Dienstag, Oktober 1

Diese Street Parade ist eine der Heissesten überhaupt. Bis 16.30 Uhr musste die Sanität sich um rund 100 Personen kümmern – und es werden immer mehr.

Heute herrscht in der Stadt Zürich für einen Tag und eine Nacht der Ausnahmezustand. Hunderttausende Raverinnen und Raver tanzen seit dem frühen Nachmittag an der grössten Technoparty der Welt.

Die Route der 30 Lovemobiles verläuft rund um das Seebecken. Entlang der Strecke sind zudem acht Bühnen aufgebaut. Mit dem Auto ist kein Durchkommen sein, der öffentliche Verkehr ist eingeschränkt.

Live-Ticker

18.28 Uhr: Erster Besuch in Zürich – extra für die Street Parade

Die Frau mit den roten Westernstiefeln hat ihren Trip nach Zürich extra auf das Wochenende der Streeparade gelegt.

Sie und ihre beiden Freundinnen stammen aus London und sind zum ersten Mal hier. Bis jetzt gefällt es ihnen, doch die Hitze scheint den Touristen zu schaffen zu machen. Sie ruhen sich auf einer Bank im Schatten etwas aus.

18.18 Uhr: Von Tausend auf eine Million

Eine Vertausendfachung in gut zehn Jahren: Das ist die unglaubliche Geschichte der Street Parade in den 1990ern. 1992 fand sie zum ersten Mal statt, mit gut 1000 Raverinnen und Ravern. 2001 wurde dann zum ersten Mal die Millionenmarke geknackt.

Seither bewegt sich die Teilnehmerzahl jeweils um 900 000 Personen, nur in Regenjahren sind es klar weniger. Und während der Pandemie: Damals fand die Street Parade zwei Jahre lang gar nicht statt.

17.52 Uhr: Mehr Patienten für die Sanität

Überschwänglich umarmt eine Frau die Rettungssanitäterin, die sie aus dem Posten führt. «You are an angel», ruft sie, bevor sie wieder in Richtung Street Parade läuft. Auf dem Rettungsposten von Schutz und Rettung Zürich (SRZ) an der Talstrasse ist viel Los an diesem Nachmittag.

Es ist einer von sechs Posten der Zürcher Rettungsdienste an der Street Parade, 400 zusätzliche Mitarbeitende hat SRZ an diesem Tag im Einsatz, nur wegen des Grossanlasses.

Im Posten ist Björn Deppeler der Chef, 49 Jahre alt, seit 19 Jahren Rettungssanitäter. Als er zum Reporter hinsitzt, warnt er: Er könne jeden Moment weggerufen werden, und so wird es am Ende auch sein.

Vorher sagt Deppeler jedoch noch, wie es um die Gesundheit der Parade-Besucher steht: «Die einen kommen wegen der Hitze, die anderen haben einen Bienenstich, einer hat dort hinten hingekotzt und jetzt beginnt es auch langsam mit den Fällen von zu viel Alkohol und Drogen.»

Rund 100 Personen hat die Sanität bis 16:30 Uhr behandelt, und minütlich werden es mehr. Am häufigsten sind Herz-Kreislaufprobleme wegen der Hitze, Komplikationen wegen Substanzkonsum und Schürfungen an den Füssen. Es gebe im Vergleich mit dem Vorjahr etwas mehr Fälle, so Deppeler. Aber: «Die Stimmung bleibt entspannt.»

Dann muss der Rettungssanitäter weiter, ins Behandlungszelt, wo eine alte Dame schwer atmend neben einem schon wieder munteren jungen Mann mit verspiegelter Sonnenbrille liegt. Alle werden sie hier nach den Regeln der Kunst verarztet. Und wenn sie draussen sind, machen sie noch ein Selfie mit den Wache stehenden Polizisten.

17.27 Uhr: Vom Metzger zum «Mister Street Parade»

Der Kopf der Street Parade heisst Joel Meier. Er ist Präsident des Vereins Street Parade und verantwortet die Planung, das Programm, die Musik, die Getränke- sowie Essensstände und die Love-Mobiles. Events zu veranstalten, sei primär Krisenmanagement, sagte Meier kürzlich gegenüber der NZZ: «Man organisiert, was man nicht planen kann.» Seine Aufgabe sieht er darin, Probleme zu beseitigen, bevor die Besucher etwas davon mitbekommen.

