Donnerstag, Januar 30

Die Mitte holt ihr wichtigstes Personal weiter aus den traditionellen Gebieten.

«Das wäre über den Hag gefressen», drohte der damalige CVP-Parteisekretär Martin Rosenberg im Landessender Beromünster, als 1969 zur Debatte stand, ob der Urner Freisinnige Alfred Weber als Bundesrat kandidieren solle. Rosenberg meinte damit, dass es nicht infrage komme, dass der Freisinn in Uri «wildere». Denn Uri gehört zu den Stammlanden der damaligen Konservativen, der heutigen Mitte. Weber kandidierte in der Folge nicht.

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Die Mitte war ursprünglich eine konservative Partei und stand im 19. Jahrhundert rechts von der FDP. Sie hat sich aber in 175 Jahren stark gewandelt und siedelt sich heute links von der FDP an, im politischen Zentrum. Vor allem unter dem Parteipräsidenten Gerhard Pfister hat sie ihren Mitte-Kurs stark ausgeprägt, zum Missbehagen einer Anzahl eigener Ständeräte, die sich weiterhin konservativ positionieren. Trotz dem Wandel stützt sich die Mitte weiterhin stark auf ihre Stammlande.

Den Begriff Stammlande hat die Partei von den Habsburgern geborgt. Aber was meint eigentlich Stammlande im Zusammenhang mit der Mitte? Wo stammt die Partei her? Fragt man den Historiker Urs Altermatt, den früheren Freiburger Professor für Zeitgeschichte und besten Kenner des politischen Katholizismus in der Schweiz, dann sagt er: «Es ist ziemlich kompliziert.»

Er rechnet zu den Stammlanden eigentlich nur die acht Kantone des ehemaligen Sonderbundes, die an der Kantonalsouveränität festhalten wollten und den Bundesstaat bekämpften, also die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug, Freiburg und Wallis. Dazu kommt Appenzell Innerrhoden, das sich aus geografisch-strategischen Gründen (es war von den freisinnigen Kantonen St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden quasi eingekesselt) im Sonderbundskrieg neutral verhielt, obwohl es politisch-ideologisch mit den Sezessionswilligen übereinstimmte.

In diesen Kantonen war im 19. Jahrhundert der konservative politische Katholizismus zu Hause. «Entscheidend war der Kulturkampf», sagt Altermatt. Im Kulturkampf der 1870er Jahre spannten die liberalen Katholiken mit den Freisinnigen zusammen, hoben Klöster auf, setzten einen Bischof ab, verschärften den Kampf gegen die «Ultramontanen», die Papsttreuen. So konnte der politische Katholizismus in Kantonen wie Aargau und Solothurn oder dem heutigen Jura nie zu einer absoluten Mehrheit kommen.

Es gibt aber zwei Kantone ausserhalb des Sonderbundes, in denen die heutige Mitte vorübergehend die absolute Mehrheit innehatte: St. Gallen und Tessin. Sie sind gewissermassen Stammlande im weiteren Sinne. Dort stammt Markus Ritter her. Auch der Mitte-Präsident Gerhard Pfister sieht vor allem die ehemaligen Sonderbundskantone als Stammlande, fügt aber an: «Stammlande in diesem Sinne gibt es heute kaum mehr.» Er unterstreicht: «Heute ist Die Mitte in diesen Kantonen eine starke Partei, manchmal noch die stärkste.»

Interessant ist nun, dass mit einer Ausnahme alle 21 bisherigen Bundesräte der Mitte aus den Stammlanden (im engeren oder im weiteren Sinn) stammten: vier aus dem Tessin, je drei aus Luzern, Freiburg und dem Wallis, je zwei aus Zug, Appenzell Innerrhoden und St. Gallen, einer aus Obwalden. Die Ausnahme ist Doris Leuthard aus dem Aargau. Im Aargau gibt es regional zwar auch Hochburgen der Mitte, aber die Partei hatte im Kanton nie die absolute Mehrheit inne. Ebenso stammen von den 23 bisherigen Parteipräsidenten 17 aus den Stammlanden – neben drei Aargauern, einem Bündner und einem Thurgauer.

Auch die bisher genannten 20 möglichen Nachfolgerinnen und Nachfolger von Viola Amherd, die reihenweise absagten, stammen fast ausnahmslos aus den Stammlanden. Die Ausnahmen sind einerseits der Bündner Martin Candinas sowie die Aargauer Markus Dieth und Walter Thurnherr, die aus Kantonen mit bloss regionalen Mitte-Hochburgen stammen – beides (wie auch Glarus, Thurgau und St. Gallen) sogenannt «paritätische Kantone», weil sich dort früher die beiden Hauptkonfessionen ungefähr die Waage hielten.

Die Ausnahmen sind anderseits der Zürcher Philipp Kutter und der Basler Lukas Engelberger, die dorther stammen, wo die Parteipräsidenten seit etwa vierzig Jahren hinwollen: aus der städtischen, ursprünglich reformierten Agglomeration. Dorthin und zu den dortigen Wählerinnen und Wählern wollte ganz dezidiert der Parteipräsident Gerhard Pfister. Denn in den Stammlanden ist die Wählerschaft geschrumpft, unter anderem wegen des starken Vormarsches der SVP.

Doch obwohl es in den Reihen der Mitte längst reformierte und wohl auch konfessionslose Parteimitglieder gibt und obwohl die Partei längst auch in ursprünglich rein reformierten Städten wie Zürich, Basel und Bern über beträchtlichen Anhang verfügt, kommen die Inhaber von Spitzenpositionen nach wie vor aus den Stammlanden.

Daran hat auch nichts geändert, dass die Mitte dort überall die absolute Mehrheit im Kantonsparlament verloren hat – im Tessin 1889, in Freiburg 1966, in Zug 1982, in St. Gallen 1984, in Luzern 1987, in Schwyz 1988, in Obwalden 1994, in Nidwalden 1998, in Uri 2000 und im Wallis 2013. Und in Appenzell Innerrhoden, wo man vermutet, dass es sie noch gibt, weiss man es nicht so genau: Die meisten Mitglieder des Grossen Rates sind parteilos. Ein einziges Mal vor Doris Leuthard stammte der offizielle Bundesratskandidat der heutigen Mitte nicht aus den Stammlanden: 1962, mit dem Bündner Ettore Tenchio. Gewählt wurde der Walliser Roger Bonvin, einer aus den Stammlanden.

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