Der türkische Drohnenhersteller Baykar expandiert nach Italien, Staatskonzerne schliessen Geschäfte mit Spanien und Portugal ab. Damit gewinnt die Türkei auch an Gewicht gegenüber Nato-Partnern und der EU.
Auf dem internationalen Rüstungsmarkt sind türkische Unternehmen längst kein Geheimtipp mehr. Vor allem unbemannte Fluggeräte aus der Türkei sind dank ihren erfolgreichen Einsätzen in Nagorni-Karabach, in Libyen und in der Ukraine zu einem regelrechten Exportschlager geworden.
Bei den 69 Exportgeschäften mit bewaffneten Drohnen, die zwischen 2018 und 2023 weltweit dokumentiert wurden, stammte die Ware in zwei von drei Fällen aus türkischer Produktion. Allein im vergangenen Jahr wuchsen die türkischen Rüstungsexporte um fast 30 Prozent und erreichten mit 7,1 Milliarden Dollar einen neuen Rekordwert.
Übernahme von italienischem Traditionsunternehmen
Der Expansionstrend hält an, auch geografisch. Die wichtigsten Abnehmer türkischer Rüstungsprodukte fanden sich anfangs in der weiteren Nachbarschaft, im Nahen Osten und in Afrika. Mittlerweile haben auch osteuropäische Nato-Staaten wie Polen, Rumänien und Kroatien türkische Drohnen bestellt. In der Ukraine baut das Unternehmen Baykar, das unter anderem die bekannten Bayraktar-Drohnen produziert, sogar eine eigene Fertigungsstätte.
Nun fasst die türkische Rüstungsindustrie aber auch im Westen Fuss. Ende Dezember gab das italienische Industrieministerium bekannt, dass Baykar die Firma Piaggio Aerospace übernehme.
Das traditionsreiche, vor 140 Jahren in Genua gegründete Unternehmen stellt Kleinflugzeuge, Überwachungsdrohnen und Triebwerke her. Piaggio Aerospace und der gleichnamige Hersteller des Motorrollers Vespa sind aus derselben Firma hervorgegangen, haben heute ausser dem Namen aber nichts mehr gemein.
Technologietransfer und neue Märkte
Laut Federico Donelli vom italienischen Institut für internationale politische Studien ermöglicht der Kauf Baykar einerseits die Erschliessung neuer Märkte. Piaggio Aerospace stand zwar seit dem Rückzug des Hauptinvestors 2018 unter Konkursverwaltung, verfügt aber über eine gute Auftragslage und musste seinen Betrieb nie zurückfahren. Darauf kann der neue Eigentümer aufbauen.
Andererseits biete die Zusammenführung des technologischen Know-hows viel Potenzial, sagt Donelli. Baykar dürfte dabei vor allem an der Expertise im Bau von Triebwerken interessiert sein. Obwohl die türkische Rüstungsindustrie viele technologisch sehr anspruchsvolle Komponenten selber entwickelt, etwa in der Sensorik, ist man im Antriebsbereich weiterhin auf das Ausland angewiesen. Die Schaffung eines möglichst autarken Rüstungssektors ist ein strategisches Ziel von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Aus italienischer Sicht habe beim Zuschlag für Baykar der Erhalt von Arbeitsplätzen und des italienischen Produktionsstandorts im Vordergrund gestanden, sagt der Forscher Donelli. Zumindest auf dem Papier präsentiere sich die Übernahme somit als Gewinn für beide Seiten.
Rüstungstechnologie erhöht politisches Gewicht der Türkei
Türkische Kommentatoren weisen zudem auf die Möglichkeit einer Rückkehr durch die Hintertür zum Programm für den F-35 hin, bei dem es sich um das modernste Kampfflugzeug der Nato handelt. Washington hatte nach dem türkischen Kauf des russischen Flugabwehrsystems S-400 alle türkischen Firmen aus dem Konsortium entfernt. Piaggio Aerospace ist aber als Zulieferer von Triebwerkteilen für den Nato-Jet vorgesehen.
Laut Donelli spielte die F-35-Thematik beim Kaufentscheid allerdings keine Rolle. Richtig sei aber, dass die Türkei angesichts der verstärkten Zusammenarbeit mit Italien in der Nato auf Fürsprache aus Rom zählen könne, etwa wenn dereinst die Wiederaufnahme ins F-35-Programm zur Debatte stehe. Grundsätzlich überlagerten gemeinsame strategische Interessen, beispielsweise bei der Stabilisierung des Mittelmeerraums, zunehmend die traditionellen Vorbehalte gegenüber der Türkei und besonders Präsident Erdogan.
Dies gilt laut dem italienischen Forscher auch über sein Heimatland hinaus. «Es besteht kein Zweifel daran, dass der Aufstieg der türkischen Rüstungsindustrie im Westen auf wachsendes Interesse stösst.» Eine Aufwertung der türkischen Rolle gegenüber der EU sei in diesem Zusammenhang durchaus denkbar.
Geschäfte mit Portugal und Spanien
Tatsächlich ist Italien nicht das einzige westeuropäische Land, das auf türkische Militärtechnologie setzt. Ebenfalls im Dezember gab die portugiesische Marine beim türkischen Staatskonzern STM zwei Versorgungsschiffe in Auftrag. Türkische Werften haben in der Vergangenheit unter anderem Kriegsschiffe für die Ukraine gebaut. Seitens eines Nato- und EU-Landes gab es eine solche Bestellung aber noch nie.
Nur zwei Tage später unterzeichnete die türkische Botschafterin in Madrid mit der spanischen Verteidigungsministerin eine Absichtserklärung über die Produktion von 24 Trainingsflugzeugen des Typs Hürjet. Auch der Verkauf eines Militärflugzeugs in die EU wäre eine Premiere für die Türkei.
Eine kleine Unsicherheit besteht wegen der Motoren, die der türkische Hersteller Tusas aus den USA bezieht. Für den Export braucht Ankara deshalb auch grünes Licht aus Washington. Im Falle des Nato-Staats Spanien rechnen Beobachter aber mit keinen Problemen.
Madrid und Ankara kooperieren schon länger im Rüstungsbereich, bis jetzt aber meist mit umgekehrten Rollen. Das Flaggschiff der türkischen Marine stammt aus einer spanischen Werft.
Populäre Rüstungsbranche
Anders als in westlichen Staaten ist der Rüstungssektor in der Türkei in keiner Weise stigmatisiert, sondern gilt vielmehr als heiss umkämpfter Arbeitgeber. Viel zum modernen Bild der Branche beigetragen hat Erdogans Schwiegersohn Selcuk Bayraktar. Der jugendliche Technologiechef von Baykar ist mit Erdogans jüngster Tochter verheiratet.
Bayraktar ist sehr beliebt im Land und wird hinter vorgehaltener Hand als potenzieller Nachfolger des Präsidenten gehandelt. Laut einer kürzlich veröffentlichten Meinungsumfrage würde er sich im Direktvergleich gegen die beiden populärsten Oppositionspolitiker durchsetzen.
Unabhängig von seiner politischen Zukunft ist Selcuk Bayraktar einer der grossen Gewinner des Rüstungsbooms in der Türkei. Zum Jahresende hat die amerikanische Zeitschrift «Forbes» den türkischen Unternehmer mit einem Vermögen von 1,2 Milliarden Dollar in ihre Milliardärsliste aufgenommen.