Mittwoch, Oktober 2

Der Abwehrkrieg gegen Russland entscheidet sich nicht nur an den Fronten im Donbass. Falls in den USA Donald Trump an die Macht zurückkehrt und Deutschland seine Hilfe verringert, droht der Ukraine ein Moskauer Diktat.

Ist im Kampf um die Macht in den USA eine Vorentscheidung gefallen? Der klare Ausgang des Fernsehduells zwischen Donald Trump und Kamala Harris könnte zu diesem Schluss verleiten. Selbst viele Republikaner mussten einräumen, dass die demokratische Präsidentschaftskandidatin nach dem verbalen Schlagabtausch als Siegerin dastand. Ob sich genügend Wählerinnen und Wähler nun von Zweiflern in Harris-Anhänger verwandelt haben, bleibt jedoch offen. Nähme man die bisherigen Meinungsumfragen zum Massstab und berücksichtigte man, wie stark Trump in Umfragen oft unterschätzt wurde, so müsste man eher auf eine Rückkehr des Republikaners ins Weisse Haus tippen. Die sieben Wochen bis zur Wahl werden ein Rennen auf Messers Schneide bleiben.

Umso wichtiger ist es, sich nochmals die Tragweite der Weichenstellung vom 5. November zu vergegenwärtigen. Die für Europa weitaus wichtigste Frage lautet, wie stark sich die künftige amerikanische Regierung auf der Seite der Ukraine gegen den russischen Imperialismus engagieren wird und damit für die Sicherheit unseres Kontinents eintritt. Gewiss, auch andere Entscheidungen in Washington haben direkte Auswirkungen auf Europa. Neue Regulierungen können hiesige Firmen behindern, Schutzzölle werden das Wirtschaftswachstum dämpfen, haushaltpolitische Beschlüsse können Aktienkurse ins Rutschen bringen. Aber all dies sind nachrangige Fragen im Vergleich zum Krieg, den Russland nicht nur gegen die Ukraine führt, sondern gegen den Westen insgesamt.

Kein Frieden über Nacht

Die Debatte vom Dienstag bestätigte den scharfen Kontrast zwischen den Präsidentschaftskandidaten. Während Harris ein Verständnis der fundamentalen Bedrohungslage erkennen liess und die Bedeutung des transatlantischen Bündnisses hervorhob, wollte Trump trotz Nachfragen nicht einmal zugeben, dass ein ukrainischer Erfolg gegen Putin im Interesse der USA läge. Er prahlte vor allem damit, dass er den Krieg im Nu beenden könnte – er hat dafür 24 Stunden veranschlagt. Damit zeigt Trump vor allem, wie wenig er von diesem Konflikt versteht.

Natürlich sind Aussagen in der Hitze eines Wahlkampfs nicht mit realen Absichten zu verwechseln. Aber in diesem Fall fügen sie sich in ein konsistentes Gesamtbild. Trump wird wegen seiner schroffen Entscheidungen oft pauschal als unberechenbar bezeichnet. Doch dahinter steckt ein Missverständnis. Vielen Kerngedanken bleibt dieser Politiker seit Jahrzehnten treu. Dazu zählt, dass ihm freier Welthandel ein Graus ist, dass er autoritäre Herrscher bewundert, langjährige Verbündete verachtet und überzeugt ist, Amerika werde ständig übervorteilt.

Diese Konstanten machen Trump ein Stück weit berechenbar und lassen ihn umso gefährlicher erscheinen. Seine Drohung, die Ukraine-Hilfe zu stoppen, gilt es ernst zu nehmen. Bereits während seiner Präsidentschaft hat er 2019 die – damals noch geringe – Militärhilfe blockiert. Im Winter und im Frühjahr 2024 verzögerte das republikanisch beherrschte Repräsentantenhaus auf Trumps Geheiss die Lieferung von Munition um mehr als ein halbes Jahr. Dieser zynische Schachzug kostete auf ukrainischer Seite Hunderte von Menschenleben.

Nun besteht Trumps Plan offenbar darin, die Ukraine mit diesem Druckmittel an den Verhandlungstisch zu zwingen, zum Verzicht auf Teile ihres Staatsgebiets zu nötigen und sie Russland zuliebe aus der Nato fernzuhalten. Der Republikaner hat nie ein Interesse an einer unabhängigen und ungeteilten Ukraine gezeigt. Die Ukraine ist ihm egal. Er hat sogar einen Vizepräsidentschaftskandidaten ausgesucht, der genau dies unverhohlen ausspricht.

Dass Trump in einer zweiten Präsidentschaft plötzlich anders denken und handeln würde, ist unwahrscheinlich. Seine wichtigsten Berater teilen seine Ansicht, dass Washington in diesem Konflikt bloss Geld verschwende. Ein Zusammenbruch der Ukraine und ein russischer Vormarsch bis an den Rand Mitteleuropas würden zwar auch fundamentale amerikanische Interessen bedrohen. Aber bis sich diese Einsicht in einer Regierung Trump durchsetzen würde, könnte es bereits zu spät sein.

Radikale Stimmen glauben, dass Europa genau diese Art der Schocktherapie braucht, um die Sicherheit des Kontinents endlich in die eigene Hand zu nehmen und sich von Amerika abzunabeln. Aber diese Sichtweise ist naiv und gefährlich. Die EU, angeführt vom politisch ausgelaugten Duo Scholz-Macron, beweist Tag für Tag, dass sie zu einem derartigen raschen Wandel unfähig ist. Europa wird für seinen Schutz noch auf Jahrzehnte hinaus auf die Amerikaner angewiesen sein.

