Montag, September 30

Die Abschlüsse grosser Tech-Konzerne fallen mehrheitlich durchwachsen bis enttäuschend aus. Die jüngsten Beispiele sind Apple, Amazon und Intel. Es kommen mehr und mehr Zweifel auf, ob sich die massiven Investitionen in künstliche Intelligenz auszahlen. An den Börsen herrscht Sturmwarnung.

Die Nervosität nimmt zu. Die amerikanischen Börsen tendieren seit bald drei Wochen schwächer. Unter Druck stehen vor allem Aktien aus dem Technologiesektor. Der Nasdaq 100 ist am Donnerstagabend 2,4% tiefer aus dem Handel gegangen. Seit dem Rekordhoch vom 10. Juli hat der Index mit den grössten Tech-Werten annähernd 9% eingebüsst.

Investoren sehen sich mit unerfreulichen Nachrichten konfrontiert. Die Anzeichen einer Konjunkturabkühlung in den USA nehmen zu. Jüngstes Beispiel ist der Einkaufsmanagerindex zum verarbeitenden Gewerbe, wo sich der Abschwung im Juli weiter akzentuiert hat. Die Rendite zehnjähriger Treasuries ist seit Ende April von 4,7 unter 4% gefallen; ein deutliches Marktsignal, dass sich die Aussichten zur Wirtschaft eintrüben.

Hinzu kommt die Ungewissheit hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen, wo das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump laut den neusten Umfragedaten jetzt praktisch ausgeglichen ist. Mit dem «Trump Trade» – sofern er in den vergangenen Wochen überhaupt einen nennenswerten Effekt auf den Gesamtmarkt hatte – ist es vorbei.

Für Verunsicherung sorgen aber vor allem durchwachsene Unternehmenszahlen. Mit Apple und Amazon haben am Donnerstagabend die letzten zwei Superschwergewichte aus dem Tech-Sektor den Abschluss zur laufenden Berichtssaison vorgelegt (Nvidia präsentiert das Ergebnis erst am 28. August). Das Quartalsergebnis von Amazon enttäuscht. Der Kurs tendierte nachbörslich knapp 7% schwächer. Keine grösseren Emotionen löst das Resultat von Apple aus.

Für einen Schocker sorgt Intel. Der Halbleiterkonzern verfehlt die Erwartungen und dämpft den Ausblick. «Die Trends in der zweiten Jahreshälfte bringen mehr Herausforderungen mit sich, als wir erwartet haben», räumt Konzernchef Pat Gelsinger ein. Das hat Konsequenzen. Im Rahmen eines Sparprogramms werden 15’000 Stellen abgebaut, mehr als 15% der Belegschaft. Die Dividende, die Intel bereits im Februar 2023 um gut 65% kürzen musste, wird vollständig gestrichen. Die Aktien sackten nachbörslich 19% ab.

Die Kursreaktion auf die Quartalszahlen hängt natürlich auch immer von der generellen Stimmung am Markt ab. Eine wichtige Rolle spielt ebenso, wie sich eine Aktie im Vorfeld der Resultatpublikation entwickelt hat. Doch abgesehen von Ausnahmen wie Meta Platforms, SAP oder IBM ist der Grundtrend zu den Abschlüssen mehrheitlich negativ. Ausser im Fall von Intel fällt die Reaktion im Fall Arm, ASML und Tesla besonders harsch aus.

Das Narrativ ändert sich

Thematisch dreht sich auch diese Berichtssaison alles um künstliche Intelligenz und grosse Sprachmodelle wie ChatGPT. Wie gross die Konfusion über die Chancen und Risiken der neuen Technologie sind, verdeutlicht sich am erratischen Kursverlauf an Nvidia und anderen Halbeiterwerten.

Die Aktien des grössten KI-Profiteurs hat es in den vergangenen drei Tagen um jeweils rund 7 bis 13% hin und her geschleudert. Gemessen an der Marktkapitalisierung entspricht das Bewegungen in der Grössenordnung von 200 bis 330 Mrd. $. (Zum Vergleich: Der gesamte Börsenwert von Coca-Cola beträgt rund 290 Mrd. $). Zum Stand vom Donnerstagabend haben die Titel seit dem Allzeithoch vom 18. Juni annähernd 20% verloren. Der PHLX Semiconductor Index notiert knapp 18 im Minus.