Meier ist eigentlich gelernter Metzger. Doch schon immer hat ihn die Musik fasziniert. Deshalb blieb er nicht lange bei seinem Beruf, sondern begann mit seiner Band «Lazy Bones» durch die Schweiz, Deutschland und Österreich zu touren. Als sich der Gitarrist einen Finger bricht, kommt die Karriere als Rockstar jedoch zu jähen Ende. Aus Verlegenheit steigt Meier ins Event-Business ein.

Heute steht der «Mister Street Parade», wie Meier sich gelegentlich nennt, auch hinter den Events Silvesterzauber, Uster on Ice und Open Air Gampel. Während der Pandemie erlangte er einige Bekanntheit, weil er spontan die Impfbusse managte. Davon abgesehen lebt Meier eher zurückgezogen.

17.10 Uhr: Ein Grossaufgebot für die Gesundheitsversorgung

Der beste Ort der Street Parade ist nicht bei den Lovemobiles oder vor den Bühnen, nicht auf dem Booten am See oder den VIP-Tribünen rund herum. Nein, der beste Ort ist in einer Nebenstrasse beim Bürkliplatz, wo gnädige Seelen einen Gang aus Sprinkleranlagen gebastelt haben.

Überhitzt, beengt, verschwitzt, wie man ist, kann man nicht anders als hindurch zu rennen. Und, auf die Haut durchnässt, selig auf der anderen Seite anzukommen.

Dafür, dass an der Street Parade jeweils rund 1 Million Menschen exzessiv feiern, kommen relativ wenige Personen zu Schaden. Die meisten Behandlungen erfolgen jeweils aufgrund von Schnittwunden an den Füssen, übermässigem Alkohol- und Drogenkonsum oder Flüssigkeitsmangel. Dagegen lässt sich leicht vorbeugen. Die Behörden empfehlen: ausreichend Wasser und alkoholfreie Getränke zu konsumieren sowie festes, geschlossenes Schuhwerk zu tragen.

Für die Gesundheitsversorgung der Partygänger ist Schutz und Rettung Zürich mit einem Grossaufgebot präsent. Im Vergleich mit dem Normalbetrieb sind 400 zusätzliche Personen aus den Bereichen Sanität, Einsatzleitzentrale, Feuerwehr, Zivilschutz und Logistik im Einsatz. Schutz und Rettung betreibt sechs Behandlungsstellen entlang der Umzugsroute.

Hinzu kommt die Patientensammelstelle, welche Personen aufnimmt, die zu viele Drogen im Körper haben. Zudem sorgen mobile Rettungsequipen und drei Boote für einen schnellen Transport der Patienten. Der Sanität stehen zudem dreizehn zusätzliche Rettungswagen zur Verfügung.

17.00 Uhr: Warum sind weibliche DJ immer noch in der Minderheit?

Auf der Hauptbühne auf dem Sechseläutenplatz peitscht Ellen Allien gerade die Menge auf mit harten Beats, die an Gewehrsalven erinnern. Die Berliner DJ ist eine der grossen Namen der diesjährigen Street Parade. Insgesamt sind die Frauen auf der Bühne aber nach wie vor untervertreten.

Ellen Allien bringt gerade den Sechseläutenplatz zum Beben.

Im Interview mit der NZZ hat die Zürcher DJ Rosanna Grüter über das Thema gesprochen. «Die Technobranche ist nicht so divers, wie sie sich gerne gibt», sagte sie. Das liege unter anderem auch an den grossen Lohnunterschieden zwischen den Geschlechtern, die gemäss Studien 68 Prozent betrügen. Diese Unterschiede führten dazu, dass weniger Frauen vom Job als DJ leben könnten und deshalb noch immer unterrepräsentiert seien.

Ein anderes Problem sei sexualisierte Gewalt, welche viele weibliche DJ erlebten. «Der Job des DJ findet in der Nacht statt, die Leute sind enthemmt, konsumieren Alkohol und andere Drogen. All das begünstigt leider Übergriffe.»

16.39 Uhr: Mitten durch die Menge

Ein muskulöser Mann trägt eine Sexpuppe auf dem Rücken. Sie ist aufblasbar, überdimensioniert und wird von einem Trupp Männer verfolgt, die wie die Wilden ihre Brüste betatschen und dazu hysterisch lachen. Der Mann selbst trägt einen Schleier und tanzt durch die Menge , als sei es sein letzter Tag auf Erden. Das hier ist sein Junggesellenabschied.

