu gut leben. Wir haben Inflation, weil die Regierung zu gut lebt.»
Ronald Reagan, 40. Präsident der USA (1911–2004)

Donald Trump wird der 47. Präsident der Vereinigten Staaten. Der 78-Jährige wird am 20. Januar auf den Treppen des Capitols den Amtseid schwören. Er hat die Wahlen überraschend klar für sich entschieden. Das gefürchtete Szenario einer Contested Election mit wochenlangen Nachzählungen und Auseinandersetzungen ist ausgeblieben.

Der Donald Trump der Gegenwart ist nicht mehr die Wundertüte, die er vor acht Jahren noch war. Die Amerikanerinnen und Amerikaner wussten genau, wer der Mann ist und wofür er steht – und sie haben ihn mit deutlich mehr Stimmen ins Amt gehievt als 2016.

In ihrer ersten Reaktion zeigen sich die Aktienmärkte begeistert. Der S&P 500 ist am Mittwoch 2,5% auf ein Rekordhoch gestiegen. Es war der grösste Tagesgewinn nach einer Präsidentenwahl in der Geschichte der USA.

Aus Peking erreichte die Finanzmärkte heute Freitag derweil eine Enttäuschung: Die Regierung stellt Massnahmen im Umfang von 10 Bio. Yuan (ca. 1,4 Bio. $) in Aussicht, die jedoch primär dazu dienen, die Verschuldung der Lokalregierungen zu refinanzieren. Eine Ankündigung direkter Stimulusprogramme, etwa zur Unterstützung des Konsums, blieb aus. Die Märkte hatten mehr erwartet. Aktien von Unternehmen mit grosser Abhängigkeit von China – von Rohstoffkonzernen wie BHP und Rio Tinto über BASF bis zu LVMH und Swatch Group – erlitten Einbussen von 3 bis 5%.

Im dieswöchigen «Big Picture» fokussieren wir uns auf Donald Trump. Was ist in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren zu erwarten, worauf müssen Investoren achten? Und wo bieten sich Chancen?

Donald Trump hat deutlich gewonnen. Er hat nach aktuellem Wissensstand auch die Popular Vote für sich entschieden und die Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Land erhalten. Damit kann er ein klares Mandat der Bevölkerung für sich und seine Politik beanspruchen.

Im Gegensatz zu 2016, als sein Sieg auch für ihn eine Überraschung war, ist er dieses Mal vorbereitet. Und er wird in der Umsetzung seiner Pläne keine Zeit verlieren wollen. Der 22. Verfassungszusatz aus dem Jahr 1947, der die Regierung eines Präsidenten auf zwei Amtszeiten beschränkt, verbietet es ihm, im November 2028 zur Wiederwahl anzutreten. Das heisst, ihm bleiben vier Jahre.

Voraussichtlich wird er mindestens für die nächsten zwei Jahre, bis zu den Zwischenwahlen von 2026, mit einem ihm ergebenen Kongress arbeiten können. Die Republikanische Partei hat den Senat zurückgewonnen und wird mindestens 53 Sitze der kleinen Kammer kontrollieren. Die Auszählungen diverser Kongressdistrikte sind noch nicht abgeschlossen, das heisst, es ist noch nicht vollständig klar, ob die Republikaner auch weiterhin das Repräsentantenhaus halten werden; es deutet aber alles darauf hin.

Als wahrscheinlichste Arbeitshypothese dient daher das Szenario eines Red Sweep: Trumps Partei kontrolliert das Weisse Haus und den Kongress und wird damit mindestens für zwei Jahre eine erhebliche Machtfülle in Washington besitzen.

Noch nicht bekannt ist hingegen, wie das Kabinett der Regierung Trump 2.0 aussehen wird. Es wird erst im Verlauf der kommenden Wochen Gestalt annehmen. Dabei wird wichtig sein, zu sehen, ob Trump für die Wirtschaftspolitik wichtige Ämter wie das des Schatzsekretärs, des Handelsministers oder seines Beraterstabs mit fähigen Personen oder eher mit treuen Lakaien besetzt.

Ebenfalls nicht bekannt ist, welche seiner während des Wahlkampfs geäusserten Pläne er in die Tat umsetzen will. Trump hat tiefere Unternehmenssteuern versprochen, Deregulierungen in der US-Wirtschaft, einen radikalen Abbau des Staatsapparats und die Deportation von illegalen Immigranten. Zudem hat er umfassende Zölle auf Importgütern in Aussicht gestellt; er hat von 60% Pauschalzöllen auf Importen aus China und von 10 bis 20% auf Einfuhren aus allen anderen Ländern gesprochen.

