Seit Jahrzehnten lassen die drei Morde die amerikanische Gesellschaft nicht los. Die andauernde Wahrheitssuche mischt sich mit Verschwörungstheorien. Nun verspricht Donald Trump Klarheit – mit welcher Absicht?

Schon drei Tage nach seiner Inauguration, am 23. Januar, kündigte Präsident Trump an, er habe die Geheimdienste angewiesen, alle Dokumente im Zusammenhang mit den Morden an John F. Kennedy, Robert F. Kennedy und Martin Luther King freizugeben. Bereits während seiner ersten Amtszeit war ihm die Veröffentlichung ein Anliegen gewesen, er trieb die Angelegenheit dann jedoch nicht mehr voran.

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«That’s a big one», sagte Trump, als er die Regierungsverordnung unterschrieb, sekundiert vom neuen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy junior. Der Sohn des ermordeten Robert «Bobby» Kennedy liess verlauten: «Die sechzig Jahre dauernde Strategie von Lügen und Geheimhaltung (. . .) hat die Unterwanderung unserer beispielhaften Demokratie beschleunigt und uns auf den Weg in den Totalitarismus geführt.»

Allerdings hat sich auch schon der ehemalige Präsident Joe Biden um die Deklassifizierung bemüht und ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 1992 umgesetzt, das eine Veröffentlichung sämtlicher Kennedy-Akten bis 2017 angeordnet hatte. Heute sind 99 Prozent der rund 320 000 Dokumente veröffentlicht.

Verbreitetes Misstrauen im Fall «JFK»

Die amerikanische Öffentlichkeit nimmt die Ankündigung mit Spannung auf, insbesondere was John F. Kennedy betrifft. Auch im Zusammenhang mit den zwei versuchten Attentaten auf Trump rückte der damalige Mord wieder in den Fokus. Mehr als sechzig Jahre später provoziert er noch immer neue Fragen und Spekulationen.

Laut einer Gallup-Umfrage von 2023 glauben 65 Prozent der Amerikaner der offiziellen Version nicht, wonach Harvey Lee Oswald als Todesschütze allein gehandelt habe. Mit seiner «executive order» schafft Trump nun einen Spagat: Er kann sich als Kämpfer für Transparenz und Aufklärung positionieren, zugleich aber Verschwörungstheorien befördern, indem er mit seinem Dekret suggeriert, dass es wichtige Informationen gebe, die zurückgehalten würden. Das passt zu seinem oft geäusserten Misstrauen gegenüber den «Machenschaften» der Geheimdienste, dem Einfluss des «Deep State» und dem «Sumpf» in Washington. Damit bedient er auch den beträchtlichen Teil seiner Wählerschaft, der für Paranoia anfällig ist, zum Beispiel die QAnon-Anhänger.

Genauer betrachtet, verspricht er im Dekret nicht, alle entsprechenden Archive zu öffnen, und auch der Zeitplan ist diffus. Das ermöglicht es ihm, den angeblichen Skandal noch länger köcheln zu lassen.

«Es könnte etwas anderes dahinterstecken»

Laut manchen Forschern gründet die gegenwärtige Polarisierung in Amerika letztlich im Mord an Kennedy und in dem sich daraus ergebenden Misstrauen gegenüber den Geheimdiensten sowie gegenüber Kennedys Nachfolger Johnson, die viele Amerikaner mit dem Mord in Verbindung brachten. Die Rede vom «Staat im Staat» wurde damals praktisch mehrheitsfähig, sowohl unter Rechten als auch Linken. Laut dem Historiker Stephen Fagin begann mit dem Tod von JFK die Ära der Verschwörungstheorien.

Trump selbst hat immer wieder mit dubiosen Unterstellungen rund um den Kennedy-Mord hantiert. 2016, während seines ersten Wahlkampfs, behauptete er, der Vater des texanischen Senators Ted Cruz, seines Rivalen in den Vorwahlen, sei mit Kennedys Mörder, Lee Harvey Oswald, verbandelt gewesen. Es stellte sich heraus, dass das Trump nahestehende Boulevardblatt «National Enquirer» Fotos manipuliert hatte, um die Behauptung zu stützen.

Auch nach dem versuchten Attentat auf Trump in Butler grassierten alle möglichen Verschwörungstheorien. Demokraten vermuteten, Trump selbst habe es inszeniert, um sich als Beinahemärtyrer in Pose zu werfen, Republikaner – inklusive Trump selbst – raunten von einem «inside job» der Geheimdienste. «Es ist verdächtig», sagte Trump. «Je häufiger du es dir ansiehst, umso mehr beginnst du zu sagen: Es könnte etwas anderes dahinterstecken.»

Es ist genau das Misstrauen in diesem Satz, das sowohl Aufklärung als auch Verschwörungstheorien motiviert. Diese Gratwanderung zwischen legitimer Skepsis und Paranoia charakterisiert auch all die Nachforschungen zu den Morden an den Kennedys und Martin Luther King.