Ein paar Meter weiter schlägt ein anderer Mann um sich. Er torkelt, er wankt, er schimpft. Offensichtlich unter Drogen dreht er sich langsam eine Zigarette. Hinter ihm dröhnen die Lovemobiles über die Zürcher Quaibrücke. Tausende tanzen, zwei Raver küssen sich mitten in der Menge, lang und überschwänglich, als küssten sie zum ersten Mal.

Vom Bellevue an die Bahnhofstrasse dauert es normalerweise 2 Minuten mit dem Tram, 5 Minuten zu Fuss. Jetzt geht es fast eine Stunde. In der Menge zu laufen ist wie gegen einen Fluss zu schwimmen. Es geht nur, wenn ein paar Leute sich zusammentun und eine Schlange bilden, bei der der vorderste die Menge wie ein Kiel durchpflügt.

Unterwegs bebt die Brücke, glitzern die verschwitzten Oberkörper. Und manchmal, für einen magischen Moment, springen alle gleichzeitig zum Rhythmus des Beats, bevor sie wieder aus einem Meer von Aludosen landen

16.17 Uhr: Polizei mit Grossaufgebot präsent

Im Vorfeld der Street Parade waren die Behörden in erhöhter Alarmbereitschaft – wegen einen erst kürzlich vereitelten Anschlagsplans auf die Zurich Pride. Dann kam noch die Absage der Konzerte von Taylor Swift in Wien dazu, ebenfalls wegen eines geplanten Anschlags. Jetzt ist die Stadtpolizei im Umfeld der Parade besonders stark präsent. In fast jeder Nebenstrasse finden sich vergitterte Einsatzwagen und Dutzende Polizistinnen und Polizisten.

Die Polizei ist mit vergitterten Einsatzwagen und Strassensperren vor Ort.

15.40 Uhr: Droge Nummer eins ist Alkohol, vor manchen Pillen wird gewarnt

Trotz oder gerade wegen der Hitze: Ganz nüchtern ist die Street Parade offensichtlich nur für die wenigsten durchzustehen, Drogen begleiteten den Anlass schon immer. Am meisten konsumiert werden laut dem Drogeninformationszentrum der Stadt Zürich, das während des Anlasses Drogentests anbietet, zwei Betäubungsmittel, die gar nicht nicht aufputschen: Alkohol und Cannabis.

Erst dahinter folgen jene Drogen, die dafür sorgen, dass man bis in die frühen Morgenstunden durchtanzen kann. An erster Stelle steht MDMA, in Kristall- oder Pillenform. Diese Pillen waren unter dem Begriff «Ecstasy» von Anfang an zentrales Element der Technokultur.

Neu ist laut den Beobachtern vom Drogeninformationszentrum nur, dass der Inhalt heute mit grosser Zuverlässigkeit reines MDMA ist, und dass die die Dosierung stark gestiegen ist. Dies kann zu Nebenwirkungen führen, bis hin zu einem Kreislaufkollaps.

Für einen Mann mit 80 Kilogramm Körpergewicht liegt die kritische Grenze bei einer Dosis von 120 Milligramm MDMA, es kursieren aber Pillen mit der dreifachen Menge. Auf der Website Saferparty wird vor diesen gewarnt.

Aktuell kursierende MDMA-Pillen mit gefährlich hohem Gehalt.

Neben MDMA werden an der Street Parade als Stimulanzien oft auch Kokain und Amphetamine konsumiert.

15.20 Uhr: Trinken, trinken, trinken

Die Vodkaflaschen: leer. Die Bierdosen: in Grossmengen da, meist gleich ein ganzer Einkaufswagen voll. Der Alkohol fliesst an der Street Parade üppig, und die umliegenden Geschäfte machen das Geschäft ihres Lebens.

Ein Edelrestaurant hinter dem Opernhaus hat sich flugs in einen Take-away-Stand verwandelt. Das Bier kostet hier 8, der gespritzte Weisse zehn Franken. Sogar Eiswürfel gibt es zu Kaufen – für 3 Franken pro Becher. Das zweifelhafte Motto auf dem Schild vor dem Ausschank: «Everything ok? Yes, get a drink. No, get a drink.»

