Donnerstag, Oktober 10

Die jüngste Tochter des früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra rückt zur Regierungschefin auf. Folgt ihre Ernennung einem von langer Hand vorbereiteten Plan?

Zwei Tage nach der überraschenden Absetzung von Srettha Thavisin hat Thailand eine neue Regierungschefin. Die Wahl vom Freitag ist genauso überraschend, ja geradezu dreist und gewagt: Es handelt sich um die 37-jährige Paetongtarn Shinawatra, die jüngste Tochter des früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Sie selbst hat keinerlei Regierungserfahrung. Aber hinter ihr steht der Shinawatra-Clan – vor allem Thaksin, der nach einem Militärputsch fünfzehn Jahre im Exil lebte.

Ihr politisches Debüt gab die zweifache Mutter Paetongtarn Shinawatra anlässlich des Wahlkampfs erst vor zwei Jahren. Sie kandidierte für Thaksins Hauspartei, Pheu Thai, und wurde auf Anhieb ins Parlament gewählt. Aufsehen erregte sie auch, weil sie damals hochschwanger war. Dennoch tourte sie scheinbar unbeschwert und wurde praktisch über Nacht zum neuen Gesicht des Shinawatra-Clans.

Ihr Vater, Thaksin Shinawatra, war von 2001 bis 2006 Ministerpräsident Thailands. 2006 putschte das Militär gegen ihn. 2008 wurde er wegen Amtsmissbrauchs zu einer Haftstrafe verurteilt, er floh aber vorher ins Ausland. Im August vor einem Jahr kehrte Thaksin aus dem Exil zurück und wurde zwar umgehend verhaftet. Doch Thailands König Maha Vajiralongkorn reduzierte die gegen Thaksin verhängte achtjährige Haftstrafe 2023 auf ein Jahr. Im Februar kam er auf Bewährung frei.

Zweifel an der Qualifikation

Seine Tochter, Thailands neue Hoffnungsträgerin, hat in Bangkok Politikwissenschaften und in Grossbritannien Hotelmanagement studiert. Dass Paetongtarn nie eine Regierungsfunktion ausübte und – zumindest auf dem Papier – zu wenig qualifiziert wirkt, wischt sie elegant weg: Sie sei, so hat sie in einem Interview erklärt, seit ihrer frühen Jugend politisch durch ihre Familie exponiert. Als ihr Vater mitten in der asiatischen Wirtschafts- und Finanzkrise als milliardenschwerer Telekommunikationsunternehmer in die Politik einstieg, war sie gerade einmal neun Jahre alt.

Nach ihrer Tante Yingluck, die von 2011 bis 2019 thailändische Ministerpräsidentin war, ist Paetongtarn erst die zweite Frau an der Spitze des südostasiatischen Landes – dazu mit Abstand die jüngste Regierungschefin in ganz Asien. Die konservative Regierungskoalition, die nach den letzten Wahlen über eine klare Mehrheit verfügt, hatte sie am Donnerstag als einzige Kandidatin aufgestellt. Der 62-jährige Srettha Thavisin war am Vortag im Rahmen einer Klage von 40 Senatoren nach weniger als einem Jahr im Amt abgesetzt worden; ihm wird ein Verstoss gegen die Berufsethik vorgeworfen, weil er einen vorbestraften Politiker zum Minister berief.

Steckt ein Komplott hinter ihrem Aufstieg?

So bekannt Paetongtarns Name und ihr Gesicht inzwischen auch sind: Dass sie sich im ersten Wahlgang mit fast einer Zweidrittelmehrheit von 319 Stimmen durchsetzen konnte, ist trotz allem eine Sensation. Und es lässt vermuten, dass diese Rochade sowohl in der eigenen Partei als auch in der neun weitere Kleinparteien zählenden Koalition umsichtig aufgegleist worden ist. Folgt das Ganze gar einem von langer Hand vorbereiteten Plan?

Zumindest muss angenommen werden, dass die Rückkehr, Begnadigung und die De-facto-Rehabilitierung von Thaksin Shinawatra vor Jahresfrist in engem Zusammenhang mit dem Beitritt von Pheu Thai zum erzkonservativen Regierungslager steht. Ohne diesen Schritt hätten die dem Königshaus und den Militärs nahestehenden Verliererparteien nämlich niemals eine Parlamentsmehrheit ergattert. Dass Thaksins Pheu-Thai-Partei deshalb mit dem Posten des Regierungschefs (für Srettha) belohnt wurde, ist naheliegend. Dass Srettha gar nur für ein paar Monate als Sesselwärmer dienen sollte, ist Spekulation, kann aber nicht ganz ausgeschlossen werden.

Paetongtarns Aufstieg steht natürlich auch im Zusammenhang mit Sretthas mangelhafter Bilanz. Als Immobilienunternehmer und integer wirkende Figur weckte er Hoffnungen auf eine Wende zum Besseren. Doch Thailands Wirtschaft lahmt, die Unzufriedenheit wächst. Mit Srettha an der Spitze, das zeigt sich schon nach einem Jahr klar, lassen sich die nächsten Wahlen nicht gewinnen. Soll Pheu Thai weiterhin als Zugpferd wirken und die aufkommenden progressiven Kräfte in Schach halten, musste die Führung in andere Hände gelegt werden.

Zurück an der Macht

Dass eine von Thaksins Tochter angeführte Regierungskoalition, deren Kabinett nun neu bestellt werden muss, das Steuer herumreissen kann und im Königreich wieder Perspektiven schafft, darf aber schon bezweifelt werden. Letztlich sind ja weder die alten Machthaber noch Pheu Thai reformfreudig; dieses Prädikat reklamieren nur Parteien, die in den vergangenen Jahren – und zuletzt vor zehn Tagen – eine nach der andern vom Establishment verboten worden sind.

Pheu Thai sowie Paetongtarn stecken ohnehin in Fussfesseln: Immer, wenn der Shinawatra-Clan in der Vergangenheit zu mächtig und übermütig wurde, fuhren in Bangkok Panzer auf. Das zeigt generell die Grenzen der Politik, der Meinungsfreiheit und der Demokratie im Königreich auf. Manch einer wird sich nun auch fragen, was die früheren Militärputsche von 2006 und 2014 gegen die Shinawatras eigentlich sollten? Politisch und wirtschaftlich haben sie nichts gebracht, gesellschaftlich bestehen die alten Gräben fort und die Institutionen – allen voran Justiz, Armee und Königshaus – haben an Glaubwürdigkeit verloren. Es ist ein seltsames Armutszeugnis und Alarmzeichen, dass Thailand nun doch wieder die Shinawatras braucht.

Exit mobile version