Mittwoch, April 30

Ein tödlicher Anschlag in Kaschmir hat die Spannungen zwischen den Atommächten Indien und Pakistan erneut angeheizt. Was steckt hinter dem Konflikt?

Ein Terroranschlag hat den jahrzehntealten Konflikt zwischen Indien und Pakistan erneut befeuert. Am 22. April 2025 töteten bewaffnete Angreifer in der Region Kaschmir 26 Menschen, viele von ihnen hinduistische Pilger. Indien macht die pakistanische Regierung mitverantwortlich. Nun droht Delhi offen mit Vergeltung. Pakistan weist jede Anschuldigung hinsichtlich einer Beteiligung am Anschlag zurück.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Lage eskalierte fortlaufend. Entlang der Waffenstillstandslinie kam es zu Feuergefechten. Indien suspendierte einseitig einen für Pakistan existenziellen Wasservertrag. Beide Länder ordneten die Ausweisung von Staatsbürgern und Diplomaten der jeweils anderen Seite aus ihrem Staatsgebiet an.

Die Regierungen von Indien und Pakistan zeigen sich entschlossen, ihre jeweilige Position zu verteidigen oder Vergeltung auszuüben. Der Druck steigt: In Indien fordern nationalistische Kräfte eine harte Antwort auf den Terroranschlag. In Pakistan wächst die Nervosität bezüglich möglicher Vergeltungsschläge. Bereits jetzt ist die Waffenruhe entlang der Kontrolllinie stark gefährdet.

Am 22. April 2025 griffen bewaffnete Männer eine Gruppe von Touristen nahe dem Ort Pahalgam im indisch kontrollierten Kaschmir an. 26 Menschen wurden getötet – darunter 24 Inder, ein Mann aus Nepal und ein einheimischer Reiseleiter. Weitere 17 Personen wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich offenbar gezielt gegen Zivilisten.

Die indische Regierung sprach von einem «terroristischen Akt» und machte die pakistanische Regierung verantwortlich. Premierminister Narendra Modi berief sein Sicherheitskabinett ein und kündigte umgehend Reaktionen an.

Nur Tage später eskalierte die Lage weiter: In der Nacht auf Freitag kam es im Tal Leepa entlang der Waffenstillstandslinie zu einem Schusswechsel zwischen indischen und pakistanischen Truppen. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, das Feuer eröffnet zu haben.

Die gegenwärtigen Spannungen zwischen den beiden Atommächten gründen in einem jahrzehntealten Konflikt.

Die Wurzeln des Konflikts reichen zurück ins Jahr 1947: Mit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft entstand Indien als mehrheitlich hinduistischer Staat – und Pakistan als Heimat für die muslimische Bevölkerung.

Seither stehen sich die beiden Länder als Rivalen gegenüber. Besonders umstritten ist Kaschmir – eine Region mit muslimischer Mehrheit, auf die beide Staaten Anspruch erheben. Seit 1947 haben Indien und Pakistan drei Kriege gegeneinander geführt, zwei davon um Kaschmir. Der Konflikt blieb ungelöst, das Misstrauen wuchs. Heute stehen sich zwei Atommächte gegenüber, deren Verhältnis von tiefer Feindschaft und latenter Kriegsgefahr geprägt ist.

Der Kaschmir-Konflikt ist eine der ältesten ungelösten Territorialstreitigkeiten der Welt. Im Zentrum steht das ehemalige Fürstentum Jammu und Kaschmir – mehrheitlich muslimisch geprägt, strategisch gelegen im Himalaja. Nach der Teilung Britisch-Indiens 1947 musste der damalige Maharadscha Hari Singh, der Herrscher der Region Kaschmir, entscheiden, ob er sich Indien oder Pakistan anschliesst. Singh entschied sich für Indien.

Pakistan erkannte den Beitritt jedoch nie an – und entsandte Truppen. Es folgte der erste Indien-Pakistan-Krieg. Er dauerte von 1947 bis 1949 an. Seitdem ist die Region entlang einer Waffenstillstandslinie, der sogenannten Line of Control, geteilt.

Indien kontrolliert den Süden und den Osten mit Jammu, dem Kaschmirtal und Ladakh. Pakistan hält den Nordwesten – Asad Kaschmir und Gilgit-Baltistan. Hinzu kommt China, das einen östlichen Teil beansprucht. Der endgültige Status blieb ungelöst: Pakistan fordert ein Referendum und beruft sich auf die muslimische Bevölkerungsmehrheit. Indien sieht Kaschmir als festen Teil seines Staatsgebiets. International wird der Status der Region als umstritten betrachtet.