Kennedy und die Mafia

Der damalige Präsident John F. Kennedy wurde am 22. November 1963 in seiner offenen Limousine in Dallas erschossen. Zwei Kugeln trafen ihn am Hals und in den Kopf. Wenig später nahmen die Ermittler den mutmasslichen Täter Lee Harvey Oswald fest, der jede Verwicklung in den Mord leugnete und behauptete, er sei ein Sündenbock. Er selbst wurde zwei Tage später in Polizeigewahrsam von Jack Ruby, einem Nachtklubbesitzer, erschossen. Ruby starb 1967.

Warum konnte der bewaffnete Ruby das Polizeigebäude ungehindert betreten? Was waren die Motive von Oswald und Ruby? Diese Fragen, aber auch schlampig geführte Untersuchungen, unterschlagene Beweise, eine intransparente Informationspolitik und widersprüchliche Aussagen gaben schon bald allerlei alternativen Theorien Auftrieb. Die zentrale Frage war: Handelten Oswald und Ruby als Einzeltäter oder im Auftrag? Und, wenn ja, von wem? Der CIA, der Mafia, Russland? Inzwischen gibt es Tausende von Büchern und Filmen zu dem Thema, mit einem fliessenden Übergang von Recherche zu Fiktion. «JFK» ist zum amerikanischen Mythos par excellence geworden.

Eine verbreitete Theorie besagt, Oswald wie auch Ruby hätten im Auftrag der Mafia gehandelt. Kennedy hatte in früheren Jahren selbst Kontakte zur Mafia, wandte sich dann jedoch gegen sie. Sein Bruder Robert F. Kennedy, während John F. Kennedys Präsidentschaft Justizminister, ging rigoros gegen das organisierte Verbrechen vor. Aus dieser Sicht wäre der Mord eine Rache für Kennedys «Verrat» gewesen. In der Tat verkehrte Ruby in Mafia-Kreisen. Sollte er den angeblich von der Unterwelt gedungenen Killer beseitigen, um die Spuren zu verwischen? Oswald konnten allerdings keine Mafia-Kontakte nachgewiesen werden. Eine Frage bliebe auch, warum Ruby Oswald nicht gleich nach dem Attentat beseitigte, als dieser noch frei herumlief.

Die CIA, Moskau und Havanna

Eine andere Hypothese vermutet ein CIA-Komplott. In der Tat gab es Spannungen zwischen dem Auslandgeheimdienst und dem Präsidenten. Das hatte mit der Invasion in der Schweinebucht zu tun, bei der Exilkubaner unter Mithilfe der CIA im Jahr 1961 versuchten, den damaligen kubanischen Staatschef Fidel Castro zu stürzen. Der gescheiterte Coup war ein aussenpolitisches Desaster, das die USA und die Sowjetunion schliesslich an den Rand eines Atomkriegs führte. Es war plausibel, dass die CIA fürchtete, Kennedy wolle die Agentur auflösen. Allerdings war das Risiko, dass das CIA-Komplott entdeckt worden wäre, enorm. Und dass die CIA mit all ihren Topagenten ausgerechnet einen Freak wie Oswald mit dem Attentat beauftragte, ist unwahrscheinlich.

Manche schliesslich vermuten hinter dem Attentat eine kommunistische Vergeltung, entweder aus der Sowjetunion oder aus Kuba. Im letzteren Fall hätte es sich um eine Rache für den Mordversuch an Castro gehandelt, im ersteren um eine Revanche für die Demütigung Moskaus in der Kubakrise. Denn 1962, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, mussten die Sowjets ihre in Kuba stationierten Atomraketen abziehen. In der Tat war Oswald selbst Kommunist, lebte in der Sowjetunion und war mit einer Russin verheiratet. Aber wiederum: Das KGB hätte vermutlich bessere Agenten zur Verfügung gehabt als den labilen Oswald und den zwielichtigen Ruby.

Wie Robert Kennedy in einer Küche erschossen wurde

Nach Kennedys Tod wurde sein Stellvertreter Lyndon Johnson Präsident. Bei den Wahlen 1968 trat er nicht mehr an, und die Demokraten stellten neue Kandidaten auf. Einer von ihnen war Kennedys jüngerer Bruder, Robert Kennedy. Der Senator des Gliedstaats New York hatte gerade die Vorwahl in Kalifornien gewonnen, als am 5. Juni 1968 im Ambassador-Hotel in Los Angeles ein 24-jähriger Palästinenser namens Sirhan Sirhan auf ihn schoss. Kennedy starb 26 Stunden später. Bei der Präsidentschaftswahl trat dann Hubert Humphrey für die Demokraten an, der jedoch gegen den Republikaner Richard Nixon verlor.

