Achtung, falsche Fährte in der Front-Row! Mit ihrer Vorliebe für Celebrity-Imitatoren macht die Modewelt derzeit Las Vegas Konkurrenz. Aber warum?
Man sah ihn schon von weitem. Sein Bademantel leuchtete wie ein weisser Schafspelz inmitten der schwarz gekleideten Modeherde, die an diesem verregneten Montagabend im September zur Balenciaga-Show in Paris gekommen war. Statt wie die der anderen Gäste mit Gel nach hinten frisiert, standen seine Haare ab in alle Richtungen. Statt vorsichtig auf hohen Hacken zu gehen, mäandrierte er vergnügt in flachen Hotelschlappen die Front-Row entlang. Drink in der rechten Hand, Zigarre in der linken.
Man sah ihn schon von weitem: Jack Nicholson. Schauspieler, Hollywood-Star, Lebemann. Von nahem aber, und auch dann nur mit Mühe, sah man wirklich: Alexis Stone. Drag-Performer, professioneller Imitator von Prominenten, mittlerweile selbst Prominenter. Sechs Stunden lang transformierte sich Stone mittels Prothesen und Make-up. Geladen (und vermutlich auch bezahlt) wurde er von Balenciaga. Während der Show sass er der Sängerin Katy Perry gegenüber. Der echten Katy Perry, versteht sich.
Stars in Anführungs- und Schlusszeichen
Immer wieder geht die Modewelt den Doppelgängern auf den Leim. Allein 2024 hat «Kate Moss» für die Designerin Marine Serre und das neue, gehypte «Myth Magazine» gemodelt, «Madonna» die Diesel-Show in Mailand besucht und «Beyoncé» die neue Tasche von Alexander Wang in einer Videokampagne beworben. Von echter Prominenz wimmelt es an Fashion-Weeks, auf Magazincovers und in Werbekampagnen schon seit Jahrzehnten. Die beiden Sphären sind untrennbar und symbiotisch miteinander verschränkt. Doch nun haben sich Finten eingeschlichen, und viele davon sind nicht minder glamourös.
Nicht nur in der Modewelt liebt man das Spiel mit den Doppelgängerinnen und Doppelgängern. Die Tendenz zu solchen Hommagen passt hervorragend in eine Gesellschaft, die besessen ist von Neuauflagen schon existenter Produkte – der geplanten «Harry Potter»-Serie oder der Kinder von Prominenten etwa.
Erst diese Woche sorgte ein Wettbewerb in New York City für Doppelgänger des Schauspielers Timothée Chalamet für Aufsehen. Wegen des grossen Aufkommens wurde der Park, in dem er stattfand, von der Polizei geräumt; sogar Timothée Chalamet selbst tauchte auf (er nahm nicht teil am Wettbewerb).
Doppelgänger seien «auf einer spirituellen Ebene interessant», erklärt der Autor Jacob Rubin die Faszination. Er verfasste seinen Roman «The Poser» über einen fiktionalen Nachahmer und hat sich darum intensiv mit den Mechanismen dieses Entertainment-Genres beschäftigt. «Wir wissen alle, dass das Äussere nur eine Ebene der Realität ist und dass darunter alle möglichen Dinge vor sich gehen. Deswegen ist es aufregend zu sehen, wie Menschen damit spielen», erklärt er im Videocall.
Das Getue in der ersten Reihe
Imitatoren von Prominenten gibt es schon fast so lange, wie es Prominente gibt. Oft überdauern sie ihr Idol selbst: Manche Elvis-Kopien in glitzernden Jumpsuits verkörpern Elvis schon länger als die 42 Jahre, die er lebte.
Auch Modedesigner sind nicht erst kürzlich auf den Geschmack gekommen. 1998 lud der damalige Nachwuchsdesigner Julien Macdonald einen «Michael Jackson» zu seiner Show an der London Fashion Week ein. Der Imitator trug eine schwarze Hygienemaske und sass in der Front-Row neben der Modemäzenin Isabella Blow, die ihm, so wurde es berichtet, all seine erfundenen Geschichten aus dem Leben als King of Pop glaubte. Es war ein Kommentar zur zunehmenden Wichtigkeit von prominenten Gästen an Shows. Und erst noch einfacher und preiswerter, als den echten Michael Jackson zu engagieren.
Die Aktion festigte Macdonalds Image als Bad Boy der Londoner Modeszene. Denn schon damals wurde Kritik laut. Mit seinem «Getue» in der ersten Reihe habe er «von der stillen Eleganz der schlichten schwarzen Outfits mit Spitzenbesatz abgelenkt», schrieb die Modejournalistin Suzy Menkes über den falschen Michael Jackson.
Eine Kate Moss, die nicht altert
Das hat Nachahmungen des Nachahmens nicht verhindert. Im Gegenteil: Social Media hat sie attraktiver gemacht. Besonders für nischige Designer, die mit ihren Shows sonst kaum über Branchenportale und Instagram hinaus Schlagzeilen machen. 2020 liess das Modelabel Vetements Imitatorinnen und Imitatoren von Stars wie Naomi Campbell, Angelina Jolie, Snoop Dogg und Kate Moss seine neue Kollektion präsentieren und flutete damit die sozialen Netzwerke. Über die Kleider sprach kaum jemand.