Wie aus den Abschlüssen der grössten Tech-Konzerne hervorgeht, heizt sich das Wettrüsten um Rechenkapazitäten für KI-Modelle weiter auf. Microsoft beispielsweise hat die Kapitalinvestitionen in Computerchips und Rechenzentren in der Berichtsperiode um 55% auf 13,9 Mrd. erhöht. Für das gesamte Geschäftsjahr per Ende Juni sind sie von 28,1 auf 44,5 Mrd. $ gestiegen. Gemäss dem Management um CEO Satya Nadella werden sie fortan sogar noch höher ausfallen.

Microsoft hat den Investitionsboom letztes Jahr gestartet. Beim Google-Mutterkonzern Alphabet, bei Meta Platforms und bei Amazon klingt es ähnlich. Die Kapitalausgaben nehmen 2024 deutlich zu und sollen 2025 weiter steigen.

Auffällig ist, dass sich das Narrativ verändert. Bisher hatten die Tech-Titanen unbeirrbare Zuversicht demonstriert, dass sie mit neuen KI-Anwendungen wie Chatbots auf grossen Bedarf stossen. Inzwischen sind sie mit solchen Aussagen vorsichtiger – zumindest, was die absehbare Entwicklung der Nachfrage betrifft. So bezeichnet Microsoft den KI-Assistenten Copilot bloss als «Helfer», wenn es um den Verkauf der Bürosoftware Office geht. Mit anderen Worten: Ein Umsatzschub zeichnet sich unmittelbar nicht ab.

Dadurch nehmen Zweifel bei Anlegern zu, inwiefern sich die massiven Investitionen auszahlen werden. Die Äusserungen aus den Chefetagen von Big Tech beruhigen diesbezüglich wenig.

«Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich lieber das Risiko eingehen, Kapazitäten aufzubauen, bevor sie benötigt werden, als zu spät, da die Vorlaufzeiten für die Entwicklung neuer Infrastrukturprojekte sehr lang sind», meinte etwa Meta-Chef Mark Zuckerberg am Mittwoch. Das Unternehmen erhöht die Prognose zu den Kapitalinvestitionen für dieses Jahr von 35 bis 40 Mrd. $ auf 37 bis 40 Mrd. $, und für 2025 wird eine «signifikante» Zunahme erwartet.

Im Prinzip wiederholte Zuckerberg, was Alphabet-CEO Sundar Pichai schon letzte Woche sagte. Die Kapitalinvestitionen des Internetkonzerns sind in der Berichtsperiode um mehr als 90% auf 13,2 Mrd. $ gestiegen. Im zweiten Halbjahr sollen sie sich auf jeweils mindestens 12 Mrd. $ pro Quartal belaufen. «Wenn man eine solche Kurve durchläuft, ist das Risiko, zu wenig zu investieren, dramatisch grösser als das Risiko, zu viel zu investieren», rechtfertigte Pichai den beträchtlichen Zuwachs.

Amazon spürt die Konsumschwäche in den USA

Vorerst dürfte künstliche Intelligenz damit nur einen begrenzten Effekt auf den Umsatz und Gewinn der Branchenriesen haben. Wichtiger für den Geschäftsverlauf im weiteren Jahresverlauf ist, wie sich die allgemeine Konjunkturlage entwickelt. Dass sich der Konsum in den USA abschwächt, spürt mittlerweile selbst Amazon.

Der Konzern meldet für das zweite Quartal ein Umsatzwachstum gegenüber dem Vorjahr von 10% auf 148 Mrd. $, womit sich das Tempo im Vergleich zum ersten Quartal (12,5%) verlangsamt hat. Analysten hatten mit 148,6 Mrd. $ mehr erwartet. Im Kernmarkt Nordamerika haben die Einnahmen im E-Commerce-Geschäft nur noch 9% zugenommen, nachdem es in den ersten drei Monaten 12% waren.

