Frankreichs Haftanstalten sind chronisch überbelegt. Ein neues Gefängnis im Dschungel von Französisch-Guayana könnte zumindest teilweise Abhilfe schaffen. Der Standort hat allerdings eine düstere Vergangenheit.

Im Jahr 1923 reiste der französische Journalist Albert Londres nach Französisch-Guayana – und was er dort sah, liess ihn sein Leben lang nicht mehr los. In Cayenne, dem Zentrum der damaligen Strafkolonie, sah der Korrespondent von «Le Petit Parisien» halb verhungerte, apathische Männer, die nachts mit Eisenringen an den Knöcheln aneinandergekettet waren. Er sah Häftlinge, die in tropischer Hitze und bis zur völligen Erschöpfung Steine klopfen mussten und für kleinste Vergehen in enge Käfige gesperrt wurden.

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«Aasvögel folgen einem, als ob man es gewohnt wäre, Stücke von fauligem Fleisch auf seinen Weg fallen zu lassen», schrieb der Journalist in seinem Reportage-Band «Au baigne», der das System der Strafkolonie schonungslos offenlegte. Dieser unwirtliche Ort fernab vom französischen Mutterland, so fasste Londres zusammen, zermürbe den Menschen nach und nach: «Man spürt, dass man bald zu nichts zerbröselt wäre, wenn man hier bliebe – wie eine Klippe, die das Wasser langsam unterspült.»

Historisch belasteter Ort

Hundert Jahre später erinnert sich Frankreich wieder an diesen düsteren Teil seiner Vergangenheit. Denn ausgerechnet in der entlegenen Stadt Saint-Laurent-du-Maroni im äussersten Westen von Französisch-Guayana soll ein neues Hochsicherheitsgefängnis entstehen. Überraschend hatte das der französische Justizminister Gérald Darmanin am Samstag während einer Südamerika-Reise angekündigt.

Darmanin war am Donnerstag zunächst nach Brasilien geflogen, um mit der Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva über die Rückführung von etwa 500 in Frankreich inhaftierten brasilianischen Drogenhändlern zu verhandeln. Seit Monaten warnen staatliche Stellen vor einer neuen Dynamik des Kokainschmuggels entlang der Route zwischen dem Amazonas-Gebiet, Französisch-Guayana und dem französischen Festland. Jede Woche würden am Flughafen von Cayenne, der Hauptstadt des französischen Übersee-Départements, brasilianische Kuriere mit Drogenpaketen abgefangen.

In Frankreich mit seinen chronisch überfüllten Gefängnissen aber gibt es für neue Häftlinge kaum noch Platz. Man könne es dem Steuerzahler ohnehin nicht zumuten, ausländische Gefangene auf Staatskosten zu unterhalten, hatte Darmanin in einem Interview mit dem «Journal du Dimanche» gesagt. Vor diesem Hintergrund stellte der Justizminister in Saint-Laurent-du-Maroni stolz seine Pläne für den Bau des neuen Riesen-Gefängnisses mitten im Amazonas-Gebiet vor.

Die Anlage, so rechnete er den mitgereisten Journalisten vor, solle Platz für mindestens 500 Schwerverbrecher bieten. Zudem werde es einen Hochsicherheitsbereich für 60 als besonders gefährlich eingestufte Drogenbosse sowie einen Trakt für 15 islamistische Terroristen geben. Er habe beschlossen, in Französisch-Guayana das dritte Hochsicherheitsgefängnis seiner Art in Frankreich zu errichten, erklärte der Minister vollmundig, «um die gefährlichsten Verbrecher des Landes ausser Gefecht zu setzen».

So weit weg wie möglich

Gemeint sind Haftanstalten mit besonders hohem Sicherheitsstandard – etwa mit Isolationszellen, massiven Mauern, einer Rund-um-die-Uhr-Überwachung und stark eingeschränktem Kontakt zu anderen Insassen. Als Vorbild gilt das Gefängnis von Vendin-le-Vieil im Département Pas-de-Calais, das im Juli eröffnet werden soll. Eine weitere Einrichtung dieser Art ist im normannischen Condé-sur-Sarthe geplant. Nachdem bei Gewalttaten im Drogenmilieu im vergangenen Jahr 110 Personen in Frankreich getötet worden waren, hat die Regierung ein härteres Durchgreifen gegen die organisierte Kriminalität versprochen.

Die neuen Haftanstalten sollen auch der Praxis, dass die Drogenhändler hinter Gitter trotz Verbot über Mobiltelefone verfügten und ihre Machenschaften bis hin zu Auftragsmorden von der Zelle aus weiter koordinierten, ein Ende setzen. In dieser Hinsicht verspricht der Gefängnisbau in Französisch-Guayana die grösstmögliche Distanz der Häftlinge zu ihrem kriminellen Alltag – und das womöglich auch ganz im Sinne früherer Strafregime.

In Saint-Laurent-du-Maroni, das am Ufer des Grenzflusses Maroni zum Nachbarland Surinam gelegen ist, befand sich einst der Ankunftsort für Strafgefangene aus Frankreich. Zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und 1953 gingen hier Zehntausende an Land, die weiter ins berüchtigte Lager von Saint-Laurent oder auf die Îles du Salut vor der Küste gebracht wurden. Ziel war es damals, die Verurteilten nicht nur räumlich, sondern auch gesellschaftlich aus dem Verkehr zu ziehen.

Seit den 1840er Jahren hatte sich in Frankreich die Vorstellung verbreitet, dass zu viele Häftlinge auf heimischem Boden eine Bedrohung für die Gesellschaft, ein moralisches Risiko für die arbeitende Bevölkerung und eine Belastung für die Staatskasse seien. Gefängnisschiffe transportierten Sträflinge von Rochefort, Brest und Toulon nach Übersee. Zeitweilig durften diese gar nicht mehr zurückkehren, nach Absitzen ihrer Strafe verrichteten sie über Jahre Zwangsarbeit. Der prominenteste unter den Verbannten war der zu Unrecht verurteilte jüdische Offizier Alfred Dreyfus, der 1895 unter öffentlicher Demütigung auf die Île du Diable deportiert wurde.

Justizminister unter Druck

Darmanin hatte die historischen Assoziationen womöglich gar nicht bedacht und sah sich umgehend scharfer Kritik ausgesetzt. Es sei nicht die Aufgabe Guayanas, Kriminelle und Terroristen vom französischen Festland aufzunehmen, so die Gewerkschaft CGT. «Dieses Vorhaben erinnert an eine schlimme Vergangenheit», wetterte die sozialistische Senatorin Marie-Laure Phinéra-Horth. Am Dienstag bemühte sich der Minister um Schadensbegrenzung. Untergebracht werden sollten in Saint-Laurent-du-Maroni in erster Linie Straftäter aus Guayana und von den Antillen, erklärte er.

Fertiggestellt werden soll das Dschungelgefängnis bis 2028. Der Druck auf das französische Justizsystem dürfte bis dahin kaum nachlassen. Die Gefängnisse des Landes sind seit Jahren so überfüllt, dass Zellen oft mit doppelt so vielen Insassen belegt sind wie vorgesehen. Unkonventionelle Lösungen haben deswegen Konjunktur: Jüngst erwog Präsident Emmanuel Macron sogar, Haftplätze in Drittstaaten anzumieten. Das gilt jedoch eher als teure Notlösung denn als nachhaltige Alternative.

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