Donald Trump ist «tough on China», so viel scheint offensichtlich. Warum Peking trotzdem keine Angst vor einer erneuten Präsidentschaft Trumps hat, erklärt der Forscher Zichen Wang im Gespräch.
Aus seiner kleinen Studierstube in Brüssel hat Wang Zichen vor fünf Jahren etwas ins Leben gerufen, was es so noch nicht gab: einen Newsletter über China von einem Chinesen. Er übersetzte Stimmen aus der akademischen Welt, der Regierung, den Staatsmedien. Heute hat Pekingnology über 17 000 Abonnenten und ist unter China-Beobachtern zur Referenz geworden.
Der langjährige Journalist der Nachrichtenagentur Xinhua wechselte 2022 zur Denkfabrik Center for China and Globalization in Peking, wo er unter anderem zur bilateralen Beziehung zwischen China und den USA forscht. Dort arbeitet er noch immer, studiert aber gleichzeitig Politik an der amerikanischen Elite-Universität Princeton University in New Jersey.
Im Gespräch mit der NZZ betont Wang: Er arbeite nicht für die chinesische Regierung und teile lediglich seine persönliche Ansicht.
Herr Wang, ist Trumps Wahlsieg eine gute oder eine schlechte Nachricht für China?
Der Wahlsieg ist eine Tatsache, und China hat sich darauf eingestellt. Trump hat zwar angekündigt, Importe aus China mit hohen Zöllen zu belegen. Aber gleichzeitig hat Trump grossen Respekt gegenüber dem chinesischen Staatschef bekundet. Er weiss, dass China eine wichtige Nation ist. Die Chinesen betrachten seinen Sieg zunächst aus einer konstruktiven Perspektive: Trump wird versuchen, die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten auf pragmatische Weise zu sichern, anstatt auf irgendwelchen hochgesteckten Idealen zu bestehen.
Mit anderen Worten: Trump fordert China wirtschaftlich heraus, die Herrschaft der Kommunistischen Partei stellt er jedoch nicht infrage.
Trump ist kein Moralapostel, er verzichtet anderen Regierungen gegenüber auf Demokratiepredigten. Er spricht mit allen Staatschefs, er scheint sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ebenso gut zu verstehen wie mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
Was fürchtet China am meisten bei einer neuen Trump-Präsidentschaft?
Furcht ist der falsche Begriff. China ist jetzt eine Grossmacht. Das Worst-Case-Szenario für China wäre wohl, wenn Trump die falschen Signale an Taiwan senden würde. Während seiner ersten Amtszeit hatte er mit Tsai Ing-wen (Anmerkung der Redaktion: die damalige Präsidentin Taiwans) telefoniert. Das hat vor ihm noch keiner getan.
Ist China vorbereitet auf einen neuen Handelskrieg mit den USA?
China ist darauf eingestellt. Chinesische Firmen haben zum Beispiel Produktionsstätten in Mexiko, Vietnam oder Europa eröffnet als ein Weg, die Zölle abzufedern. Aber wenn tatsächlich Strafzölle von 60 Prozent oder höher kommen, wird das ein immenser Schock sein, nicht nur für chinesische Firmen, sondern auch für amerikanische Firmen und die Konsumenten in den USA. Und Chinas Mittel zum Gegenschlag sind begrenzt, weil China viel mehr in die USA exportiert, als dass es importiert.
Gibt es Hoffnungen in China, dass Trump die Exportkontrollen für Hochtechnologie lockern könnte?
Diesbezüglich macht man sich keine Illusionen. Aber es gibt Hoffnung, was chinesische Elektroautos betrifft. Gegenwärtig sind Zölle in der Höhe von 100 Prozent auf E-Autos aus China in Kraft. Trump sagte, er werde Elektrowagen aus China willkommen heissen, solange sie in den USA produziert werden. Ich denke, das ziehen chinesische Firmen gerne in Betracht.
Was ist mit Elon Musk – könnte er die Beziehungen der USA mit China verbessern?
Elon Musk könnte in der Tat eine Schlüsselrolle einnehmen. Er hat eine perfekte Arbeitsbeziehung mit dem neugewählten Präsidenten Trump, eine Tesla-Gigafabrik in Schanghai, und war bereits mehrfach in China, wie auch dieses Jahr wieder, und hat den chinesischen Ministerpräsidenten getroffen. Er versteht China. Er ist ein Symbol dafür, wie die beiden Länder zusammenarbeiten könnten, und wie viel dabei für beide Seiten herausspringen könnte.
Als Xi Jinping Trump zu seinem Sieg gratulierte, sagte er: Die internationale Staatengemeinschaft erwarte von den beiden Ländern, dass sie zusammenarbeiteten. Ist das eine Warnung?
Ich glaube nicht, dass das als Warnung zu verstehen ist, sondern als ein Ausdruck der aufrichtigen Erwartungshaltung der chinesischen Regierung. China möchte eine Beziehung zu den USA, die konstruktiv ist und beiden Ländern nützt.
Gleichzeitig möchte China bis 2049, zum 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik, in jeglicher Hinsicht zu den USA aufgeschlossen haben. Manche Experten folgern daraus, dass China die USA von der Weltspitze stossen will und sich bereits auf einen kommenden Krieg vorbereite.
Diese Einschätzung ist grundlegend falsch. Peking hat nichts dergleichen öffentlich bekundet. Bei den sogenannten Jahrhundertzielen geht es darum, dass China bis 2049 eines der weltweit führenden Länder sein will. Xi Jinping hat dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden persönlich versichert, dass China die USA nicht als führende Nation der Welt ersetzen möchte. China möchte die internationale Ordnung nicht herausfordern.
Dennoch sind gewisse Politologen und Parteifunktionäre in Peking der Auffassung, «der Osten steigt auf, der Westen ist im Niedergang». Ist das auch Ihre persönliche Überzeugung?
Die chinesische Regierung hat diese Auffassung vor Jahren verbreitet, aber damit aufgehört, mittlerweile wiederholen sie noch gewisse Akademiker. Sie meinen damit aber nicht nur China, sondern den ganzen Osten des Globus von Südostasien bis zur Türkei. Und es ist in der Tat so, dass der Anteil dieser Länder an der weltweiten Wirtschaftsleistung ansteigt. Immer mehr Hightech-Produkte kommen aus diesen Ländern. Aber bezüglich dem intellektuellen Diskurs und der Soft Power, da behält der Westen klar die Oberhand.
Es ist doch eine Tatsache, dass China immer mächtiger und einflussreicher wird auf internationaler Ebene.
Dass die USA den chinesischen Versicherungen keinen Glauben schenken, ist nur natürlich. Die USA haben das Weltgeschehen nun schon seit Jahrzehnten dominiert, insbesondere seit dem Kalten Krieg. Und nun ist da eine Grossmacht, die rapide aufschliesst. Es ist kein Leichtes, sich an diese neue Realität zu gewöhnen.
Als Grossmacht sollte China auch Verantwortung übernehmen. Warum wirkt es nicht auf Russland ein, damit dieses den Krieg in der Ukraine beendet?
Vor allem in den USA herrscht die Meinung vor, Putin sei so abhängig von Xi, dass Xi ihm sagen könne, was er zu tun habe. Und der Westen glaubt, Russland sei Chinas Juniorpartner. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass Peking das nicht so sieht. Ich glaube, man überschätzt den Einfluss, den China auf Russland hat.