15.10 Uhr: Flucht vor der Hitze, die Menschen springen in den See

Schon jetzt ist klar: Die Street Parade von 2024 wird eine der heissesten Ausgaben überhaupt. Das Thermometer von Meteoschweiz in der Messstation Fluntern zeigt bereits 28,6 Grad an. In der tanzenden Menschenmenge auf dem Asphalt ist es sicher einiges mehr – und die Temperatur dürfte bis am Abend noch um ein gutes Grad zunehmen. Nur dreimal war es am Tag der Parade heisser: 1998, 2003 und 2015 wurden Werte von über 30 Grad gemessen.

Der See bietet eine willkommene Abkühlung von der gnadenlosen Hitze. Wer es irgendwie einrichten kann, geht baden – mit oder ohne Badehose. Die Quaibrücke ist das Herz der Street Parade, sie zittert von den hüpfenden Ravern, im Gedränge ist kein Durchkommen. Wer es nicht mehr aushält, hüpft direkt in den See. Eine Gruppe junger Männer wirft die Badelatschen über die Brüstung und springt hinterher.

Das birgt auch Gefahren. Vor zwei Jahren kam ein 27-Jähriger während der Parade bei einem Badeunfall ums Leben, eine zweite Person musste reanimiert werden.

Wer kann, kühlt sich im See ab.

Ganz anders als dieses Jahr war es bei den ersten Ausgaben 1992 und 1993, damals kletterte das Thermometer nur auf gut 13 Grad Celsius. Über die Jahre gesehen können sich die Tanzfreudigen, die sich jeweils in knappe, schrille Outfits werfen, aber nicht beklagen: Petrus ist ihnen oft wohlgesinnt.

So richtig verregnet wurde die Parade nur 2002. Seit der Ausgabe von 2012 herrschte mehrheitlich wolkenloses Wetter, nur 2019 konnte sich die Sonne erst gegen Abend durch die Wolken kämpfen.

14.45 Uhr: Der erste Wildpinkler und die Express-Lane

Beim Bahnhof Stadelhofen herrscht bereits Grossandrang auf die mobilen Toiletten, es bildet sich eine meterlange Schlange. Wer es pressant hat, kann sich einen privilegierten Zugang zur Express Lane kaufen: Für zehn Franken gibt es unlimitierten Zugang zu den WC-Zonen. Man erhält einen «WC-Bändel» um den Arm und eine Flasche Wasser noch dazu. Statt also anzustehen und zu warten, bis man die zwei Franken Eintritt bezahlt hat, kann man direkt rein.

Einige finden das teuer, wie sich am WC-Bändel-Stand beim Opernhaus zeigt. Zehn Franken ist doch übertrieben, sagt ein Mann aus Deutschland. Der Bändelverkäufer rechnet ihm vor: «Du bekommst ein Wasser, das sonst fünf Franken kostet, und musst beim WC nicht mehr anstehen. Das ist doch ein guter Deal. Zudem hast du hier den ganzen Tag Musik und musst keinen Eintritt zahlen.» Das Argument überzeugt offenbar, der Mann kauft sich den Bändel.

Zur gleichen Zeit im Seefeld: Neben dem ersten Lovemobile ist ein kleines Vorgärtchen. Grüntonne, Buchsbüsche, ein schöner Altbau im Seefeld. Und: Ein Wildpinkler, der sich 10 Meter von der nächsten Toilette entfernt auf den Boden erleichtert. Er trägt Sonnenbrille, Kurzhaarschnitt und lässt sich Zeit. Als er fertig ist und den kritischen Blick einer angegrauten Raverin bemerkt, verbeugt er sich kurz und führt entschuldigend die Hände zusammen, wie zum Gebet.

14.41 Uhr: Verwunderte Touristen mitten im Getümmel

Nicht alle scheinen gewusst zu haben, was für ein Tag ihnen heute in Zürich bevorsteht. Diese zwei Touristinnen schauen dem Treiben verwundert zu.

14.22 Uhr: KI auf dem Lovemobile

Diese fahrende Bühne hat sich Grosses vorgenommen. «Eine Welt von Rätseln und Geheimnissen», «futuristische Musikgenres» und all das «gesteuert von Künstlicher Intelligenz»: Das verspricht das zweite Love Mobile. In der Praxis ist da vor allem viel Glitzer, Seifenblasen und sehr analoges Getanze.

