Ausgegrenzt, eingeschüchtert und gemobbt: In einem Untersuchungsbericht der Harvard University erzählen jüdische Studierende, welchen Repressionen sie ausgesetzt waren. Vielen.

Der Präsident wählte deutliche Worte. Im vergangenen Monat bezeichnete Donald Trump die Harvard University als «Bedrohung für die Demokratie». Die traditionsreiche Elitehochschule sei eine «antisemitische, linksextreme Institution». Auf der Nachrichten-Plattform Truth Social schrieb er, Harvard nehme Studenten aus der ganzen Welt auf, die «unser Land auseinanderreissen wollen». Die Universität erlaube es einer Gruppe von «Verrückten», Zorn und Hass zu verbreiten, und schreite selbst dann nicht ein, wenn es zu unhaltbaren Zuständen komme. Die Regierung will Harvard deshalb Fördermittel in Milliardenhöhe streichen.

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Trumps Vorwürfe waren nicht unbegründet. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 war es in Harvard mehrmals zu propalästinensischen oder besser: antiisraelischen Kundgebungen gekommen, bei denen der Angriff der Hamas gerechtfertigt und zur Vernichtung Israels aufgerufen wurde. Zahlreiche Professoren und Vertreter der Hochschule hatten die Anliegen der antiisraelischen Aktivisten unterstützt. Im Dezember 2023 musste sich die Harvard-Präsidentin Claudine Gay vor einem Ausschuss des amerikanischen Kongresses erklären. Auf die Frage, ob Aufrufe zum Genozid an Juden mit den Regeln der Harvard University vereinbar seien, sagte sie, das komme «auf den Kontext» an.

Eine haarsträubende Antwort. Aber ganz offensichtlich beschrieb sie das Klima, das in Harvard herrscht, ziemlich genau. In einem Untersuchungsbericht, der vor einigen Tagen publiziert wurde, räumt die Harvard University selbst ein, auf dem Campus herrsche eine antisemitische Stimmung. Auf mehr als dreihundert eng bedruckten Seiten wird rapportiert, wie jüdische Studierende ausgegrenzt, eingeschüchtert und gemobbt wurden. Und wie allein schon die Aussage, der Staat Israel habe ein Existenzrecht, dazu führen konnte, dass Studenten aus Diskussionen ausgeschlossen wurden oder Studierende den Kontakt zu ihnen abgebrochen haben.

Im Widerspruch zu den Werten von Harvard

Der Bericht war vor über einem Jahr in Auftrag gegeben worden. Anfang Januar 2024 war Claudine Gay zurückgetreten. Ihr Nachfolger als Harvard-Präsident, Alan Garber, rief umgehend zwei Task-Forces ins Leben. Die eine sollte den Vorwurf prüfen, die Universitätsleitung gehe zu wenig gegen antisemitische Hetze vor. Die andere sollte untersuchen, ob auch propalästinensische und arabische Studierende unter Repressionen zu leiden hätten.

Beide Berichte beruhen auf Befragungen von Studenten, Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern. Überprüft wurden ihre Angaben nicht. Doch was aus den mehreren hundert Gesprächen hervorgeht, die die Task-Force führte, das stellt Harvard ein vernichtendes Zeugnis aus. «Es ist klar», resümiert der Bericht, «dass entscheidende Entwicklungen in der Universität im Widerspruch stehen zu den Werten, die die Institution nach aussen vertritt.» Und: Die Universität habe es nicht vermocht, die Studierenden zu mässigen, sondern habe im Gegenteil dazu beigetragen, sie zu radikalisieren.

Wie das geschah, dafür bietet der Bericht ausreichend Beispiele. Schon vor dem 7. Oktober 2023 habe ein israelfeindliches Klima geherrscht, hält die Task-Force fest. Aber seit dem Überfall der Hamas hätten sich die Tendenzen massiv verstärkt. Mehr als dreissig Studentengruppen bezeichneten in öffentlichen Statements einhellig Israel als verantwortlich für das Massaker. Jüdische Studierende schildern, dass sie den Eindruck hatten, allein ihre Anwesenheit auf dem Campus werde von den propalästinensischen Aktivisten als Provokation gewertet.