Die Region ist hoch militarisiert. Entlang der mehr als 700 Kilometer langen Kontrolllinie stehen sich Zehntausende von Soldaten gegenüber. Immer wieder kommt es zu Feuergefechten. Täler wie das Tal Leepa gelten als militärisch sensitiv – sie könnten im Ernstfall zur Frontlinie eines neuen Kriegs werden.

Indiens Regierung hatte 2019 Kaschmir die Autonomie genommen und die Kontrolle über die Region verschärft. Der indische Premierminister Modi hatte sich vor dem Anschlag damit gerühmt, mit seiner Politik in der Region wieder für Stabilität gesorgt zu haben.

Indien macht Pakistan direkt für den Anschlag in Kaschmir verantwortlich. Die Regierung in Delhi vermutet einen Ableger der in Pakistan ansässigen Lashkar-e Toiba hinter dem Angriff – einer islamistischen Terrororganisation, die bereits mehrfach Anschläge in Indien verübt hat. Premierminister Narendra Modi hat seinen Streitkräften die «vollkommene operative Freiheit» zugesichert, um auf dem indischen Staatsgebiet militärisch zu reagieren.

Die indische Regierung hat auch diplomatisch reagiert. Zu den Strafmassnahmen gehört die Suspendierung des Indus-Wasservertrags. Das Abkommen von 1960 regelt die Wassernutzung des Indus und seiner Nebenflüsse. Für Pakistan eine Lebensader – etwa 70 Prozent der Wasserversorgung Pakistans hängen vom Indus ab. In Islamabad gilt ein Eingriff in diese Wasserzufuhr als potenzielles Überschreiten einer «roten Linie». In der Vergangenheit wurde angedeutet, dass eine solche Massnahme als ernste Bedrohung mit strategischer Relevanz – bis hin zum Einsatz nuklearer Waffen – wahrgenommen werden könnte.

Islamabad bestreitet jede Verantwortung für den Anschlag in Kaschmir. Informationsminister Attaullah Tarar erklärte am 29. April auf der Plattform X, jede Aggression Indiens würde «entschieden beantwortet». Pakistan verfüge über «glaubwürdige Geheimdiensterkenntnisse», wonach Indien einen Angriff innerhalb der nächsten 24 bis 36 Stunden plane. Die Regierung warnte vor einer «falschen Flagge», einem Täuschungsmanöver, das als Vorwand für einen Militärschlag dienen könnte – und versetzte ihre Truppen entlang der Grenze in Alarmbereitschaft.

Sicherheitsexperten sprechen von der schwersten Krise seit Jahren. Michael Kugelman, Direktor des Südasien-Instituts am Wilson Center in Washington, warnt auf der Plattform X vor einem Szenario, das ausser Kontrolle geraten könnte: Der Anschlag, die scharfen Reaktionen, der politische Druck auf beiden Seiten – all das mache das Eskalationsrisiko «deutlich höher als 2019 oder 2016». Damals hatte Indien auf schwere Anschläge mit grenzübergreifenden Militärschlägen reagiert – teilweise tief im pakistanischen Hinterland.

Ein neuer Krieg könnte bevorstehen – laut Beobachtern ist die Wahrscheinlichkeit dafür derzeit höher als in der Vergangenheit. Die Region Kaschmir war in der Vergangenheit mehrfach der Auslöser für militärische Zusammenstösse. Und mit jedem Schritt in Richtung Konfrontation wird der Spielraum für eine Deeskalation kleiner. Ein mehr als 50-jähriger Friedensvertrag droht vollständig in die Brüche zu gehen.

Das Shimla-Abkommen ist ein bilateraler Friedensvertrag zwischen Indien und Pakistan. Es wurde am 2. Juli 1972 unterzeichnet – kurz nach dem dritten Indien-Pakistan-Krieg, der mit der Unabhängigkeit Bangladeshs endete. Pakistan erlitt in dem Krieg eine schwere Niederlage.

Im Abkommen verpflichteten sich beide Seiten, Konflikte nur auf friedlichem Weg zu lösen. Die bestehende Waffenstillstandslinie in Kaschmir – die sogenannte Line of Control – sollte nicht einseitig verändert werden. Bis heute gilt das Shimla-Abkommen als diplomatische Grundlage für den Umgang der beiden Länder miteinander.

Die Vereinten Nationen haben beide Seiten zur «maximalen Zurückhaltung» aufgerufen. Der Sprecher von Uno-Generalsekretär António Guterres forderte Indien und Pakistan auf, jede weitere Eskalation zu vermeiden und Konflikte auf dem Verhandlungsweg zu lösen.

Auch die Europäische Union und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) mahnten zur Deeskalation. Zugleich verurteilten sie den Terroranschlag auf die Touristen in Kaschmir – und riefen zur Aufklärung der Tat auf.

Exit mobile version