Mittwoch, Oktober 9


Tipps

Geben Sie Kontrolle ab, finden Sie Ihren Fetisch, und pfeifen Sie auf glattpolierte Oberflächen und Eitelkeiten: Drei Highlights am Zurich Art Weekend, die inhaltlich betrachtet durchaus therapeutische Qualitäten haben können.

Vom 7. bis zum 9. Juni 2024 findet das Zurich Art Weekend statt. Die Anzahl teilnehmender Galerien ist wie immer immens, die Nummer an Ausstellung überwältigend (über 75) und die Liste der ausstellenden Künstlerinnen und Künstler mit 180 Namen lang. Um einer allfälligen Reizüberflutung die Stirn zu bieten: Das sind drei Highlights aus der Fülle des Angebots.

1. David Armstrong in der Kunsthalle Zürich

Die Kunsthalle Zürich zeigt Arbeiten des amerikanischen Fotografen David Armstrong (1954–2014), der neben Nan Goldin, der wohl bekanntesten Vertreterin, Mark Morrisroe, Jack Pierson und anderen der Boston School angehörte. Die Fotografie dieser Gruppierung, die sich Ende der siebziger Jahre etablierte, setzt nicht auf Komposition und Inszenierung, sondern auf den Moment, Unmittelbarkeit und eine ausserordentliche, wenn nicht gar intime Nähe zu den Fotografierten. Kein voyeuristisches Gaffen oder inszenierendes Zurechtrücken der Porträtierten, sondern ein Involviertsein zeichnet diese Art der Fotografie aus, die sich oft den Akteuren am Rande der Gesellschaft zuwandte.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich zeigt das grossartige Porträtwerk Armstrongs aus vier Jahrzehnten New Yorker Schaffens. Vieles davon wurde noch nie veröffentlicht. In Armstrongs Werk wird spürbar, wie anders es doch ist, wenn Intimität, Wohlwollen und Involviertheit die Grundlagen einer fotografischen oder künstlerischen Praxis bilden. Wer traut sich denn heute noch, die Kontrolle abzugeben – auf beiden Seiten der Kamera?

Wie fatal und langweilig diese Entwicklung ist – erzeugt sie doch den Druck, immer und überall «eine gute Falle» zu machen, physisch, psychisch und style-codiert. Zuneigung, Verständnis und Authentizität bedürfen allerdings der Bereitschaft, sich einzulassen – nicht nur in der Fotografie. Die totale Kontrolle ist ein totaler Mythos. Wie wahnsinnig wohltuend diese Einsicht ist, zeigt Armstrongs Werk eindrücklich.

Informationen: Die Ausstellung «David Armstrong» in der Kunsthalle Zürich wird am 7. Juni 2024 um 18 Uhr eröffnet und läuft bis 15. September 2024. Am Sonntag, 9. Juni 2024, findet ein Gespräch zwischen dem Tänzer und Choreografen Trajal Harrell und dem Neurowissenschafter Sebastian Jessberger statt.

2. «Im Rausch(en) der Dinge: Fetisch in der Kunst» in der Graphischen Sammlung

Die Graphische Sammlung der ETH Zürich widmet sich in der derzeitigen Ausstellung dem Thema «Fetisch in der Kunst». Wie passend. Zuweilen wirkt es so, als würde die Kunst selbst total fetischisiert.

Die Ausstellung mit Werken von Pablo Picasso, Salvador Dalí, Albrecht Dürer, Sylvie Fleury, Félix Vallotton, Oskar Kokoschka, Dieter Roth, Sarah Margnetti, Louise Bourgeois und mehr ist in acht Kapitel gegliedert. Sie lesen sich schon als Titel nicht nur unterhaltend, sondern auch erkenntnisreich. Kuratiert wurde die Ausstellung von der Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen und der langjährigen Sammlungskonservatorin Alexandra Barcal.

Unter dem zart provokanten Motto «Kein Glück ohne Fetischismus» haben die beiden Kuratorinnen ihre Auswahl von Werken aus der grafischen Sammlung getroffen. Ein Pelz, ein Handschuh, ein Fuss, Juwelen, Brüste, dargestellte Macht, Muscheln, Schlangen, Seide, der Tod oder ein Auto – für den einen oder die eine ist das alles bedeutungsschwanger, für andere vollkommen reizlos. Die Ausstellung zeigt, dass die einseitig gelesene religiöse, sexuelle oder erotische Konnotation des Fetischismus zu kurz greift. Werke, Waren und Objekte jeglicher Couleur sind es heute vornehmlich, die mit einem Zauber oder sehnsuchtserfüllenden Zuschreibungen belegt werden; als Stellvertreter, Lückenfüller, Trigger. Sie werden mit einer Aufmerksamkeit versehen, die absolut und obsessiv ist.

Informationen: Die Ausstellung «Im Rausch(en) der Dinge: Fetisch in der Kunst» ist bis zum 7. Juli 2024 in der Graphischen Sammlung der ETH an der Rämistrasse 101, Zürich zu sehen.

3. Performance «Crossed Destinies» von Monster Chetwynd im Cabaret Voltaire

Ein schicksalhaftes Ereignis: Monster Chetwynd (1973), die britische Künstlerin, der Humor und Freude, Schrecken und Monsterhaftes (beides immer auch herzlich und eher bunt als nur grauenhaft), Neuordnung und Neu-Verstrickung so essenziell sind, lädt zu einer Performance unter dem Titel «Crossed Destinies» im Historischen Saal des Cabaret Voltaire ein.

Die Gäste machen mit – nur Zuschauen geht auch. Hier sollen und werden sich Schicksale kreuzen. Der gleichnamige Roman von Italo Calvino (Originaltitel «Il castello dei destini incrociati») aus dem Jahr 1973 gilt als Inspiration. Tarotkarten spielen eine Rolle, aber auch das wunderbar Unvorhersehbare, das sich nun einmal mit einer Performance verbindet.

Monster Chetwynd, vielen auch bekannt als Spartacus Chatwynd oder Marvin Gaye Chetwynd, hat das Talent, Kunst als etwas erscheinen zu lassen, das anfassbar, verspielt und freudvoll ist. Platt ist ihre Kunst deshalb aber nicht. Chetwynd erzählt und berührt mit opulenten, ausufernden, manchmal kindlich wirkenden Bühnenbildern, Installationen, Skulpturen oder Collagen – sie mixt alles, was ihr unter die Finger und in den Kopf kommt, arbeitet mit Pappe, Fundstücken, Masken und vielem mehr. So muss beim Anschauen ihrer Kunst auch kein Ehrfurchtsseufzer raus, weil alles so chic und glatt ausschaut. Bei ihr lernt man ganz unverkrampft: Eitelkeiten und Hemmungen, fort mit euch!

Informationen: Die Performance «Crossed Destinies» findet am Freitag, 7. Juni 2024, von 19 bis 20.30 Uhr im Cabaret Voltaire statt, am Samstag, 8. Juni 2024, von 15 bis 18 Uhr ein zweites Mal. Wer es nicht zu den Performances schafft, schaut sich bis zum 4. August 2024 die eigentümlich entrückte, verspielte und spleenige Arbeit «Head-Less-Ness» in der Künstlerkneipe des Cabaret Voltaire an.

Exit mobile version