Es ist heiss, es ist laut, die Party läuft. Aber noch ist Platz rund um den Bürkliplatz: Nur langsam füllen sich die Strasse mit Menschen, und viele von denen, die schon hier sind, stehen noch etwas zögerlich in den letzten Schattenflecken herum und tanzen auf der Stelle. Die ganze grosse Stimmung: Sie rollt erst gerade an.

14.00 Uhr: Die Parade geht los

Ein Countdown, ein Schrei, und los geht die Street Parade. Punkt 14 Uhr setzt sich der Umzug in Bewegung, das erste Lovemobile fährt los. Angeführt von einer Reihe als farbige Engel verkleideter Frauen.

Als sich das erste Fahrzeug durch die Menge pflügt, wird das Gedränge zum ersten Mal so richtig eng. Der Bass dreht auf, alle hüpfen, dann kommt der Drop – ein plötzlicher Rhythmuswechsel – und ein Johlen geht durch die Menge.

Schwitzende halbnackte Körper, farbige Hüte, hüpfende Kinder mit Irokesenschnitt: Als die Street Parade Kurs auf die Innenstadt nimmt, fährt sie an einem Ort vorbei, der so gar nicht zu all dem passen will. Dem Edelhotel Eden au Lac. Doch auch dort freuen sich die Gäste offensichtlich über die Techno-Party. Etliche hüpfen ekstatisch auf den altehrwürdigen Terrassen des Hotels herum.

13.45 Uhr: Meerjungfrauen und Wikinger

Den HB haben am frühen Nachmittag die Raver übernommen: Frauen und Männer mit Glitzerschminke, Gruppen mit Leuchtwesten, Wikinger und Meerjungfrauen. Viele der internationalen Gäste reisen per Bus an. Auf dem Busbahnhof am Sihlquai stehen die Cars aus Italien, Frankreich und Deutschland aufgereiht.

Die Raver schiessen beim Aussteigen fröhliche Ankunftsselfies. So wie Devin aus Turin. Der junge Mann im Hawaiihemd sagt, er sei das erste Mal in seinem Leben ausserhalb von Italien und drum schon voller Vorfreude auf die grosse Party. Kopfzerbrechen bereiten ihm nur die hohen Preise. Ein Bier koste 9 Euro, habe er gehört. «Incredibile!» Darum hätten sie unterwegs vorgesorgt.

Die Busse fahren um 24 Uhr und 4 Uhr morgens zurück nach Turin. Er geht um Mitternacht, wenn er den denn Bus wieder finde.
Fotografieren lassen wollen er und seine Freunde sich lieber nicht. Sie seien «bad guys», sagt er.

13.27 Uhr: Wie heisst nochmals das Motto?

Weil die erste Parade bei der Stadtpolizei 1992 als Demonstration angemeldet wurde, musste sie ein Motto haben. Das ist bis heute so. «Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz», lautete das erste, «Prefer: Tolerance» das aktuelle. Aber erkennen Sie ein Street-Parade-Motto als solches, wenn Sie eines sehen? Hier der Test:

13.14 Uhr: Längstes Lovemobile der Geschichte

Das erste Lovemobile ist ein Rekord: 34,7 Meter lang – so viel wie noch keines zuvor. Gebaut hat es der Verein «Friends of the Street Parade», der traditionell die Parade eröffnet. Das Motto ist «Dschungel», und tatsächlich ranken sich ein paar grüne Plastikblättchen über den Wagen. Sonst ist er wie jede andere fahrende Bühne hier: voll, laut und gerade ziemlich heiss.

13.00 Uhr: Auf die Sekunde genau

Punkt 13 Uhr beginnt auf der Hauptbühne auf dem schon gut gefüllten Sechseläutenplatz der Electro-Singer-Songwriter Monolink zu spielen. Die Menge jubelt. Und zwei Minuten später setzt zum ersten Mal jener dröhnende Bass ein, der Zürich durch diesen Tag begleiten wird.

12.54 Uhr: Das Warten auf den Start

Am Utoquai füllt sich langsam die autoleere Strasse. Wo sonst die Pendler vorbeirauschen, stehen jetzt die riesigen Lovemobiles bereit. Die Raverinnen und Raver warten mit viel Glitzer und gelangweilten Gesichtern darauf, dass es um 13 Uhr losgeht.