Einige der von Trump versprochenen Pläne werden positive, andere werden negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Finanzmärkte haben. Wo er die Prioritäten setzen wird, ist aber offen.

In der Regel konzentriert sich ein Präsident im ersten Amtsjahr auf ein Herzensprojekt; für Barack Obama war es die Reform des Krankenversicherungssystems, für Trump 1.0 war es die Senkung der Unternehmenssteuern. Eine wichtige Indikation für seine zweite Amtszeit wird Trump geben, wenn er zeigt, wo er seine Prioritäten – Steuersenkungen, Deregulierung, Handelskrieg? – setzt.

Anhaltspunkte, wie die Börsen zur Konstellation Red Sweep – Republikaner kontrollieren Regierung und Parlament – stehen, liefert die Geschichte. Die folgende Grafik von Jurrien Timmer, Marktstratege von Fidelity Investments, zeigt die Performance des US-Aktienmarktes in den ersten zwei Amtsjahren jedes Präsidenten seit 1900:

Die linke Spalte zeigt alle Wahljahre, die mittlere Spalte die Jahre, in denen eine Partei einen Sweep erreichte. Der letzte Sweep für die Republikaner war 2016 (Trump 1.0), davor 2004 (Bush Jr. 2.0). In der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg gab es nur in drei Fällen eine republikanische Sweep-Konstellation. In allen schnitt der Aktienmarkt positiv ab. Besonders häufig war die Konstellation in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, und immer folgten danach zwei ergiebige Jahre für die Börsen.

Nur ein einziges Mal in der Historie folgte in den zwei Jahren nach einem Red Sweep ein Einbruch der Börsen: 1928.

Selbstverständlich wiederholt sich die Geschichte nie – und es lässt sich debattieren, was die heutige Republikanische Partei überhaupt noch mit der Partei von Bush Senior, Reagan oder Eisenhower gemein hat –, aber zumindest bislang passte es den Börsen jeweils ganz gut, wenn die Republikaner die Macht in Washington besassen.

Die unmittelbare Reaktion des Aktienmarktes auf den Sieg von Trump sandte ein klares Signal. Die deutlichsten Gewinne im S&P 500 erreichten die Sektoren Finanzen, Industrie, Energie und zyklischer Konsum. Das sind alles Sektoren, die von einer Reflation der US-Wirtschaft, also von einer Beschleunigung des nominalen Wachstums, profitieren. Besonders der Finanzsektor ist zudem ein Nutzniesser der Hoffnung auf Deregulierungsmassnahmen.

Der Verlierersektor am unteren Ende der Rangliste, Immobilien, zeigt dagegen die grösste Sensitivität gegenüber steigenden Zinsen.

Noch wichtiger als die Reaktion des Aktien- ist die Bewegung des Bondmarktes nach den Wahlen. Die Rendite zwei-, zehn- und dreissigjähriger US-Staatsanleihen ist sofort um 15 bis 20 Basispunkte gestiegen.

Damit hat sich die Entwicklung fortgesetzt, die bereits Mitte September begonnen hatte, als die US-Notenbank zum ersten Mal die Zinsen senkte und die Wettbörsen allmählich begannen, einen Sieg von Trump einzupreisen.

Steigende Zinsen, vor allem am langen Ende der Strukturkurve, können drei mögliche Erwartungen – oder eine Kombination davon – des Bondmarktes signalisieren:

  1. eine Beschleunigung des realen Wirtschaftswachstums
  2. eine Beschleunigung des nominalen Wirtschaftswachstums, d.h. höhere Inflation
  3. wachsende Sorgen über den Zustand der Staatsfinanzen, die dazu führen, dass Investoren für langfristige Staatsanleihen eine höhere Prämie («term premium») verlangen

Diese Bewegungen an den Finanzmärkten sind kongruent mit den Wahlversprechen Trumps. Teile davon, etwa Deregulierungen und Steuersenkungen, können das reale Wirtschaftswachstum fördern. Andere, etwa höhere Importzölle, würden mit grosser Wahrscheinlichkeit inflationär wirken. Massendeportationen von Immigranten würden den Arbeitskräftemangel verstärken, was ebenfalls die Inflation anheizt. Steuersenkungen und Subventionsprogramme schliesslich würden das Budgetdefizit erhöhen und den Zustand der Staatsfinanzen weiter verschlechtern.

