Freitag, Januar 17

Seit 50 Jahren füllen lokale Winzer jeweils den ersten Schweizer Wein des Jahres ab. Die Tradition des «Non-Filtré» geht zurück auf ungeduldige Weinliebhaber – und Deutschschweizer Support.

Eine Weinprobe mitten im Dry January? In La Chaux-de-Fonds, auf 1000 Metern über null, zwischen schneeweissen Hügeln und Tannenwäldern, Welten entfernt von den Weinbergen unten am Neuenburgersee? Ja, denn die Neuenburger machen eben einiges anders.

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Und so lud das kantonale Weinmarketing am Mittwoch zum 50. Geburtstag der Spezialität «Non-Filtré» nicht auf ein Weingut, sondern in den Alten Schlachthof von La Chaux-de-Fonds. Ausgerechnet neben den Sitz einer Craft-Beer-Brauerei. Ominös wirkte auch, was ein Winzer von seiner ersten Weinprobe im Uhrenmetropölchen vor gut 20 Jahren erzählte: Der Andrang sei derart bescheiden gewesen, dass die vier, fünf Winzer ihre Weine gegenseitig verköstigt hätten, mehrfach.

Ganz anders am Mittwochabend: Das Gedränge in der prächtigen Gewölbehalle des Schlachthofs erinnerte an Zürcher S-Bahnen gegen 17 Uhr. Für einmal schienen sich die Neuenburger von unten und oben einig zu sein, nämlich in ihrer Haltung zum Dry January, den im Rest der Schweiz jeder Achte begehen soll.

Auch Chaux-de-Fonniers fiebern also mittlerweile so sehr dem ersten Schweizer Wein des Jahres entgegen, dass sie ihren Winzern kaum Zeit zum Abfüllen lassen. Vorfreude ist die schönste . . .? Pas du tout! Statt zu warten, trinken die Neuenburger ihren Wein lieber unfertig, pardon: unfiltriert. Daher der Name «Non-Filtré».

Wein wurde traditionell unfiltriert getrunken

Das war keineswegs immer so, und auf gewisse Weise eben doch, zeigten historische Exkurse mehrerer Redner. Es kommt eben auf den Betrachtungszeitraum an, wie so oft im Leben.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts nämlich wurde Wein typischerweise unfiltriert getrunken. Daran erinnerte Simon Vouga vom Neuenburger Weinbaumuseum an der Pressekonferenz. Wein war ein tägliches Tischgetränk. Gaststätten lagerten ihn in Fässern, füllten ihn in Karaffen ab – und servierten ihn mit Bodensatz.

Erst als sich die Flaschenabfüllung verbreitete, wurden die Heferückstände der Gärung zunehmend verpönt. Ein paar Traditionalisten fanden sich damit nie ab. «Durch das Filtern wird dem Wein sein ganzes Bouquet entzogen», zitierte Simon Vouga einen Kritiker. Selbst der Direktor der Weinversuchsanstalt Auvernier habe noch 1940 gesagt, kluge Winzer würden Flaschen mit Bodensatz für sich behalten – weil das die besten seien.

Als Geburtsstunde für den heutigen Non-Filtré wird eine Geschichte von Mitte der 1970er Jahre gefeiert. Der Winzer Henri Alexandre Godet aus Auvernier hatte nach mehreren Jahren schlechter Traubenlesen keine Chasselas-Flaschen mehr. Ein befreundeter Gastwirt brauchte trotzdem Wein. Was tun? Godet füllte den neuen Wein so ab, wie er gerade war. Eine Legende war geboren.

Ein Zürcher verhilft Neuenburg zum Erfolg

Godet ist laut Simon Vouga zwar nicht der Erfinder des unfiltrierten Chasselas, aber der Vorreiter bei dessen Kommerzialisierung und Vermarktung. Mehrere Winzer folgten seinem Vorbild. Aber für den richtigen Durchbruch brauchte es noch den Staat – und Deutschschweizer Support.

So erzählte es zumindest in La Chaux-de-Fonds Ernest Zwahlen, der ab 1992 das Neuenburger Weinmarketing geleitet hatte. «Ich wollte aus dem Non-Filtré immer ein Nischenprodukt machen, aber ich hatte nicht die Unterstützung der Winzer.»

Die einen Winzer hätten nicht an ihre eigenen Weine geglaubt, sie hätten Abfuhren von Deutschschweizer Grossisten befürchtet. Die anderen Winzer hätten einfach möglichst schnell irgendeinen Wein auf den Markt werfen wollen, teilweise in Literflaschen. Ein Sakrileg für Henri Godet.

Rettung kam aus Zürich. Der Herausgeber des Branchenmagazins «Vinum», Rolf Kriesi, habe Ernest Zwahlen sechs Seiten über den Non-Filtré angeboten. Eine weitere Seite war reserviert für Bestellungen. Mehr als 200 Bestellungen gingen in Neuenburg ein.

Mit diesem Erfolg im Rücken habe er das kantonale Dekret zum Schutz des Non-Filtré gefordert, sagt Zwahlen. Seit 1995 gilt das Dekret, wonach der Unfiltrierte frühestens am dritten Mittwoch im Januar verkauft werden darf. So soll sichergestellt werden, dass auch nach einem kühleren Jahr mit einer späten Traubenlese ordentliche Weine entstehen.

Selbst La Chaux-de-Fonds macht Wein

2024 war ein solch durchwachsenes Jahr. Entsprechend anspruchsvoll war es für die Neuenburger Winzer, gelungene Non-Filtrés mit Struktur und Finesse abzufüllen, wie die Weinprobe zeigte. Manche Weine wirkten schlapp, arm an Aromen. Andere hingegen überzeugten.

Als Sieger kürten zehn Leser des Lokalmediums «Arcinfo» in einer Blindverkostung den wohlgeformten, perlenden Unfiltrierten vom Weingut Lavanchy aus der Stadt Neuenburg. Dem einköpfigen NZZ-Komitee gefielen ausserdem die Weine des Staatsweinguts, der Domaine Brunner und der Stadt La Chaux-de-Fonds. Richtig gelesen, die Bergler machen ihren eigenen Wein – natürlich unten am See, in Auvernier, wo sie 1982 Weinberge erbten.

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