12.16 Uhr: Illegales Campen unter den Augen des Gesetzes

Wo sonst die Richter über Recht und Unrecht urteilen, campen heute die Raverinnen und Raver. Direkt vor dem Zürcher Obergericht wird aus einem respektablen Pärkchen wie jedes Jahr ein Campingplatz. Bier, Chips und nackte Oberkörper statt ernsten Anzugträgern: Es ist das erste Zeichen, dass Zürich an diesem Tag eine etwas andere Stadt ist.

11.43 Uhr: Viel Dosenbier und eine Dragqueen auf dem Campingplatz

In Wollishofen herrscht schon am Morgen Festival-Atmosphäre. Auf dem Campingplatz «Fischers Fritz» stehen die Zelte dicht an dicht. Technosound aus unzähligen Boxen mischt sich zu einem irritierenden Klangteppich.

Männer mit nackten Oberkörpern prosten sich mit Dosenbier zum Frühstück zu; eine Dragqueen zupft ihr pinkes Latexkostüm zurecht, während eine Frau mit Kopftuch Campingutensilien aus dem Kofferraum ihres Autos lädt.

Der Campingplatz «Fischers Fritz» am Zürichseeufer ist seit Jahren ein beliebter Treffpunkt der Raver. Vornehmlich Italiener, Deutsche und Holländer sind anzutreffen. Die Verantwortlichen schaffen für das Street-Parade-Wochenende zusätzlichen Platz, selbst der Kinderspielplatz wurde zur Campingzone umfunktioniert.

Emanuelle und Knut haben es in ihrem Camper verhältnismässig gemütlich. «Wir sind schon 56, fürs Zelten sind wir zu alt», sagt die Aargauerin und lacht. Sie bleiben zwei Nächte hier. «Das ist das beste, dann müssen wir uns keine Gedanken machen wegen der Heimreise.» Zudem sei die Stimmung super locker, alle seien hilfsbereit. «Nur nachts ist es etwas laut», fügt Knut an. «Um 4 Uhr haben sie nochmals richtig Gas gegeben.»

Die beiden wollen es ruhiger angehen. «Wir gehen artgerecht auf die Rentenwiese», sagt sie. Später als zehn werde es wohl nicht bei ihnen.

11.30 Uhr: Momo-Verkäufer aus dem Glarnerland

Während viele Zürcherinnen und Zürcher der Mega-Party eher entfliehen möchten, strömen aus allen Ecken des In- und Auslandes Partytiere in die Stadt.

Vor Tagen schon war im hintersten Ecken des Glarnerlands an einem Momo-Stand ein warnend-frohlockendes Schild zu lesen: «Bin am Samstag nicht in Linthal! Bin an der Street Parade». Darunter ein Smiley mit einem (mutmasslichen) Joint.

Antworten auf alle wichtigen Fragen zum Techno-Grossanlass

Fast eine Million Raver, 90 Tonnen Abfall, 30 Love-Mobiles und 15 Extrazüge: Heute nimmt das Partyvolk für einen Tag und eine Nacht Besitz von Zürich. An der mutmasslich grössten Technoparty der Welt, der Street Parade.

Wird die Millionengrenze wieder geknackt?

Angesichts der guten Wetterprognosen könnte es dieses Jahr wieder so weit sein. Letztmals kamen gemäss Schätzungen der Organisatoren 2018 eine Million Raverinnen und Raver nach Zürich. Normalerweise bewegt sich die Besucherzahl um 900 000.

Verglichen mit dem Start ist das fast eine Vertausendfachung. Bei der ersten Street Parade im Jahr 1992 tanzten noch rund 1000 Raver in der Zürcher Innenstadt. In den Jahren darauf stiegen die Zahlen rasant, bis 2001 das erste Mal die Millionengrenze geknackt wurde.

Zwar waren es in Regenjahren wie 2002, 2009 und 2010 deutlich weniger. Doch auch dann sank die Zahl nie unter eine halbe Million. Nur während der Pandemiejahre kam niemand, weil die Parade abgesagt war. Seit 2022 besuchen nun wieder Techno-Freaks aus aller Welt Zürich und verwandeln die Stadt in eine riesige Tanzfläche.

Weiter wachsen will die Street Parade übrigens nicht. Es gehe nicht darum, neue Rekorde aufzustellen, schreiben die Veranstalter. Sondern darum, dass die Einzelnen Freude daran haben könnten.

Was ist dieses Jahr besonders?