In den US-Onlinehandel kontrolliert Amazon einen Marktanteil von rund 40%. «Wir sehen im Moment niedrigere durchschnittliche Verkaufspreise, weil die Kunden weiterhin nach günstigeren Angeboten suchen», sagte Konzernchef Andy Jassy bei der Ergebnispräsentation. «Diskretionäre Artikel mit höheren Preisen wie Computer, Elektronik oder Fernsehgeräte wachsen bei uns schneller als bei anderen in der Branche, aber langsamer als in einem robusteren Wirtschaftsumfeld.»

Weniger schnell expandieren ebenfalls die Einnahmen mit Online-Werbung. Für die Berichtsperiode resultiert ein Zuwachs von 20% auf rund 12,8 Mrd. $, was knapp hinter der Konsensschätzung zurückbleibt. Zum Vergleich: Meta rapportierte ein Umsatzwachstum mit Internetwerbung von 22%, Google verzeichnete eine Zunahme von 11%. Im Fall des deutlich kleineren Branchennachbars Snap sind es 16%.

Für das laufende Quartal stellt Amazon 154 bis 158,5 Mrd. $ Umsatz in Aussicht, was eine Verbesserung um 8 bis 11% impliziert. Der Mittelpunkt der Prognose liegt bei 156,25 Mrd. $, wogegen Analysten bisher mit 158,2 Mrd. gerechnet hatten.

Bei der Ertragskraft hält Amazon derweil den Kurs. Im Bereich E-Commerce hielt sich die operative Marge in Nordamerika trotz des Preisdrucks im Berichtszeitraum mit 5,2% auf einem gesunden Niveau. International arbeitet der Konzern mit einer Marge von 0,9% weiterhin profitabel.

Positiv überrascht die Cloud-Infrastruktursparte AWS, die Rechen- und Speicherleistung übers Internet anbietet. Das Umsatzwachstum des Branchenleaders beschleunigte sich 19% auf 26,3 Mrd. $, was die Analystenprognosen von 26 Mrd. $ übertraf. Besser als erwartet hat sich im zweiten Quartal ebenso das Cloud-Geschäft von Google entwickelt, wogegen die Cloud-Sparte Azure von Microsoft enttäuschte.

Apple: Probleme im Kerngeschäft

Eine eher gemässigte Strategie im Bereich künstliche Intelligenz fährt Apple. Der iPhone-Konzern investiert zwar ebenfalls mehr. Verglichen mit Microsoft, Alphabet, Amazon und Meta belaufen sich die Kapitalausgaben von lediglich rund 2 Mrd. $ jedoch auf einen Bruchteil.

Ein wichtiger Test für das Potenzial neuer KI-Anwendungen steht im Herbst an, wenn Apple die nächste iPhone-Generation lanciert. Konzernchef Tim Cook blieb diesbezüglich beim Earnings Call am Donnerstagabend zurückhaltend. «Es ist sehr schwierig mitten im Zyklus eine Prognose zur Rate der Aktualisierungen zu machen», sagte er. Er meint damit den Anteil Nutzer, die sich ein neues iPhone kaufen werden. Apples neue KI-Dienste bezeichnete er als «einen weiteren Grund für ein attraktives Upgrade.» Auch das klingt nicht wirklich nach einem grösseren Schub dank künstlicher Intelligenz.

Eine deutliche Belebung des Kerngeschäfts hätte Apple aber dringend nötig. Das Wachstum hat sich in den letzten zwei Jahren markant abgeflacht. Die iPhone-Verkäufe, die annähernd die Hälfte der konzernweiten Einnahmen ausmachen, haben sich im Quartal per Ende Juni im Vorjahresvergleich um rund 1% auf 39,3 Mrd. $ verringert. Dies, nachdem sie in der vorangegangenen Berichtsperiode um 10% gesunken waren.

Immerhin: Insgesamt kann Apple über ein Umsatzwachstum von 5% auf 85,8 Mrd. $ berichten. Das Unternehmen übertrifft damit die Analystenerwartungen von 84,5 Mrd. $ und weist die grösste Zunahme der Verkäufe seit dem September-Quartal 2022 auf. In der laufenden Berichtsperiode soll sich das Wachstum in einer ähnlichen Grössenordnung bewegen.

