Mittwoch, Januar 15

Pakistan hat eine halbe Million Afghanen in ihre Heimat ausgewiesen. Doch die wirtschaftliche Lage dort ist katastrophal. Auch im Nachbarland Iran fehlt vielen afghanischen Flüchtlingen eine langfristige Perspektive.

An der pakistanischen Grenze ist aus dem Strom wieder ein Rinnsal geworden. Während zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle Anfang November 18 000 afghanische Flüchtlinge pro Tag Pakistan in Richtung Afghanistan verliessen, zählte das Uno-Flüchtlingshilfswerk in der ersten Januarhälfte nur noch 600 Flüchtlinge am Tag. Die pakistanische Regierung macht zwar weiter Druck auf die nichtregistrierten Flüchtlinge, das Land zu verlassen. Der Grossteil der Afghanen ohne Aufenthaltspapiere ist aber inzwischen ausgereist.

«Die meisten, die eine Deportation fürchteten, haben Pakistan Anfang November verlassen», sagt die UNHCR-Sprecherin Duniya Aslam Khan. Damals sei der Druck besonders hoch gewesen. Wer keine Papiere hatte, habe sich kaum noch auf den Markt getraut, da bei Polizeikontrollen die Festnahme und Abschiebung drohte. Immobilienbesitzer seien unter Druck gesetzt worden, nicht länger an Afghanen zu vermieten. Daher hätten viele Familien keine Alternative gesehen, als auszureisen.

Die Regierung in Islamabad hatte im September den 1,7 Millionen nichtregistrierten Afghanen überraschend eine Frist bis zum 1. November gesetzt, das Land zu verlassen. Im Oktober begann die Polizei, Afghanen zu deportieren, wobei es auch Afghanen mit gültigen Papieren traf. Viele wurden in ihren Wohnungen festgenommen. Heute sei der Druck zwar geringer, sagt Khan. Doch habe sich Pakistans Politik nicht grundlegend geändert. Viele Afghanen fühlten sich immer noch nicht sicher.

«Alle haben Angst in Afghanistan»

Nach Uno-Angaben sind seit Oktober 502 000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan in ihre Heimat zurückgekehrt. «Alle haben Angst, in Afghanistan zu sein», sagt Khan vom UNHCR. Sie hätten das Land auf der Suche nach Sicherheit verlassen und blickten nun in eine ungewisse Zukunft. Afghanistan stecke in einer tiefen Wirtschaftskrise, und zwei Drittel der Bevölkerung seien heute auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele der Flüchtlinge seien in Pakistan aufgewachsen und hätten nie in Afghanistan gelebt. Für sie sei es ein fremdes Land.

Die meisten Rückkehrer sind vorläufig bei Verwandten untergekommen. Das Taliban-Regime hat in Kabul ein Transitzentrum eingerichtet, in dem Flüchtlinge ein paar Nächte bleiben können, bevor sie in andere Regionen weiterreisen. Auch erhalten bedürftige Flüchtlinge Bargeld für die Fahrtkosten. Das UNHCR unterstützt sie ebenfalls bei der Reintegration. Im Wesentlichen sind sie aber auf sich allein gestellt, um Unterkunft und Arbeit zu finden.

Angesichts der düsteren wirtschaftlichen Aussichten in Afghanistan fragen sich viele, ob sie dort eine Zukunft haben. Gerade für Frauen und Mädchen ist die Situation unter den Taliban finster. Das islamistische Regime verweigert ihnen den Zugang zu Bildung und Arbeit. Eine Rückkehr nach Pakistan ist trotzdem für die meisten keine Option, solange die dortige Regierung an ihrem harten Kurs festhält. Auch nach den Wahlen vom 8. Februar dürfte sich daran wenig ändern.

Iran vergibt weiter Visa an Afghanen

In der Wirtschaftskrise suchen immer mehr Afghanen ihr Glück in Iran. Viele junge Männer hoffen, später weiter nach Europa reisen zu können. Zumeist haben sie nur eine vage Vorstellung vom Westen, auch fehlt ihnen das Geld für die lange und gefährliche Reise. Der Grossteil sucht daher zunächst eine Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft in Iran. Im Gegensatz zu Pakistan erteilt Iran weiterhin Visa für Afghanen. Auch sonst verfolgt Teheran eine relativ inklusive Politik gegenüber afghanischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten.

