Mittwoch, Januar 15

An der Börse zeigen Unternehmen wie Auto1, Delivery Hero oder HelloFresh viel Dynamik. Auto1 gehörte 2024 gar zu den Valoren mit der stärksten Wertentwicklung in Deutschland. Warum eigentlich? Und wie nachhaltig ist dieser Schwung?

«Know what you own, and know why you own it.»
Peter Lynch, Philanthrop und ehemaliger Fondsmanager (*19.1.1944)

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2024 war aus Sicht der Anleger mit Deutschlandfokus das Jahr von Siemens Energy: Um fast 330% legten die Valoren zu. Aber im Windschatten beendete Auto1 das Jahr mit einem ebenfalls mehr als nur beachtlichen Plus von über 140%. In den vergangenen sechs Monaten wiederum waren Auto1 und HelloFresh zusammen mit Überflieger Siemens Energy und der Turnaround-Wette Adler die stärksten deutschen Aktien.

Das Lebenszeichen von den Internetaktien Auto1, HelloFresh und Delivery Hero ist bemerkenswert. Denn das Trio steht bei vielen Anlegern für Kapitalvernichtung. Gemessen am Ausgabepreis von 38 € je Auto1-Aktie beim Börsengang im Februar 2021 haben Investoren der ersten Stunde immer noch mehr als die Hälfte ihres Kapitals verloren. HelloFresh rangiert immerhin über dem Ausgabekurs von 10,25 € von 2017. Seit dem Höchstkurs knapp unter 100 € vom November 2021 ist der Kurs allerdings fast um 90% eingebrochen. Der Delivery-Hero-Kurs ist seit dem Hoch vom Mai 2021 um 80% abgestürzt. Wie belastbar ist also die jüngste Erholung? Und was treibt sie an?

Auto1, Delivery Hero & HelloFresh

Die Online-Angreifer wollen vieles anders machen und arrivierte Märkte mit ihren Technologie-basierten Dienstleistungen aufmischen. Zwischenzeitlich ging jedoch die Balance verloren zwischen Wachstumsstreben und Gewinnorientierung.

Mehr Sinn für die Profitabilität

Die Kurserholung liegt auch an einer Verschiebung der Prioritäten in den drei Unternehmen: Während lange das Thema Wachstum über allem anderen stand, rückt nun auch die Profitabilität in den Vordergrund, was von den Anlegern begrüsst wird.

Dazu machen die wieder etwas niedrigeren Leitzinsen Wachstumsunternehmen und Nebenwerte grundsätzlich interessanter, weil hohe Zinsen für diese oft eine grössere Herausforderung sind als für Grosskonzerne. Nur: Ist Dynamik alles, wenn an den Börsen angesichts der Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und dem deutschen Ampel-Aus vor allem solide Papiere oder Gold im Fokus stehen? Und wie nachhaltig ist dieser Schwung?

Drei Unternehmen, zwei Gemeinsamkeiten

Doch von Anfang an. Auto1, Delivery Hero oder HelloFresh haben neben ihrem Tech-Ansatz vor allem zwei Dinge gemeinsam. Erstens konnten sie den Umsatz in den vergangenen Jahren stetig steigern. Geholfen hat ihnen dabei auch, und das ist die zweite Gemeinsamkeit, die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen. Statt in den Supermarkt oder das Restaurant zu gehen, beschritten die Menschen den digitalen Weg in Richtung Lieferdienste. Auch der Gebrauchtwagenkauf erfolgte häufiger digital. Entsprechend stiegen die Umsatzzahlen der drei Unternehmen in den Corona-Jahren 2020, 2021 und 2022 deutlicher an als zuvor.

Auto1 ist, vereinfacht gesagt, ein digitaler Gebrauchtwagenhändler. Eine Handelsplattform, die Kauf oder Verkauf so digital wie nur möglich anbahnt und gestaltet. Das Unternehmen kauft gebrauchte Fahrzeuge auf und reicht sie weiter, entweder an gewerbliche oder an private Kunden. Dahinter steckt mehr Technologie als es der gängigen Vorstellung von einem Gebrauchtwagenhändler entspricht. Denn Algorithmen bewerten die Fahrzeuge und werfen einen Preis aus. Das Verfahren soll bei rund 80% der Autos klappen, hiess es zuletzt auf einer Analystenveranstaltung.