Als im März 2024 dieselbe falsche Kate Moss bei der Show der Pariser Modedesignerin Marine Serre über den Laufsteg ging, titelte die «Daily Mail» enthusiastisch: «Kate Moss, 50, showcases her ageless good looks as she storms runway», Kate Moss zeige auf dem Laufsteg, wie alterslos und gut sie aussehe.
Nachdem die Zeitung die List erkannt hatte, beschrieb sie die Aktion im nun angepassten Artikel als «äusserst bizarr». Bildagenturen beschrifteten die Fotos mit dem Namen des Supermodels, bevor sie ihren Fehler korrigierten. Sogar das amerikanische Fernsehen berichtete danach über die Fälschung.
«Das ist ein Kompliment», sagt Andy Harmer über die Verwirrung, die er mit seiner Klientin Denise Ohnona stiftete. Wie die meisten Gründer von Vermittlungsfirmen für Imitatoren begann er selbst als einer: Harmer ist ein David Beckham mit etwas weniger definierten Gesichtszügen. Mit seiner Lookalikes Agency verzeichnet der Brite 2024 mehr Anfragen als üblich, wie er am Telefon bestätigt.
Social Media habe den Beruf grundlegend verändert. Das Zauberwort lautet dabei «organisch»: Statt für Werbespots und Nutzungsrechte bezahlen zu müssen, setzen Marken auf die Kettenreaktion von sogleich tausendfach online geteilten Videos und Bildern, die der Auftritt eines Nachahmers oder einer Nachahmerin entfesseln kann. Der Content wird für sie von den Zuschauenden hergestellt und verbreitet, quasi gratis. «Doppelgänger sind immer subjektiv», erklärt Harmer, «sie lösen eine Konversation aus.»
Schein und Sein
Die Bilder des Fotografen Brian Howell in seinem Buch «Fame Us» (2007) fokussieren sich genau auf diese Lücke zwischen der Person und der Persönlichkeit, die sie nachahmt – auf das unweigerliche «fast, aber nicht ganz», das sich in jede Kopie schleicht. Er porträtierte dafür professionelle Imitatoren in ganz Nordamerika. Sie schienen ihm «ein Nebenprodukt einer Kultur, die zunehmend von der Idee der Berühmtheit besessen ist. Die Menschen werden buchstäblich zu wandelnden Kopien prominenter Menschen», beschreibt er die Faszination in einer Mail.
Es ist dieser Bruch, der auch ihre Präsenz an den von echten Prominenten überschwemmten Modeschauen so störend und zugleich fesselnd macht. Sie betteln um einen zweiten Blick, ein Beweisvideo oder zumindest ein diskretes Anstupsen der Sitznachbarin.
Howells Bilder fangen etwas Zeitloses ein und deuten auf das künstlerische Interesse an solchen Imitationen hin. Sie erzählen vom Verschwimmen von Schein und Sein in minimalen Ausdrücken, einstudierten Posen, verstohlenen Blicken. Doch sie offenbaren auch, wie viel sich seitdem verändert hat: Prothesen sind besser geworden, und dank Filtern bei Snapchat und Tiktok kann sich jede Person mit dem Tippen eines Fingers auf dem Smartphone in jemand anderes oder jemand Schöneres transformieren.
Hinzu kommt die künstliche Intelligenz. Mit sogenannten Deepfakes kann man Prominente heute dazu bringen, digital praktisch alles zu sagen oder zu tun. «Kim Kardashian selbst ist im Grunde ein prothetisches Konstrukt», merkt Jacob Rubin an.
Der Mythos der Transformation
Das macht Doppelgängerinnen und Doppelgänger zu den Protagonisten eines kulturellen Brennpunkts. Nicht immer lösen sie deswegen Begeisterung aus. Eine Werbekampagne des Designers Alexander Wang zeigte diesen Sommer Doppelgängerinnen von Ariana Grande, Beyoncé, Taylor Swift und Kylie Jenner dabei, wie sie die neue Tasche des Labels auspackten. Die Videos stiessen auf eine Welle der Ablehnung. Artikel spekulierten, ob die prominenten Frauen rechtliche Schritte einleiten würden. Mittlerweile wurden die Videos zumindest auf dem offiziellen Tiktok-Account der Marke gelöscht. Sie hätten mit der Kampagne auf Deepfakes anspielen wollen, sagte eine Sprecherin von Alexander Wang.
Vielleicht ist der Trend hin zu Imitatoren also so etwas wie ein Aufbäumen einer Celebrity-Kultur, die sich verändert. Die Mode ist dabei mittendrin; der falsche Jack Nicholson balancierte an der Balenciaga-Show auf einer Grenze, die immer mehr verwischt. Doch wer profitierte schliesslich davon?
Sein Auftritt sei ein Marketing-Stunt, klar, sagte Alexis Rose in einem Interview mit der «New York Times». Aber es mache ihm auch Spass, als jemand anderes einen Anlass zu besuchen, bei dem alle damit beschäftigt seien, so gut wie möglich auszusehen. Damit hält er den anderen Anwesenden einen Spiegel vor. «Die Idee der Transformation scheint mir für die Mode zentral», sagt Jacob Rubin, «die Vorstellung, dass du, wenn du etwas Bestimmtes trägst, Zugang zu einem bestimmten Teil von dir erhältst oder etwas Bestimmtes werden kannst.»
Wohl deswegen sind die Imitatoren von der Modewelt mit offenen Armen empfangen worden. Nur ist ihr Anblick stets auch der Beweis dafür, dass man immer ein bisschen man selbst bleibt.