Unterdrücker und Unterdrückte

Laut dem Bericht hatten Vertreter der Israel-Boykott-Bewegung BDS in Harvard seit 2005 darauf hingewirkt, Israel als bösartigen Siedlerstaat zu brandmarken, der keine historische Verbindung zu seinem heutigen Staatsgebiet habe. Mit Erfolg. In vielen Lehrplänen, Seminaren und Forschungsprogrammen der Uni gilt dies als unhinterfragte Position. Und sie blieb nicht wissenschaftliche Theorie, sondern wurde benutzt, um jüdische Studierende zu mobben. In «privilege trainings» wurde ihnen erklärt, dass weisse Juden einer besonders privilegierten Gruppe angehörten. Und dass alle Juden verantwortlich seien für das, was in Gaza und im Westjordanland geschehe.

Das wurde den jüdischen Studierenden nicht nur vorgehalten, man liess es sie auch fühlen. Einem propalästinensischen Studenten, der sich weigerte, zusammen mit einem Israeli eine Arbeit zu schreiben, wurde ein anderer Kommilitone zugeteilt, obwohl der Kurs weder mit Israel noch mit Gaza zu tun hatte. Als Begründung führte der Dozent an, für einen Studenten, der eine «unterdrückte Gruppe» unterstütze, sei es nicht zumutbar, mit dem Vertreter der «Unterdrückergruppe» zusammenzuarbeiten.

Jüdische Studenten berichten von verschiedenen Formen von Ausgrenzung und Mobbing: Kommilitonen weigerten sich, mit ihnen zu sprechen, wenn sie eine Kippa trugen. Aktivisten hätten die Studierenden auch explizit dazu aufgefordert, sich so zu verhalten. Oft seien Gespräche auch unvermittelt abgebrochen worden, wenn ein Gesprächspartner zu erkennen gegeben habe, dass er Israeli sei. Sie hätten sich der Ausgrenzung entziehen können, sagen einige der Befragten, wenn sie Israel denunziert und sich damit «auf die Seite der Guten» geschlagen hätten. Viele Studierende sagten, die Einschüchterung habe dazu geführt, dass sie Seminare oder Kurse abgebrochen hätten. Einige verliessen Harvard ganz.

«Enttäuschend und schmerzhaft»

Interessanterweise kommt der zweite Bericht, der sich antimuslimischen und antipalästinensischen Vorfällen widmet, zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch muslimische, arabische und propalästinensische Studierende geben an, sie würden daran gehindert, auf dem Campus ihre Meinung offen auszudrücken. Das ist ziemlich überraschend, wenn man sich daran erinnert, dass der Harvard-Campus nach dem 7. Oktober wochenlang zum propalästinensischen Protestcamp geworden war.

Palästina-Solidaritätskomitees hatten Installationen errichtet, in denen sie an die Opfer der israelischen Verteidigungsoffensive in Gaza erinnerten. Überall wehten palästinensische Fahnen, auf Transparenten wurde ein Ende der «israelischen Besetzung» gefordert, Israel wurde als Apartheidstaat bezeichnet und das Vorgehen der israelischen Armee als «Genozid» angeprangert. Proisraelische Kundgebungen? Die gab es auch. Aber in kaum nennenswertem Umfang. Dass sich die propalästinensischen Aktivisten davon beeinträchtigt gefühlt hätten, ist höchst unwahrscheinlich. Obwohl es in Harvard auch zu antimuslimischen Ausfällen zwischen Studierenden kam.

In einem Fall reagierte auch die Unileitung: Dreizehn Studierenden wurde der Studienabschluss verwehrt, weil sie an antiisraelischen Protesten teilgenommen hatten – was zu einer Solidarisierungswelle unter gleichgesinnten Studierenden führte. Ein generell antimuslimisches Klima scheint sich daraus allerdings nicht ergeben zu haben. Antisemitismus dagegen scheint in Harvard fast systemisch.

Immerhin galt oder gilt die Ansicht, Israel habe kein Existenzrecht, in vielen Lehrveranstaltungen als Grundlage der wissenschaftlichen Arbeit. Der Harvard-Präsident Alan Garber bezeichnete die Ergebnisse der Untersuchungsberichte als «enttäuschend und schmerzhaft» und kündigte umgehend Massnahmen an. Sie sind dringend notwendig.

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