Beim Umsatz zahlt sich das aus. Lag die Kenngrösse 2016 bei knapp unter 1,5 Mrd. €, waren es 2024 schon 6,1 Mrd. Für 2026 sollen es, so die Konsensschätzungen der Analysten, über 7 Mrd. sein, also mehr als das Vierfache.

Von einer solch positiven Entwicklung ist der operative Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) weit entfernt. 2016 kam Auto1 auf 88 Mio. € Verlust, 2023 lag das Minus bei 96 Mio €. Erst 2024 erzielte das Unternehmen ein Plus von 85 Mio. €. Warum also investieren?

«Das ist in der Tat eine gute Frage», sagt Jeremy Gleeson, CIO Global Technology Equity bei Allianz Global Investors. Und erklärt grundsätzlich, dass Rentabilität zwar ein wichtiger Faktor bei der Investmententscheidung sei, man aber auch Unternehmen berücksichtige, die zwar noch nicht rentabel seien, aber gute Fortschritte auf dem Weg hin zur Rentabilität gemacht haben. Peter Lynch, vermutlich einer der bekanntesten Investoren in solche Wachstumsaktien (Growth-Titel), prägte den Begriff der «Tenbagger»: Das sind Unternehmen, die zumindest die Chance haben, ihren Börsenkurs verzehnfachen zu können. Sie sind so etwas wie der heilige Gral für Wachstumsinvestoren.

Wachstumsaussichten hat Auto1 in der Tat. Der europäische Gebrauchtwagenmarkt sei 700 Mrd. € gross, sagt Philip Reicherstorfer, VP Group Treasury, Investor Relations und Captive Finance der Auto1 Group. «Vor uns liegt also immenses Marktpotenzial.» Allerdings muss das Unternehmen daraus auch Kapital schlagen. Tatsächlich beginnen sich die Aussichten auch in der Ebitda-Marge niederzuschlagen, wie die Grafik zeigt.

Helfen soll dabei laut Reicherstorfer der Ausbau des europäischen Filialnetzes. In Deutschland nutzt Auto1 dafür die Marke wirkaufendeinauto. Ausserdem setze man bei der Fahrzeugprüfung auf Schäden zunehmend auf eine interne KI-basierte Technologie zur Schadenerfassung. Mit anderen Worten: Das Unternehmen will wachsen und dabei die Kosten dank Technologie im Griff behalten.

Bewertet ist das Unternehmen mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von etwas über 90, gemessen am für 2025 geschätzten Gewinn. Der Wert markiert zwar das untere Ende der Bewertungshistorie des Unternehmens. Doch die reicht nur bis zum Börsengang im Februar 2021 zurück, fällt in die Zeit der Pandemie-bedingten Sonderkonjunktur und hat damit nur begrenzte Aussagekraft. Dazu kommt, dass die Kennzahl KGV nicht wirklich auf Tech-lastige Unternehmen passt. Denn die haben zumindest am Anfang ihrer Existenz in aller Regel nur geringe oder gar keine Gewinne auszuweisen, so dass die KGV oft hoch sind, ohne damit eine Aussage über den Wert zu treffen. Statt dessen ist der Blick auf die Relation von Unternehmenswert zu Umsatz (EV/Revenue) sinnvoll.

Anhand dieser Kennziffer ist die Bewertung immerhin günstiger als noch 2021 und wirkt auf den ersten Blick niedrig. Doch Vorsicht: Als Händler erzielt Auto1 hohe Umsätze, aber nur eine niedrige Marge, die ausserdem ja erst vor kurzem in den positiven Bereich geklettert ist. Das Geschäft ist kapitalintensiv, auch wegen der eigenen Aufbereitungszentren für die Gebrauchtwagen.