Eigentlich nichts. Die Street Parade lebt davon, dass sie jedes Jahr ähnlich abläuft – so wie die Hunderttausende Besucher es sich wünschen. Neben den 30 fahrenden Bühnen, den Love-Mobiles, gibt es auch 8 fixe Bühnen entlang der Route. Diese verläuft vom Utoquai am Zürcher Seebecken via Sechseläutenplatz, Quaibrücke und Bürkliplatz bis hin zum Hafendamm in Zürich Enge.

Im Vergleich mit anderen Grossanlässen speziell ist, dass die Teilnahme an der Street Parade gratis ist – offiziell handelt es sich um eine Demonstration. Die jährlichen Kosten – rund 2,8 Millionen Franken – werden über Sponsoring und Catering-Einnahmen gedeckt.

Im eher durchkommerzialisierten Musik-Business ist zudem bemerkenswert, dass die auftretenden Musikerinnen und Musiker hier auf eine Gage verzichten. Das hat damit zu tun, dass die Organisatoren hinter der Street Parade nicht gewinnorientiert arbeiten und stark auf freiwillige Helfer bauen.

Kann ich am Tag der Street Parade normal durch die Stadt fahren?

Nein. Die Innenstadt um das Seebecken ist mit einer Reihe von Fahr- und Parkverboten belegt. Mit dem Auto wird so gut wie kein Durchkommen sein. Die Stadt empfiehlt deshalb ein Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel.

Auch dort wird der Grossanlass jedoch einiges auf den Kopf stellen. Zwischen Paradeplatz und Bürkliplatz, am Limmatquai und über das Bellevue fahren ab 12.30 Uhr weder Trams noch Busse. Am Bahnhof Stadelhofen, der sich direkt am Umzug befindet, dürfte zudem kaum ein Durchkommen sein. Die SBB empfehlen selbst Reisenden, die an die Street Parade wollen, über den Hauptbahnhof oder Zürich Enge zu fahren.

Um die Menschenmassen sicher nach Zürich und wieder weg zu bringen, setzen die SBB 15 Extrazüge ein. Auch das Nachtnetz im Kanton wird temporär ausgebaut.

Wie steht es um die Sicherheit?

Nachdem beim letzten Zürcher Grossanlass – dem Pride-Umzug im Juni – ein mutmasslich islamistisch motivierter Anschlagsplan vereitelt worden ist, sind die Behörden auch bei der Street Parade wachsam.

Die Stadtpolizei Zürich ist mit einem Grossaufgebot im Einsatz, wie sie auf Anfrage schreibt. Es seien «viele Sicherheitsmassnahmen» getroffen worden. Details gibt die Polizei aus polizeitaktischen Gründen nicht bekannt. Die in der Innenstadt verteilten Hindernisse für irregulär fahrende Fahrzeuge dürften dabei nur das sichtbarste Element des Sicherheitskonzepts sein.

Wie hat sich die Street Parade gewandelt?

Die Street Parade wird in diesem Jahr zum 31. Mal veranstaltet. Begonnen hat alles 1992, als gerade einmal zwei Love-Mobiles die Raver auf dem Limmatquai und der Bahnhofstrasse begleiteten.

Fast wäre die Street Parade jedoch schon kurz nach ihrer Gründung verboten worden. 1994 wollte der damalige Polizeivorsteher Robert Neukomm (SP) der Parade keine Bewilligung mehr erteilen. Zu gross und zu laut war sie ihm. Ausserdem störte sich Neukomm am vielen Abfall, den die Parade schon damals produzierte. Dazu kam, dass die Stadtregierung sich damals mit einer grossen offenen Drogenszene herumschlug und weitere Ausschweifungen in der Innenstadt verhindern wollte.

Der Protest war riesig, auch die NZZ kritisierte den Entscheid – er entstamme einer «Haltung der Kleinlichkeit und Engstirnigkeit». Nach einem Rekurs und der Verlegung der Route zum Seebecken konnte der Anlass trotzdem stattfinden.

Seit 2003 starten die Love-Mobiles im Seefeldquartier. Zuvor befand sich der Anfang der Parade in Wollishofen. Der Besucherandrang ist bis heute gross. Trotz ihrem mittlerweile fortgeschrittenen Alter lockt die Parade immer noch zuverlässig ein junges Party-Publikum an, das Zürich mit Musik, Tanz und jeder Menge Abfall füllt.