Kandidatin der Kontinuität

Berechenbar ist auch die Kandidatin der Demokraten, allerdings aus anderen Gründen. Kamala Harris steht für eine Fortsetzung des Kurses von Joe Biden, mit allen Vor- und Nachteilen. Nichts deutet darauf hin, dass diese Politikerin besondere Akzente setzen oder gar neue strategische Visionen verfolgen will. Sie, die 2020 ohne besondere Verdienste auf den Posten der Vizepräsidentin geholt wurde, wirkt vor allem bemüht, nichts falsch zu machen. Sie folgt dem Konsens der Regierungsberater und dürfte dies auch als Präsidentin tun. Ihr Sicherheitsberater, Phil Gordon, ist ein hervorragender Kenner des alten Kontinents und warnte schon früh vor Putin. Europa könnte sich keinen besseren Fürsprecher im Weissen Haus wünschen.

Dass die Ukraine gegen die russische Aggression verteidigt werden muss, zählt aber offensichtlich auch zu Harris’ eigenen Überzeugungen. An der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock äusserte sie Thesen, die man aus dem Munde Trumps nie hören würde: «Wir unterstützen die Ukraine nicht aus Wohltätigkeit, sondern weil die Zukunft des ukrainischen Volkes in unserem strategischen Interesse ist», sagte sie und hob das Prinzip der territorialen Unverletzlichkeit hervor. Am Parteitag der Demokraten, damals bereits als frischgekürte Präsidentschaftskandidatin, bekräftigte die Kalifornierin ihren Rückhalt für die Ukraine und die Nato.

Kontinuität in diesen Fragen ist für Europa von Vorteil, gerade im Vergleich mit den Turbulenzen eines Hurrikans «Donald». Aber die Fortsetzung des Bisherigen wird nicht ausreichen. Der Biden-Ansatz besteht darin, Kiew nur gerade so viel Militärhilfe zu gewähren, dass die Ukraine nicht kollabiert – aber nie genug, um das Blatt im Krieg zu wenden. Das Engagement der Amerikaner verdient zwar hohe Anerkennung – gerade aus der Optik eines Landes wie der Schweiz, die bei der Ukraine-Hilfe auf beschämende Weise knausert und sicherheitspolitisch die bequeme Rolle des Trittbrettfahrers spielt.

Aber es führt nichts am nüchternen Schluss vorbei, dass die USA und ihre Verbündeten zu zögerlich handeln und damit dem Kreml in die Hände spielen. Das Putin-Regime sieht sich im Krieg gegen die gesamte Nato und geht dieses Wagnis nur deshalb ein, weil es weiss, dass der Westen auf Sparflamme agiert. Würden Amerika und Europa ihre geballte Wirtschafts- und Technologiemacht zugunsten der Ukraine in die Waagschale werfen, wäre Russland chancenlos.

Eine Präsidentin Kamala Harris ist deshalb keine Garantin für eine erfolgreiche Abwehr Russlands. Ohnehin wird sie sich, falls sie die Wahl schafft, wohl mit einem republikanisch dominierten Kongress herumschlagen müssen. Sie hätte auch schwierige Abwägungen zwischen den Herausforderungen China, Russland und Iran vorzunehmen. Aber mit Harris bestünde eine grössere Chance als unter Trump, dass die Ukraine, das zweitgrösste Land Europas, nicht einfach fallengelassen wird.

Scholz schielt auf die Umfragen

Voraussetzung für weitere amerikanische Hilfe ist jedoch, dass sich die Europäer ihrer Verantwortung nicht entziehen. Dass die deutsche Regierung keine neuen Ukraine-Mittel mehr im Haushalt einplanen will, ist ein fatales Signal. Kanzler Scholz wirbt nun plötzlich für eine Verhandlungslösung – obwohl er genau weiss, dass Putin Bedingungen für Gespräche stellt, die auf eine Kapitulation der Ukraine hinauslaufen.

Noch vor zwei Monaten hatte Scholz zu Recht auf die historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine verwiesen – ein Land, das deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg besetzt und verwüstet hatten. Heute dagegen bestimmt kurzsichtiges Wahlkampfkalkül die Rhetorik des Kanzlers, als ob sich damit weitere Schlappen der Ampelkoalition noch abwenden liessen.

Gerade jetzt, da die Ukrainer vor einem entbehrungsreichen Kriegswinter stehen und an den Donbass-Fronten gegen den russischen Ansturm kämpfen, ist westliche Unterstützung wichtiger denn je. Es ist keine Übertreibung, wenn Präsident Selenski erklärt, die Ukraine verteidige Europas Freiheit. Umfangreichere Militärhilfe würde nicht nur ukrainische Menschenleben retten, sondern wäre auch gut investiertes Geld: Denn verliert dieses Land den Krieg, wird der Rest Europas ein Vielfaches davon in die eigene Aufrüstung stecken müssen. Und je ernsthafter Europa für seine Sicherheit sorgt, desto geringere Chancen haben jenseits des Atlantiks Demagogen wie Trump, die mit Tiraden über die schlitzohrigen Europäer auf Stimmenfang gehen.

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