Ob das Unternehmen den Weg in Richtung einer nachhaltigen Profitabilität fortschreiben kann, wird der 26. Februar zeigen. Dann legt Auto1 aktuelle Zahlen vor. Die Analysten von mwb research erhöhten zuletzt das Kursziel von 12 auf 19 €. Das entspricht einem Aufwärtspotenzial von rund 19%. Ein «Kauf» aus ihrer Sicht. Dem liegen unter anderem das starke dritte Quartal zugrunde und die Aufnahme in den MDax, was für institutionelle Anleger ein Plus sein dürfte.

Anleger sollten mit dem nötigen Sicherheitsabstand beobachten, ob der zuletzt positive Trend anhält. Das Engagement ist nur etwas für sehr mutige Spekulanten.

Wer sich an die Zeiten der Corona-Beschränkungen erinnert, weiss: Die Idee eines Restaurantbesuchs wurde unter Schutzmasken erstickt. Statt dessen boomten Lieferdienste. 2022 liessen rund 60% der Deutschen sich das Essen mindestens einmal im Monat liefern. Davon profitierte auch Delivery Hero. Nach der Corona-Phase indes entwickelte sich der Umsatz zunächst seitwärts. Immerhin weisen nun die Prognosen nach oben (siehe Grafik).

Trotzdem bleiben Lieferdienste ein Wachstumsmarkt. Allein in Deutschland greift jeder Zweite regelmässig auf die Dienste von Delivery Hero oder dessen Konkurrenz zurück. Weltweit wird der Umsatz der Branche jedes Jahr um etwas mehr als 10% wachsen, für 2028 wird das Marktvolumen auf gut 1,7 Bio. € geschätzt.

Delivery Hero peilt allerdings kein reines Wachstum an, sondern auch Profitabilität. Die entsprechende Entwicklung sowie die Analysteneinschätzungen zeigen, dass diese Balance gelingen könnte (siehe Grafik oben).

Im Börsenjahr 2024 lag das Plus von Delivery Hero bei vergleichsweise moderaten 14%. Dahinter verbirgt sich jedoch eine wilde Achterbahnfahrt. Seit dem Tief vom Juli bei weniger als 17 € hatte sich der Kurs bis Ende Oktober mehr als verdoppelt, um danach wieder mehr als die Hälfte dieser Gewinne einzubüssen.

Die Bewertung gemessen am EV/Umsatz sank zuletzt (siehe Grafik oben). Die UBS empfahl die Aktien im Oktober zum Kauf. Das Finanzhaus errechnet einen Kursziel von 40 € auf Sicht von 12 Monaten, mehr als ein Drittel über dem derzeitigen Kursniveau.

Wie sensibel Wachstums-Valoren auf Nachrichten reagieren, zeigt der Talabat-Börsengang. Diese Tochter von Delivery Hero ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie im Nahen Osten und Nordafrika aktiv. Der Börsengang von 15% des Unternehmens sollte den finanziellen Spielraum der Mutter erweitern, auch durch künftige Anteilsverkäufe zu möglichst hohen Kursen. Doch weil die Talabat-Aktien bereits am Ersten Handelstag (10. Dezember) unter den Ausgabekurs fielen, ging es auch für Delivery Hero an der Börse wieder abwärts.

Der nächste Rückschlag folgte an Weihnachten: Taiwans Wettbewerbshüter untersagten den vereinbarten Verkauf der Landestochter an Uber für 950 Mio. $. Das Unternehmen muss sich in dem Markt also weiterhin dem Wettbewerb mit dem US-Technologiekonzern stellen.

Den Verkaufserlös hätte das Unternehmen gut gebrauchen können. Bei Bloomberg erfasste Analysten prognostizieren für das Geschäftsjahr 2024 rund 3 Mrd. € Nettoschulden. Der Netto-Jahresverlust soll bei 517 Mio. € liegen. Der Einstieg drängt sich für Anleger daher nicht auf.