Auch ohne Aufenthaltsgenehmigung dürfen afghanische Kinder Schulen besuchen. Flüchtlinge haben auch Zugang zum Gesundheitswesen. «Iran hat eine lange Geschichte, afghanische Flüchtlinge willkommen zu heissen – seit mehr als 40 Jahren», sagt Jan Egeland, Chef des Norwegian Refugee Council, dazu. Gerade beim Zugang zu Bildung und Gesundheit habe Iran Erstaunliches geleistet. Die Herausforderungen blieben aber riesig, zumal Iran kaum internationale Hilfe erhalte.

Heute leben laut dem UNHCR etwa 4,5 Millionen Afghanen in Iran. Im Jahr 2022 hat die Regierung eine Zählung der Afghanen vorgenommen. Anschliessend stellte sie an 2,6 Millionen Afghanen, die zuvor keine offiziellen Papiere hatten, einen Ausweis aus, der ihnen für ein Jahr Zugang zu sozialen Dienstleistungen gewährt und als Aufenthaltsgenehmigung dient. Der Ausweis kann anschliessend für ein weiteres Jahr verlängert werden.

Die neuen Papiere sind ein positiver Schritt

Hilfsorganisationen begrüssen den neuen Ausweis. «Besserer Zugang zu Papieren ist essenziell», sagt Egeland. Die Legalisierung von 2,6 Millionen Afghanen sei ein positiver Schritt. Nun müsse sichergestellt werden, dass die Kosten für die Ausstellung der Papiere erschwinglich blieben und alle Behörden den durch die Papiere gewährten Schutz auch respektierten, sagt Egeland. Sorge bereiteten in dieser Hinsicht die anhaltenden Deportationen von Afghanen.

In Iran sorgt die Präsenz der afghanischen Flüchtlinge für Spannungen. Viele Iraner klagen, dass die Schulen wegen der afghanischen Kinder überfüllt seien. Auch gibt es Unmut über die hohen Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge. Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Iran sagt, die schwierige Wirtschaftslage belaste das Verhältnis von Iranern und Afghanen. Dies setzt die Regierung unter Druck, die rund 500 000 illegalen Migranten auszuweisen.

Bis eine sichere Rückkehr nach Afghanistan möglich sei, sollte die internationale Gemeinschaft die Nachbarländer bei der Aufnahme der Flüchtlinge unterstützen, fordert Egeland. Dies sei essenziell, um sicherzustellen, dass die afghanischen Flüchtlinge Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen erhielten. Auch könne es verhindern, dass sich das Verhältnis zwischen den Volksgruppen verschlechtere und die gesellschaftlichen Spannungen zunähmen.

Noch gibt es keine neue Flüchtlingswelle in Iran

Teheran klagt schon lange, es werde bei der Versorgung der Flüchtlinge alleingelassen. Mehr Unterstützung würde Iran erlauben, die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Dies könnte verhindern, dass sie weiter nach Westen reisen. Wegen der desaströsen Menschenrechtslage in Iran sind die meisten EU-Staaten aber nicht geneigt, das Regime in Teheran bei der Versorgung der Flüchtlinge stärker zu unterstützen.

Nach den Deportationen aus Pakistan ist die Zahl der afghanischen Flüchtlinge an der Grenze zu Iran noch nicht deutlich gestiegen. Die UNHCR-Sprecherin Khan erwartet, dass es einige Zeit dauern wird, bis sich die Flüchtlinge entscheiden, sich aus Afghanistan erneut auf den Weg zu machen. Die meisten Familien mit Kindern werden wohl zögern, den teuren und gefährlichen Weg nach Europa auf sich zu nehmen.

Auch sind die meisten Afghanen, die aus Pakistan ausgewiesen wurden, ethnische Paschtunen. Im Gegensatz zu den Minderheiten der Hazara oder Tadschiken in Nordafghanistan sprechen die Paschtunen in der Regel kein Persisch und haben daher Mühe, in Iran Arbeit zu finden. Wenn die Rückkehrer aus Pakistan in der Heimat kein Auskommen haben, könnten sie sich aber gezwungen sehen, erneut ihr Glück im Ausland zu suchen. Wenn sie sich auf den Weg nach Westen machen, dann wird wohl nicht Iran, sondern Europa ihr Ziel sein.

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