Dienstag, Oktober 1

lm Rhein und in der Limmat ertranken mehrere Personen. Viele Opfer unterschätzen die Kraft des Wassers – und sie überschätzen die eigenen Fähigkeiten.

Das Kraftwerk Rheinau ist ein mächtiger Koloss aus Beton. Am Hauptwehr der Anlage im Zürcher Weinland stürzen die Wassermassen des Rheins bis zu 12 Meter in die Tiefe. Nach ausgiebigen Regenfällen herrschte starke Strömung. Die beiden Schlauchbootfahrer hatten wohl nicht mit solchen Kräften gerechnet, als sie mit ihrem Gefährt am Dienstagabend vergangener Woche die Ausstiegsstelle am rechten Ufer verpassten und auf das Wehr zutrieben. Laut den Tamedia-Zeitungen versuchten sie noch, sich an Land zu retten: Sie sprangen ins Wasser – und wurden dann doch übers Wehr hinuntergespült.

Die Frau, eine 28-jährige Schweizerin, konnte nach Angaben der Kantonspolizei von einem Passanten gerettet werden. Der Mann jedoch blieb vermisst. Rund hundert Einsatzkräfte der Polizei und der Feuerwehr suchten erfolglos nach ihm. Die aufgebotenen Taucher konnten nicht in den Fluss steigen, auch am Tag danach nicht. Der reissende Strom war zu gefährlich. Ausserdem trieb viel Schwemmholz in den Fluten. Der 37-jährige Deutsche wurde erst am Sonntag entdeckt. Er lag vor dem deutschen Ufer tot im Wasser.

Es ist einer von mehreren tödlichen Badeunfällen in der Region in kurzer Zeit. Ende Juni wurde ein 31-jähriger Mann bei der Zürcher Werdinsel beim Baden in der Limmat abgetrieben. Auch da starteten die Rettungskräfte eine grosse Suchaktion, auch da kam jede Hilfe zu spät. Das Opfer konnte nur noch tot geborgen werden – bei einem Steg in Fahrweid, acht Kilometer flussabwärts.

Am vergangenen Mittwoch gerieten bei der Werdinsel zwei junge Männer aus Afghanistan in Not. Einer der beiden konnte von beherzten Passanten zurück ans Ufer in Sicherheit gebracht werden. Doch der andere wurde bis nach Schlieren mitgerissen, wo er von Polizeitauchern geborgen und von einem Notarzt behandelt wurde – vergeblich. Und am Montag meldete «20 Minuten», dass bei Rheinau erneut eine Person tot aus dem Rhein geborgen worden sei.

Leichtsinn auf dem Gummiboot

Tragische Unfälle mit Gummibooten könnten womöglich vermieden werden, wenn die «Böötler» vorsichtiger agieren würden. Die Flussregeln der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) bieten dazu eine verlässliche Orientierung. Die drei wichtigsten Punkte lauten:

  • Die Route kennen: Unbekannte Flussabschnitte sollte man zuerst an Land erkunden, bevor sie mit einem Schlauchboot abgefahren werden. Der SLRG-Sprecher Christoph Merki empfiehlt: «Die Strecke am Ufer zu Fuss ablaufen.» Auch Hobby-Kapitäne sollten über Hindernisse, Brückenpfeiler, Stromschnellen und vor allem über Stauwehre sowie die Ausstiegsstellen davor Bescheid wissen.

    Die Passage vor dem Kraftwerk in Rheinau ist weniger deutlich signalisiert als etwa jene vor dem Höngger Wehr in Zürich, wo seit ein paar Jahren gelbe Bojen Schlauch- und Gummibootfahrer zu den beiden Ausstiegsstellen am linken Ufer geleiten. Auf ihrer Website hat die SLRG zudem mehrere Flusskarten aufgeschaltet.

  • Rettungswesten tragen: Schwimmwesten sollten nicht nur mit an Bord sein wie von der Binnenschifffahrtsverordnung des Bundes vorgeschrieben. Laut der SLRG sollten sie zumindest vor gefährlichen Stellen auch getragen werden. Merki sagt: «Viele Leute unterschätzen, wie schnell eine harmlose Situation auf einem Fluss gefährlich werden kann.» Und: «Es ist unwahrscheinlich, dass man eine mitgeführte Weste packen und anziehen kann, wenn das Boot plötzlich zu kentern droht.»

    Die beiden Unfallopfer bei Rheinau trugen keine Rettungswesten. Auch bei der Werdinsel in Zürich nehmen es viele Gummibootfahrer locker. Manche kentern fröhlich vor sich hin, mit Bierdose in der Hand und Boombox in wasserdichten Taschen. Es ist ein Sinnbild dafür, dass der Mensch sich treiben lassen will, ohne an potenziell tödliche Gefahren zu denken. Zumindest nicht an einem sonnigen Sommertag.