Diesbezüglich spricht die Historie ebenfalls eine deutliche Sprache: Republikaner sind fiskalkonservativ, wenn sie in der Opposition sind, aber sie sind spendierfreudig, wenn ein Republikaner im Weissen Haus sitzt. Vor allem seit Richard Nixon hat sich das Budgetdefizit in jeder republikanischen Präsidentschaft ausgeweitet, wie die Grafik von BCA Research zeigt:

Für die Aktien- und Bondmärkte werden die wirtschafts- und handelspolitischen Versprechen von Trump daher zu einer Gratwanderung: Bis zu welchem Punkt werden sie positiv aufgenommen, wann steigt die Angst vor einem Wiederaufflammen der Inflation, und wann beginnt der Bondmarkt zu signalisieren, dass er die Verschlechterung der Staatsfinanzen nicht mehr toleriert?

Ebenso spannend – und unmöglich zu beantworten – ist die Frage, wie hoch die Bondrenditen noch steigen können, bevor der US-Aktienmarkt zu wanken beginnt. Als die Rendite zehnjähriger Treasury Notes im Oktober 2023 auf 5% kletterte, büsste der S&P 500 innerhalb von gut einem Monat fast 10% ein.

Wichtig für die Entwicklung der Zinsen wird es sein, ob und wie die US-Notenbank (Fed) ihre Geldpolitik umsetzen kann. Der Zinssenkungszyklus ist im Gang; nach dem Doppelschritt vom 18. September hat Fed-Chef Jerome Powell gestern Donnerstag eine weitere Zinssenkung von 25 Basispunkten (Bp) kommuniziert. Für das nächste Fed-Meeting am 18. Dezember rechnen die Terminmärkte mit einer weiteren Senkung um 25 Bp.

Spannender wird es mit Blick auf 2025: Wird das Fed weitere Zinssenkungen beschliessen können, falls die Inflation als Folge der Politik von Trump wieder erstarken sollte? Und generell: Wie wird der Präsident mit dem Fed umgehen, sollten die Währungshüter eine Politik betreiben, die ihm nicht genehm ist?

In seiner ersten Amtszeit ist der Präsident wiederholt unflätig mit Powell – den er selbst nominiert hatte – umgegangen. Im Wahlkampf hat Trump angedeutet, dass er den Fed-Chef loswerden will. An einer Veranstaltung sagte Trump, er könnte diesen Job selbst besser erledigen.

Powells Amtszeit dauert bis Mai 2026, und der Fed-Chef untersteht nicht dem Regierungsapparat; er kann also vom Präsidenten nicht gefeuert werden. Das dürfte allerdings Trump nicht davon abhalten, es trotzdem zu versuchen und Powell das Leben zu erschweren. Dass das keine theoretischen Überlegungen sind, zeigten die Fragen, die Powell an der Pressekonferenz nach der Fed-Sitzung vom 7. November beantworten musste:

Journalistin: «Einige Berater des künftigen Präsidenten haben angedeutet, dass Sie zurücktreten sollten. Würden Sie zurücktreten, wenn Sie dazu aufgefordert werden?»

Powell: «Nein.»

Journalistin: «Sie denken nicht, dass Sie verpflichtet wären, zurückzutreten?»

Powell: «Nein.»

Journalist: «Denken Sie, der Präsident hat die Macht, Sie zu entlassen oder zu degradieren?»

Powell: «Das ist rechtlich nicht zulässig.»

Anzeichen, wonach die Trump-Regierung das Fed für ihre politischen Zwecke gefügig machen will, dürften von den Bond- und den Devisenmärkten aufmerksam registriert werden.

Das wohl grösste Fragezeichen umgibt die von Trump angedrohte Politik der Handelsbeschränkungen. Alle Importe aus China sollen mit Zöllen von 60% belegt werden. Er will das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (United States-Mexico-Canada Agreement, USMCA), das er selbst in seiner ersten Amtszeit neu verhandelt hatte, abermals öffnen, damit ausländische Unternehmen nicht Mexiko als Produktionsstandort für den US-Markt nutzen können. Zudem hat er Zölle von 10 bis 20% auf Importe aus allen Ländern in Aussicht gestellt.

Die grosse Frage, die sich aus diesen Ankündigungen stellt: Welchem Zweck sollen die Zölle dienen?

Dazu gibt es zwei mögliche Antworten.

  1. Protektionismus: Amerikanische Unternehmen sollen vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden.
  2. Verhandlungstaktik: Die Androhung von Importzöllen soll Unternehmen aus aller Welt bewegen, Produktionsstätten in den USA aufzubauen.