HelloFresh hat mehrere Standbeine. Da ist sind die Kochboxen voller Zutaten, aus deren Inhalt der Kunde schnell ein konkretes Gericht bereiten kann. Durch sie ist das Unternehmen bekannt geworden. Dazu kommt das «Ready to eat»-Geschäft (RTE), zu Deutsch: Fertiggerichte. Hier wuchs HelloFresh vor allem durch die Übernahme des Anbieters Factor75 in den USA.

Ein Hauptgrund für die Expansion in das neue Geschäftsfeld war vermutlich, dass das Geschäft mit den Zutaten-Boxen zuletzt angeschlagen war. «Kochboxen sind verantwortlich für die grösste Beeinträchtigung unseres finanziellen Ergebnisses in letzter Zeit, da sowohl der Umsatz als auch die Gewinnspannen hinter unseren Erwartungen von vor einigen Jahren zurückgeblieben sind», schrieb die Unternehmensführung zuletzt an die Aktionäre.

Die Unternehmensführung geht davon aus, dass die Margen bei den Fertiggerichten «mindestens das Niveau von Kochboxen erreichen werden». Da das Umsatzwachstum höher ist als bei den Kochboxen, rechnet HelloFresh damit, dass Fertiggerichte mittelfristig den grössten Beitrag zum Gewinnwachstum leisten dürfte.

Helfen soll dabei auch gezieltes Online-Marketing. Es ist leicht vorstellbar, wie wichtig diese Disziplin auf einem Markt ist, der kaum über Barrieren für neue Konkurrenten verfügt.

2024 steht bei HelloFresh an der Börse ein Plus von mehr als 11% zu Buch. Doch auch hier verlief der Kurs alles andere als geradlinig. Am 8. März kassierte die Unternehmensführung ihre Mittelfristziele, der Kurs brach im Verlauf des Handelstages um 42% ein. Das Tief markierte er Ende Juni knapp unter 4.50 €. Seitdem stieg der Kurs jedoch auf mehr als 12 €, ein Plus von 170%. Wachstumsinvestor Lynch hat zu solchen Entwicklungen gesagt, dass zwar jeder den Kopf habe, um an der Börse Geld zu verdienen, aber nicht jeder auch den Magen dazu.

Martin Wirth hat offenbar diesen Magen. Er ist Fondsmanager bei FPM in Frankfurt und zur Zeit mit rund 5% seines Fonds Stockpicker Germany All Cap in HelloFresh investiert. Er ist seit dem Jahr des Börsengangs durchgängig in einem unterschiedlich hohen Volumen in HelloFresh engagiert. «Das Unternehmen liefert einen echten Convenience-Gewinn», sagt er. «Man muss nicht mehr in den Supermarkt gehen, wählen, nach Hause tragen und hat eine breitere Auswahl.» Ausserdem lobt er die zwei Standbeine Zutaten-Box und Fertiggerichte. Ein Vergleich macht für ihn deutlich, wie klug das Unternehmen bei der Übernahme von Factor75 gehandelt habe. Damals hatte der Nahrungsgigant Nestlé mit Freshly ebenfalls einen Fertiggerichte-Anbieter gekauft. Doch HelloFresh habe weniger bezahlt – und Freshly sei inzwischen Geschichte. Tatsächlich trennte sich Nestlé 2023 von dem Geschäft, nur knapp zwei Jahre nach der Übernahme.

Immerhin: Die Bewertung (gemessen am Verhältnis von Unternehmenswert und Umsatz) ist seit 2021 deutlich gefallen (siehe Grafik unten).

Für 2024 erwarten die bei Bloomberg erfassten Analysten bei 7,7 Mrd. € Umsatz einen Netto-Jahresverlust von knapp 40 Mio. €. Doch schon 2025 sollen am Ende 60 Mio. € Jahresüberschuss anfallen. Daran gemessen liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei 29.

Falls die Hoffnungen der Analysten in Erfüllung gehen, könnte der Jahresgewinn 2026 bereits die 100-Mio.-€-Marke übertreffen. Es kann aber auch ganz schnell ganz anders kommen, wie der 8. März 2024 mit seinem 42-%-Kurseinbruch gezeigt hat. Um ihr Vermögen besorgte Menschen halten Abstand (und kaufen im Zweifel selber ein).

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