Der neue US-Präsident wird die Börsen bewegen. Obwohl die Hektik zunehmen dürfte, stehen die Zeichen auf Fortsetzung der Hausse. Das gilt trotz der steigenden Zinsen.
Am Tag vor der Vereidigung des 47. Präsidenten der USA waren die Sonntagszeitungen voll von Abhandlungen darüber, was von der Präsidentschaft Donald Trumps zu erwarten sei. Allein die «NZZ am Sonntag» führte fünf Artikel zum Thema.
«Die Zeit der Monster» gab bereits im Titel die Richtung vor (Anm. d. Red.: Die Titel der Online-Beiträge sind nicht immer identisch mit denen in der gedruckten Ausgabe).
«Es ist die Wirtschaft, welche die Welt nun zusammenhält» war ein anderer Titel und offerierte einen Lichtblick: Wirtschaftliche Interessen werden es schon irgendwie richten.
«Sohn eines Soziopathen» beschäftigte sich mit den Vätern von Donald Trump und Elon Musk und interpretierte deren Einfluss auf die Entwicklung ihrer Söhne.
Über die falsche Strategie der Demokraten über Jahrzehnte, derzufolge Trump die Wahlen gewinnen konnte, liess sich der Artikel unter dem Titel «‹Great Awakening› war die grosse Illusion der Demokraten» aus.
«Europa sollte Trump ernst, aber nicht wörtlich nehmen, statt wörtlich aber nicht ernst» empfahl ein weiterer Autor.
Das waren alles sehr lesenswerte Analysen und Meinungen, die vor allem eines zeigten: Die Politik wird emotionaler. Und wenn die Politik emotionaler wird, werden die Börsen politischer. Das Dictum, dass politische Börsen kurze Beine haben, gilt nicht mehr.
Die Last der Versäumnisse wirkt schwer
Was mich nach dem Lesen obgenannter Beiträge interessierte, war vor allem, wie es dazu kommen konnte, dass das wirtschaftsmächtige Europa mit Sorge und vielfach sogar Angst auf die Amtseinführung eines neuen Präsidenten des grössten Verbündeten blicken muss.
Dazu habe ich das Buch «Tony Judt. When the Facts Change» von Jennifer Homans aus dem Regal geholt. Judt war ein britisch-amerikanischer Historiker und Publizist, der mit spitzer Zunge, scharfer Feder und dicker Haut Präsenz zu schaffen wusste und eine brillante akademische Karriere hinter sich brachte.
Das Buch enthält Essays, die er zwischen 1995 und 2010 veröffentlicht hat. Ich beschränke mich auf eines, das im März 2003 unter dem vielsagenden Titel «The Way We Live Now» erschienen ist.
Darin diagnostiziert der Autor Versäumnisse historischen Ausmasses auf amerikanischer Seite, deren Führer die Beziehungen zu ihren engsten Verbündeten in der internationalen Völkergemeinschaft verkommen liessen.
Allerdings tadelt er auch die Europäer, die unter dem atomaren Schutzschirm der USA eine Dystrophie ihrer militärischen Fähigkeiten in noch nie dagewesenem Ausmasse zugelassen hätten.
Er beklagt die Unfähigkeit der Europäischen Union, sich auf eine schlagfertige Aussenpolitik festzulegen.
Deutschland auf einer Eben mit Kuba und Libyen
Wie frostig die Beziehungen zwischen den USA und Europa geworden seien, dokumentiere die Bezeichnung Deutschlands als «Paria-Staat» durch den US-Verteidigungsminister, womit einer der grössten Verbündeten der USA auf eine Ebene mit Kuba und Libyen versetzt worden sei.
Etwas mehr als zwanzig Jahre später ist die Europäische Union weder aussenpolitisch eine ernstgenommene Entität, noch sind die europäischen Staaten in der Lage, sich militärisch zu behaupten.
Und die Schweiz? Hierzulande haben immer noch viele nicht gemerkt, dass die Blockbildung in der Welt voranschreitet und die «fremden Richter» des Europäischen Gerichtshofs vernünftigerweise als eine kleinere Gefahr erkannt werden sollten als Potentaten aus anderen Blöcken.
Die alten Probleme in der transatlantischen Beziehung werden unter Trump mit bislang nicht gekannter Vehemenz aufbrechen. Seine Politik wird im In- und Ausland auf vielen Ebenen disruptiv sein. Die Widersprüche seiner Handels-, Migrations- und Finanzpolitik wird er nicht einsehen können oder wollen. Die Auswirkungen seiner Politik werden oft schwer einzuschätzen sein. Seine Rhetorik wird antagonisieren. Das wird die öffentliche Debatte emotionalisieren. Daher wird die Politik einen grösseren Einfluss auf die Börsen haben.
Was bedeutet das für Strategie und Taktik?
Strategie ist in den persönlichen materiellen und ideellen Ressourcen, Toleranzen und Zeitfenstern verankert. Sie wird durch den Wechsel in Washington nicht betroffen. Sie wird nie durch exogene Faktoren betroffen.
Die Taktik ist etwas anderes.
Auf dieser Ebene wird es besonders wichtig sein, die jeweilige Nachrichtenflut in Kontext mit dem gesamten Korpus an verwerteten und verarbeiteten Informationen zu stellen und nicht der Versuchung zu erliegen, die neueste und daher am schnellsten verfügbare Information als die wichtigste oder gar als die einzig wichtige anzusehen.
Solide Kenntnisse, wie das komplexe adaptive System Börse grundsätzlich funktioniert, werden elementar sein, um die richtigen Entscheide zu fällen.
Tony Judt zitiert in einem anderen Essay den amerikanischen Historiker John Lewis Gaddis, der in seinem Buch «We Now Know: Rethinking Cold War History» folgenden Satz geprägt hat: «Nightmares always seem real at the time – even if in the clear light of dawn, a little ridiculous». Denken Sie daran, wenn wieder einmal das inflationär verwendete Wort «Krise» die Runde macht. Mit Trump im Weissen Haus wird es häufiger in Erscheinung treten.
Denken Sie auch daran, dass, im Markt selbst endogen die Voraussetzungen geschaffen worden sein müssen, damit exogene Ereignisse starke Kurseinbrüche auslösen können, wie Professor Didier Sornette in «Why Stockmarktes Crash» festgestellt hat. Dass dem so ist, weiss ich aus eigener Erfahrung. Das trifft selbst auf steigende Zinsen zu, wie folgende Zahlen belegen:
Dass der S&P 500 bei steigenden Zinsen zulegen kann, entspricht nicht der Lehre.
Zwar führen steigende Zinsen meistens zu Kursrückschlägen, aber eben nicht immer. Selbst in diesem Fall müssen die Voraussetzungen für eine toxische Wirkung auf die Kurse im Markt endogen vorhanden sein. Womit wir beim Rat von Robert Schuhmann sind, mit dem er die «Musikalische Haus- und Lebensregeln» schliesst: «Es ist des Lernens kein Ende».
Alfons Cortés