    Merki hingegen sagt: «Die Leute müssen sich und die Lage auf dem Wasser einschätzen können.» Sein Rat: Gesunden Menschenverstand walten lassen, Westen anziehen, vor allem den mitfahrenden Kindern. «Das machen die meisten, zum Glück.»

  • Strömung nicht unterschätzen: Schwimmen in Flüssen ist schwieriger als in Freibädern oder Seen. Die Strömung kann tückisch sein, auch ohne tagelange Regenfälle davor. Ohne Begleitung sollten sich ungeübte Schwimmer laut der SLRG nicht in fliessenden Gewässern versuchen. Gegenüber den Tamedia-Zeitungen sagte Merki am Montag sogar: «Wir raten derzeit grundsätzlich davon ab, in Flüssen schwimmen zu gehen.»

    Im Gespräch mit der NZZ will der SLRG-Mann nicht so weit gehen. Er betont jedoch: «Man muss die Fliessgeschwindigkeit interpretieren, um abschätzen zu können, bis wann man das Ufer erreicht haben wird.» Generell gilt: Nicht gegen die Strömung schwimmen, sondern das Land schräg ansteuern. So spart man Energie und ist dem Wasser nicht komplett ausgeliefert.

    Im Limmatkanal bei der Werdinsel kann man das üben. Die Strecke gehört zum Flussbad, Bademeister überwachen das Wasser, und falls man einmal über den hintersten Ausstieg hinaustreiben sollte, kann man sich an einem Seil festhalten.

Und wie steht es mit den Schwimmfähigkeiten der Bevölkerung in der Schweiz, generell?

Viele können nicht richtig schwimmen

Bei Schulkindern sollte man eigentlich davon ausgehen, dass sie schwimmen können. Schwimmunterricht ist Teil des Lehrplans 21. Für Kinder in der Stadt Zürich sind diese Lektionen bis zur vierten Klasse obligatorisch. Manche Primarschulen lassen ihre Schülerinnen und Schüler zudem einen sogenannten Wasser-Sicherheits-Check absolvieren: Die Kinder müssen da unter anderem ins Becken purzeln und sich dann im Wasser zurechtfinden (was einen Sturz simulieren soll). Und sie müssen sich eine Minute lang an Ort über Wasser halten können (und so nach der nächsten Stelle am Rand Ausschau halten).

Aber solche Massnahmen erreichen nicht alle Kinder. Nicht alle haben regelmässigen Schwimmunterricht, nicht alle Primarschulen in der Schweiz haben ein Hallenbad in der Nähe. Und: Viele Asylsuchende können nicht richtig schwimmen, weil sie es in ihrem Heimatland nie richtig gelernt haben. Der Gefahren in fliessenden Gewässern dürften sich ungeübte Schwimmer erst recht nicht bewusst sein.

Das könnte auch auf die beiden Afghanen zutreffen, die in der vergangenen Woche bei der Werdinsel ins Wasser stiegen. Christoph Merki von der SLRG sagt: «Leute, die nicht so gut schwimmen können, überschätzen häufig ihre Fähigkeiten – vor allem in Flüssen.» Das zeigte sich auch vor kurzem, als Vertreter der SLRG auf Initiative der Stadt Zürich mit 25 jungen Bewohnern des Asylzentrums Zürich die Limmat entlangspazierten und ihnen unter anderem zeigten, wie Einheimische vom Lettenviadukt ins Wasser springen und dann locker weiterschwimmen.

Ob die Asylbewerber das auch könnten? Manche von ihnen seien davon überzeugt gewesen, erzählt Merki. Die Trockenübungen, die zeigen sollten, wie einige der Jugendlichen schwimmen würden, liessen die Rettungsschwimmer jedoch daran zweifeln. Ihre Baderegeln hat die SLRG mittlerweile zwar in zwölf Sprachen übersetzen lassen, von Portugiesisch über Farsi bis Tamilisch. Laut Merki liegen die Flyer auch in Badeanstalten auf.

Die wichtigste Baderegel

Aber auch hier stellt sich die Frage, inwiefern diese (theoretischen) Informationen die Zielgruppe wirklich erreichen. Schwimmen lernt man am besten in einem Schwimmkurs. Und die vielleicht wichtigste Baderegel der SLRG wird immer wieder missachtet, von Ausländern ebenso wie von Schweizern:

Kinder nur begleitet ans Wasser lassen – kleine Kinder in Griffnähe beaufsichtigen!

Im vergangenen August wurde ein 9-jähriges Mädchen in Dietikon als vermisst gemeldet. Seine Familie hatte sich auf einer Wiese an der Limmat aufgehalten, die Eltern hatten die Kleine beim Spielen aus den Augen verloren. Die alarmierten Einsatzkräfte fanden das Mädchen – in der Limmat, in drei Metern Tiefe. Auch dieses Opfer konnte nur noch tot geborgen werden.

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