Samstag, Oktober 5

Der Unternehmer sah in seinem KI-Chatbot Grok ursprünglich ein antiwokes Konkurrenzprodukt zu Chat-GPT. Nun richtet dieser sich mit Deepfakes gegen ihn selbst und die Leute, die er unterstützt.

Vor kurzem postete Elon Musk auf seinem X-Account ein Video, in dem er mit Donald Trump tanzt. In dem 36-sekündigen Clip grooven die beiden synchron zum Bee-Gees-Song «Stayin’ Alive». Der Songtitel war programmatisch gewählt, denn nach dem Attentat auf Trump erklärte Musk öffentlich seine Unterstützung für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Den Clip, der inzwischen 141 Millionen Mal angezeigt wurde, garnierte der X-Eigner mit dem Kommentar: «Die Hater werden sagen, das ist KI.»

Musk, der Agent provocateur des Netzdiskurses, versteht sich bestens auf das rhetorische Stilmittel der Ironie, und natürlich muss man kein Hater und auch kein Digitalforensiker sein, um festzustellen, dass bei der Tanzeinlage KI im Spiel war – zumal die tänzerischen Darbietungen der beiden hüftsteifen Herren, die die Öffentlichkeit bislang miterleben durfte, eher medioker waren. Die einzelnen Frames sind pixelig, die Übergänge unrund, die Szenerie wirkt seltsam zweidimensional. Als hätte ein digitaler Frankenstein Musks und Trumps Köpfe auf den Körper eines Profitänzers montiert.

Das Face-Swapping, wie man die Technik des Gesichtsaustauschs nennt, liefert immer noch keine befriedigenden Resultate. Doch es geht hier nicht um Haltungsnoten, sondern um Symbolik: Musk, der Dompteur der Technik, der Taktgeber, nach dessen Pfeife alles tanzt – das ist die Botschaft, die von dem Video ausgeht.

Taylor Swift fliegt ins WTC

Fast zeitgleich nämlich hatte Musks Softwareschmiede xAI eine neue Version ihres KI-Chatbots Grok 2 veröffentlicht, die nun auch einen Bildgenerator hat. Grok, eine Anspielung auf den Science-Fiction-Roman «Fremder in einer fremden Welt» von Robert A. Heinlein aus dem Jahr 1961, wurde als antiwokes Konkurrenzprodukt zu Chat-GPT geschaffen. Sollte der neue Bildgenerator nun als Munitionsfabrik für die Trumpisten dienen?

Das KI-Tänzchen wurde dramaturgisch als eine Art Show-Act für die neue Wundertechnik aus den Musk-Laboren inszeniert. Doch kaum war das Tool in der Welt, spuckte es auch schon Deepfakes aus: Taylor Swift, die als Pilotin im Cockpit eines Flugzeugs in das (neue) World Trade Center steuert. Barack Obama, der eine Linie Koks zieht und – Dolchstosslegende lässt grüssen – das Messer an den Hals von Joe Biden hält. Und Donald Trump, der Hand in Hand mit Kamala Harris im Sonnenuntergang am Strand spaziert, sie innig küsst und ihren schwangeren Bauch streichelt. Gagaismus 2.0.

Die Bilder wurden nach übereinstimmenden Medienberichten mit Grok 2 erstellt. Mit welcher Intention, ist unklar, aber die Leitplanken, die die Programmierer dem Tool eingezogen hatten, waren augenscheinlich viel zu wackelig, um derlei Entgleisungen zu verhindern. Zuerst hat Musk im Maschinenraum seiner Plattform X an den Algorithmen gedreht und die Schleusen für Hass und Hetze geöffnet. Und jetzt hat er auch noch seinen wild gewordenen Chatbot von der Leine gelassen. Die KI ist ausser Kontrolle geraten.

Das Publikum hat ja schon zahlreiche manipulierte Bilder im Netz gesehen: den Papst im weissen Daunenmantel, Trump in Häftlingskleidung, Emmanuel Macron als Müllwerker. Insofern kommen die Deepfakes nicht überraschend. Die Internetkultur kennt viele Bildmontagen wie etwa Memes, bei denen Bilder und Zitate aus dem Kontext gerissen und neu verschraubt werden. Trotzdem stellt sich die Frage, inwieweit Bilder noch einen Wahrheits- oder Authentizitätsanspruch für sich reklamieren können, wo jeder mit frei zugänglichen KI-Tools Fotos retuschieren oder völlig neue prompten kann.

Memifizierung der politischen Kultur

Die heldenhafte Fotografie des blutverschmierten Trump nach dem gescheiterten Attentat, die Beobachter eilfertig zum «Schlüsselwerk» der politischen Ikonografie erklärten, scheint im öffentlichen Kurzzeitgedächtnis bereits wieder überlagert von meterhohen Datenschichten: Das Netz wird permanent mit neuem KI-generiertem Bildmaterial geflutet. Die «weaponization», die Waffenfähigmachung von künstlicher Intelligenz, vor der die Technologiekritik immerzu warnt, ist in Gang.

Die Trump-Kampagne heizt ihre Anhänger mit immer neuen Deepfakes an, etwa mit KI-generierten Bildern von Groupies, die T-Shirts mit der Aufschrift «Swifties for Trump» tragen. Selbst das hält Trump nicht davon ab, seiner Konkurrentin Kamala Harris fälschlicherweise zu unterstellen, die Menschenmenge, die sie bei ihrer Ankunft am Flughafen in Michigan erwartete, sei ein kompletter KI-Fake. Wo hört Satire auf, wo beginnt Manipulation?

Die Journalistin Sophia Smith Galer schrieb im «Guardian», Deepfakes seien «die Memes des armen Mannes» und die KI-Posts, die Trump in sozialen Netzwerken teilte, bloss «billiges Algorithmenfutter». Die Memifizierung der politischen Kultur birgt freilich die Gefahr, dass wir die Kontrolle über die Narrative verlieren. Von Musk kursieren auf der Plattform X bereits zahlreiche Deepfakes, die ihn unter anderem mit einem Flammenwerfer als Räuber im Supermarkt zeigen. Produziert wurden sie mit seinem eigenen KI-Tool: Grok. Die Waffe, mit der der reichste Mann der Welt das «Woke-Virus» besiegen will, richtet sich gegen ihn selbst.

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