Diese beiden möglichen Antworten unterscheiden sich in ihren Auswirkungen fundamental. Im ersten Fall werden amerikanische Unternehmen geschützt, obwohl diese unter Umständen ineffizient arbeiten. Volkswirtschaftlich wäre diese Politik langfristig schädlich, denn sie würde Unternehmen künstlich am Leben erhalten, die auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig wären.

Der zweite Fall würde dagegen auf einer klaren Ansage von Trump basieren: «Wer seine Güter in Amerika, dem grössten Markt der Welt, verkaufen will, muss sie auch in Amerika produzieren.» Unternehmen, die nicht mit Zöllen belegt werden wollen, können entscheiden, ihre Produktion in die USA zu verlagern – egal, ob es sich um amerikanische, chinesische, koreanische, deutsche, japanische oder schweizerische Unternehmen handelt. Sie erhalten damit Zugang zum US-Markt, tiefe Steuern und eine verlässliche, günstige Energieversorgung.

Das historische Beispiel für diese Strategie liefert Ronald Reagan, der in den 1980er-Jahren den US-Markt für japanische Automobilhersteller abschottete. Er lud sie jedoch ein, in Amerika zu produzieren. Toyota, Nissan und Honda errichteten daraufhin Werke in Bundesstaaten wie Tennessee, Ohio oder Kentucky.

Trump könnte damit das Ziel verfolgen, etwas zu erreichen, das in der Geschichte zuvor noch nie versucht wurde: Die Reindustrialisierung einer grossen, hoch entwickelten Volkswirtschaft, die sich zuvor über Jahrzehnte deindustrialisiert hatte.

Trump und sein designierter Vize J.D. Vance vertreten die Überzeugung, dass die von beiden politischen Parteien in den vergangenen gut vierzig Jahren vorangetriebene Globalisierung mit einer laufenden Deindustrialisierung Amerikas einher ging – und dass das eine historische Fehlentwicklung, eine Tragödie für das «Herzland» der USA darstellt. Amerika hat sich selbst ausgehöhlt. Der Niedergang des «Rostgürtels» von Pennsylvania bis Michigan; die Opioid-Epidemie, die Staaten wie West Virginia, Ohio oder Kentucky verheert hat; die aus dem Krieg in der Ukraine gewachsene Erkenntnis, dass Amerika nicht mehr in der Lage ist, Artilleriemunition in genügend grossen Mengen herzustellen – all das sind Folgen dieser Deindustrialisierung.

Nach dieser Lesart nützt es nichts, wenn Microsoft, Alphabet oder Amazon und die Tech-Ökosysteme der Bay Area, Seattle und Austin Hunderttausende neuer Jobs geschaffen haben. Um stark zu sein, braucht Amerika eine industrielle Basis. Es braucht «Blue Collar»-Jobs für «Blue Collar»-Arbeiter.

Deshalb die These: Trump hat es sich für seine zweite Amtszeit zum Ziel gesetzt, die Reindustrialisierung Amerikas anzustossen. Importzölle sind ein Teil dieser Strategie, sie dienen als Mittel zum Zweck. Trump würde das Mandat, das er am 5. November 2024 erhalten hat, für ein gigantisches wirtschaftspolitisches Experiment nutzen, das in diesem Ausmass noch nie versucht wurde. Und wenn sich Vance als Vize bewährt, könnte er in vier Jahren übernehmen. Ein Boom in den Kapitalinvestitionen wäre die Folge, der erst im Frühstadium steht.

Anleger sollten sich zumindest der Möglichkeit dieser These nicht verschliessen. Sie könnte ein Grund sein, weshalb der Industriesektor an den globalen Aktienmärkten seit Monaten an Stärke gewinnt.

Wer auf dieses Szenario setzen will, kann sich beispielsweise an folgenden ETF orientieren:

  • Xtrackers MSCI World Industrials UCITS ETF
    ISIN: IE00BM67HV82, TER: 0,25%, thesaurierend
  • SPDR S&P US Industrials Select Sector UCITS ETF
    ISIN: IE00BWBXM724, TER: 0,15%, thesaurierend

Unternehmen, die vom breiten Trend einer Reindustrialisierung der USA profitieren dürften, sind beispielsweise Caterpillar, RTX Corp., Honeywell, Eaton, Rockwell Automation, Deere, Johnson Controls, Emerson Electric, Schneider Electric, ABB, Atlas Copco, Siemens, Belimo, Holcim, Sika oder Heidelberg Materials.

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