Der 42-jährige Robert Kennedy hatte an jenem Abend eine Rede gehalten und verliess den Saal durch die Küche. Der Attentäter feuerte dort mehrere Schüsse auf den Senator ab, bevor er überwältigt wurde. Angeblich schrie er: «Ich tue es für mein Land!» Er wurde zum Tode verurteilt, später wandelte man die Strafe in lebenslängliche Haft um. Bis heute beteuert er seine Unschuld.

Auch in diesem Fall gab es schon früh Zweifel an der offiziellen Version. Die kühnste Theorie besagt, Sirhan sei vor der Tat hypnotisiert und ferngesteuert worden. Als Beleg wird erwähnt, dass er sich angeblich später nicht mehr an das Geschehen erinnern konnte.

Es kursiert auch die These eines zweiten Schützen, weil mehr Schüsse gefallen seien, als Sirhan mit seiner Waffe habe abgeben können, und manche Kugeln Kennedy von hinten getroffen hätten, während Sirhan neben ihm stand. Die Theorie wird auch vom gleichnamigen Sohn des Todesopfers, Robert Kennedy junior, vertreten. «Man kann nicht 13 Schüsse aus einer Waffe mit 8 Schüssen feuern», sagte er in einem Interview. Er vermutet sowohl beim Attentat auf seinen Vater als auch bei jenem auf seinen Onkel, John F. Kennedy, nicht einen Einzeltäter, sondern ein Komplott. Kennedy, inzwischen Gesundheitsminister, hat den Präsidenten wahrscheinlich in dessen Entschluss bekräftigt, die Dossiers zu öffnen.

Martin Luther Kings Tod in Memphis

Der dritte Fall, in den Licht gebracht werden soll, betrifft den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King, der am 4. April 1968 in Memphis erschossen wurde, zwei Monate vor Robert Kennedy. Der 39-jährige King befand sich auf dem Gipfel seines Ruhms. Vier Jahre vorher hatte er den Friedensnobelpreis erhalten.

King stand auf dem Balkon des Lorraine-Motels, als die Schüsse fielen. Die zahlreichen FBI-Agenten, die ihn observierten, eilten ihm zu Hilfe, aber er starb kurz darauf. Bald schon liess die Polizei verlauten, die Schüsse seien aus dem Badezimmer einer gegenüberliegenden Pension abgegeben worden. Man fand im Eingang des Hauses eine Waffe, die der Täter offenbar auf der Flucht fallen gelassen hatte. Erst zwei Monate später wurde in London James Earl Ray verhaftet, dessen Fingerabdrücke mit jenen auf der gefundenen Waffe übereinstimmten. Auch sagte ein Augenzeuge aus, er habe Ray kurz nach der Tat im Treppenhaus der Pension gesehen. Als Motiv nahm man Rassismus an.

Ray war damals 41 Jahre alt, von denen er 20 im Gefängnis verbracht hatte. Man bot ihm an, dass er mit einem Geständnis dem elektrischen Stuhl entkommen könne. Er liess sich auf den Deal ein. Er sagte zwar, er habe nicht im Alleingang gehandelt; aber im Prozess ging man nicht darauf ein und verurteilte ihn zu 99 Jahren.

Bald zeigten sich Unstimmigkeiten in den Ermittlungen und Zeugenaussagen; die These kam auf, in Wirklichkeit sei das FBI involviert gewesen, das King als nationales Risiko eingestuft habe. Ray selbst zog sein Geständnis später zurück. Er starb im Jahr 1998, aber die Auseinandersetzungen dauern, wie auch im Falle der Kennedys, bis heute an.

Vermutlich werden die Archive auch jetzt nicht zu hundert Prozent zugänglich, und so werden Fragen weiterbestehen. Laut CIA und FBI sind die Dokumente aus Gründen des Personenschutzes unter Verschluss und nicht, weil sie besonders brisante Informationen enthalten, wie Trump andeutet. Es geht um die Namen von Informanten, die vor Jahrzehnten – insbesondere zu einer allfälligen Beteiligung der Mafia bei den Kennedy-Morden – aussagten, aber noch am Leben sind. Eine Veröffentlichung könnte sie bis heute in Gefahr bringen.

Aber selbst eine restlose Publikation würde den Verschwörungstheorien wohl kein Ende bereiten. Die Wahrheit ist langweiliger als die wilden Spekulationen, und wer unbedingt Sensationelles will, findet immer «Unstimmigkeiten». Nach heutigem Wissensstand war Oswald schlicht ein psychisch instabiler Fanatiker, und die Tatsache, dass sich Ruby so leicht Zugang zu ihm verschaffen konnte, war eine Folge von unspektakulären Fehlern und keinem dunklen Plan geschuldet. Auch in den beiden anderen Fällen ist die Wahrheit höchstwahrscheinlich enttäuschend banal. Verständlich, dass man jenseits von mediokren Möchtegernhelden, Kleinkriminellen und sinnlosen Zufällen nach grossen Zusammenhängen, planmässiger Kohärenz und grandiosen, geheimnisvollen Dramen sucht.

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