Massgeblich verantwortlich für die besser als erwartete Performance ist die positive Entwicklung bei Diensten wie dem App-Store (+12%) und bei iPad-Geräten (+24%), wo Apple in der Berichtsperiode gleich drei neue Versionen auf den Markt gebracht hat. Letztmals hatte der Konzern 2022 eine neue iPad-Generation lanciert, was auf einen angestauten Bedarf schliessen lässt.

Schwierig bleibt die Situation in der Grossregion China, zu der das Unternehmen Hongkong und Taiwan zählt. Gemäss dem Researchdienst Canalys ist Apples Anteil im chinesischen Smartphone-Markt im zweiten Quartal weiter auf 14% geschrumpft, womit der Konzern nicht mehr zu den Top-5 gehört. Der Konkurrenzdruck heimischer Anbieter wie Vivo, Oppo, Honor und Huawei bleibt gross. Apples Umsatz reduzierte sich fast 7% auf 14,7 Mrd. $.

Anlagestrategien für unsichere Zeiten

Apple und Amazon setzen den Schlusspunkt zur Berichtssaison von Big Tech. Generell lässt sich festhalten, dass der Sektor nach dem Hype um künstliche Intelligenz in den letzten anderthalb Jahren reif für eine Korrektur ist.

Ob es sich bei den Kursverlusten nur um ein Sommergewitter handelt oder um erste Turbulenzen eines grösseren Sturms, ist schwierig zu sagen. Fest steht, dass sich in jeder Bereinigung Chancen eröffnen. Sollte es zu weiteren Erschütterungen kommen, werden sich Gelegenheiten für Engagements eröffnen.

Aus einer taktischen Perspektive könnte sich beispielsweise eine Wette auf Softwareaktien lohnen. Die Titel hinken an der Börse schon seit einiger Zeit her. Angesichts des eher defensiven Profils sollte sich die Branche bei einem Konjunkturabschwung besser schlagen als andere Segmente des Tech-Sektors. Sinkende Zinsen dürften zudem etwas Druck von den Bewertungen nehmen.

Bei Einzeltiteln zählt Amazon unter den grössten Tech-Konzernen weiterhin zu den Favoriten. Der Onlinekonzern ist im Retail-Geschäft zwar gegenüber einer Abkühlung der Wirtschaft exponiert. Bisher konnte er in solchen Phasen aber stets Marktanteile gewinnen. Die stabile Entwicklung der Margen zeugt von anhaltender Kostendisziplin. Die Beschleunigung des Wachstums im überaus profitablen Cloud-Geschäft ist ermutigend.

Einen Dämpfer hat Qualcomm erlitten. KI-Fantasie hatte dem Spezialisten für Mobilfunkchips zuletzt kräftig Auftrieb gegeben. Daher ist gut möglich, dass die Situation auf kurze Sicht volatil bleibt. Dem Quartalsabschluss lassen sich aber keine Anzeichen für fundamentale Probleme entnehmen. Im Gegenteil: Das Unternehmen ist ausgezeichnet für strukturelles Wachstum positioniert, und die Bewertung ist im Vergleich zur Branche und zum Gesamtmarkt wenig anspruchsvoll (KGV für nächste zwölf Monate: 15).

Kompliziert bleibt der Fall Intel. Eine Turnaround-Story braucht Geduld und starke Nerven. Doch das Management hat mit allzu optimistischen Prognosen viel Vertrauen verspielt. Auf technologischer Ebene scheinen die Dinge wenigstens nach Plan zu laufen, um das Unternehmen wieder in Form zu bringen. Der A18-Fabriktationsprozess, mit dem Intel gegenüber den asiatischen Herstellern TSMC und Samsung Electronics bei der Chipproduktion ebenbürtig sein will, soll Anfang nächstes Jahr marktreif sein.

Mit Blick nach vorne zeichnet sich ein binäres Szenario ab: Entweder gelingt es, zur Konkurrenz aufzuschliessen. Das gilt vor allem auch beim Design von Rechenprozessoren, wo Nvidia und AMD in Führung sind. Oder der Konzern wird Ende 2025 in seiner heutigen Form nicht mehr existieren. Ein Comeback scheint nach wie vor möglich und sollte an der Börse reichlich belohnt werden. Doch die Chancen standen auch schon besser. Wer die Titel im Portfolio hat, muss deshalb schlimmstenfalls das Risiko eines permanenten Kapitalverlusts tragen können.

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