Warum hat die Street Parade ein Motto?

«Let the Sun Shine», «Follow Your Heart» oder schlicht «Friendship»: Traditionellerweise gibt sich die Street Parade jedes Jahr ein tendenziell etwas nebulöses Motto. Dieses Jahr lautet es «Prefer:Tolerance».

Man wolle mit dem Techno-Fest zeigen, «dass eine tolerante Haltung Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichsten Alters zusammenbringen und Positives bewirken kann, unabhängig von Religion, sexueller Orientierung, Hautfarbe oder Interessengruppe», schreiben die Organisatoren.

Die Sache mit dem Leitspruch hat übrigens einen historischen Ursprung. Im Jahr 1992 reichte der Mathematikstudent Marek Krynski bei der Stadtpolizei eine Eingabe für eine Demonstration ein, und diese musste ein Motto haben. «Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz», lautete es damals.

Was ist mit den Drogen?

An der grössten Technoparty der Welt wird auch eine grosse Menge an Drogen konsumiert. Die im Abwasser gemessenen Rückstände beim Ecstasy oder Kokain sind jeweils deutlich höher als an einem normalen Wochenende in Zürich. Sie schwanken jedoch von Jahr zu Jahr stark.

Das Drogeninformationszentrum der Stadt Zürich warnt wie jedes Jahr vor dem unkontrollierten Drogenkonsum. An der Street Parade würden stets besonders viele falsch deklarierte Substanzen verkauft. Man solle deshalb nur konsumieren, was man zuvor bei einem mobilen Drogen-Test-Labor habe überprüfen lassen. Ein solches gibt es beim Bürkliplatz und, zum ersten Mal, auch an der Langstrasse.

Das Testangebot ist gratis. Auch Schutz und Rettung Zürich wird mit einem Grossaufgebot vor Ort sein.

Wie viel Abfall wird erwartet?

Viel. In der Vergangenheit fielen jeweils rund 90 Tonnen Abfall durch die Street Parade an. Am Abend läuft man im Stadtzentrum jeweils auf einem Meer von plattgedrückten Bierdosen, Glasflaschen und Verpackungen.

Für die Aufräumarbeiten auf dem Festgelände sind die Organisatoren zuständig, bei den ebenfalls stark verschmutzten Einfallsachsen zur Parade kümmert sich die Stadt um Sauberkeit. Auch eine Reinigung des Seebeckens findet jeweils statt.

Das Zürcher Amt für Entsorgung und Recycling (ERZ) schreibt auf Anfrage, man bemühe sich, die Abfallmengen bei Grossveranstaltungen zu reduzieren, und mache den Veranstaltern diesbezüglich strenge Vorschriften, etwa zur Trennung von PET, Aluminium, Glas und Karton.

Beim durch die Stadt gesammelten Abfall – letztes Jahr rund 30 Tonnen – habe man die Recycling-Quote in den vergangenen Jahren steigern können, dank einer maschinellen Nachsortierung. Die Quote betrug 2023 rund 14 Prozent. Die Mehrheit des Street-Parade-Güsels bleibt somit klassischer Kehricht.

Was tut die Stadt gegen den Gestank nach der Parade?

Es ist jedes Jahr dasselbe: Sind die Raver einmal weg, ist die ganze Innenstadt noch tagelang nur naserümpfend passierbar. Es stinkt, vor allem nach Urin.

Die Stadt Zürich geht mit einem Arsenal von Massnahmen dagegen vor. Mit Schwemmfahrzeugen werden schon in der Nach nach der Parade jeweils stundenlang Plätze und Strassen gereinigt. Für kleinere Gassen und Promenaden hat die Stadt kleine Lieferwagen mit Wassertank und Hochdruckstrahl parat. Des Weiteren kommt auch ein spezieller Anti-Urin-Spray zu Einsatz. Dieser soll den WC-Geruch auf den Strassen mit einer angenehmen Zitronennote überdecken.

All das reicht in der Regel aber nicht, um den Gestank ganz von den Strassen zu bannen. Das schafft jeweils erst der erste grosse Niederschlag nach der Street Parade. Mit dem ersten Regen verschwindet traditionell auch die letzte Erinnerung an die Riesenparty.

* Oliver Camenzind, Marius Huber, Jan Hudec, Francesca Prader, Giorgio Scherrer

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