Mittwoch, Oktober 30

Seit 2004 zieht «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» das deutschsprachige TV-Publikum in den Bann. Damit ist die Reality-Show fast so erfolgreich wie die seit 1999 laufende Quizshow «Wer wird Millionär?» mit Günther Jauch.

Am 19. Januar ist es so weit, das grünste RTL-Format startet die 17. Staffel. Das «Dschungelcamp», wie die Sendung umgangssprachlich heisst, verspricht die Freisetzung niederer Instinkte, sowohl unter den Selbstdarstellern als auch bei der Fanbase. Kurz vor Neujahr gab man die Namen der freiwilligen Dschungelopfer bekannt, als würde es sich um die Besetzungsliste eines Hollywood-Blockbusters handeln, obwohl man kaum jemanden kennt. Immerhin ist «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» 2013 für den renommierten Grimme-Medienpreis nominiert worden. Am Ende hat es dann doch nicht zum Triumph des schlechten Geschmacks gereicht.

Die Mutter der im australischen Dschungel spielenden Show ist eine Britin: «I’m a Celebrity . . . Get Me Out of Here!» hat es bis dato auf 23 Staffeln gebracht. «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» ist die wortgetreue Übersetzung. Moderiert wird das Original vom gleichaltrigen Duo Ant McPartlin und Declan Donnelly, das sonst bei «Britain’s Got Talent» unterhält. In Deutschland ist Sonja Zietlow von Anfang an bissig kommentierend dabei. Jan Köppen löste im Vorjahr Daniel Hartwich ab, der seinerseits in die Fussstapfen des 2012 verstorbenen Dirk Bach trat.

Das komische Unglück der anderen

Die Nationen, die sich bereits nach einer einzigen Staffel sattgesehen haben am Trash, sind Spott und Häme offenbar weniger zugeneigt als Deutsche und Briten. Im Vereinigten Königreich ist die Schadenfreude nicht erst seit «Little Britain» am populärsten. Schon «Monty Python’s The Meaning of Life» oder die Comedy-Serie «Mr. Bean» bauten auf sie. Wilhelm Busch, Arthur Schopenhauer oder Johann Wolfgang von Goethe widmeten ihr scharfsinnige Aphorismen. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner brachte es der irische Nobelpreisträger Samuel Beckett: «Nichts ist komischer als das Unglück, natürlich anderer.»

Schadenfreude im Überfluss garantiert die Dschungelprüfung. Dazu antreten muss, wer per Telefonvoting, eine Cashcow, ermittelt worden ist. Wer sich ausserhalb der Fernseh-Flora ständig in Nagelstudios und Friseursalons aufhält, Anfang zwanzig intim wird mit Botox und Hyaluron und wenigstens ein Dutzend Tattoos vorzeigen kann, hat beste Chancen, gewählt zu werden. Ein Luxusopfer, das beim blossen Anblick eines Insekts losheult wie eine Polizeisirene, wird beim nächsten Mal gnadenlos wiedergewählt. Immer wieder, und zwar, bis nur noch ein Wrack übrig ist.

Sterne-Küche im Dschungel

Wer nicht im Single-Haushalt in der Sensationslust badet, verfolgt mit dem Partner oder der WG, ob das Opfer die üppige Portion innert der vorgegebenen Zeit schafft oder ob der gelbe Plastikstern verspielt wird. Kein Stern bedeutet: Im Camp müssen alle mit je 70 Gramm Reis und 70 Gramm Bohnen vorliebnehmen. Da knurren die Mägen lauter als der Tiger Shir Khan im «Dschungelbuch», und die Kilos purzeln ohne Abnehmspritze. Schmerzlichst vermisst wird trotz willkommenem Gewichtsverlust bald einmal die gute Laune.

Warum nur tun sich die Teilnehmer das an? Jedes Jahr streicht jemand die Einmaligkeit dieser Challenge hervor. Nicht ohne zu bemerken, dass alle, die sagten, das Geld reize sie nicht, lügen würden. Dieser Satz fällt so häufig wie früher bei Miss-Wahlen jener von der inneren Schönheit und der vom Wunsch nach Weltfrieden. Und er ist genauso einfältig und redundant.

Wie im Spitzensport erhalten alle ein Antrittsgeld, die Teilnehmerinnen das höchste. Professionell verdient das weibliche Geschlecht einzig in der Prostitution und im Modelgeschäft von jeher mehr als die Männer. Pekuniär auf Platz drei rangiert «The Great Dane» alias Brigitte Nielsen, ihres Zeichens «Dschungelkönigin 2012». Die Fussballergattin Claudia Effenberg hat 2023 angeblich eine halbe Euro-Million eingestrichen, die Cora Schumacher, die Ehemalige des Formel-1-Piloten Ralf Schumacher, 2024 übertreffen soll. Daneben sieht die Gewinnsumme von 100 000 Euro für die Dschungelkrone beinah wie ein Trostpreis aus.

Sprungbrett oder Abstellgleis

Als Erster bestieg den Dschungelthron ein Schlagersänger, Costa Cordalis («Und die Sonne ist heiss», «Anita»). Der frühere Weltstar Helmut Berger, dereinst gerühmt als schönster Mann der Welt, liess sich 2013 gegen eine Ergänzungsleistung überreden, im Dschungelcamp zur Gaudi bittschön die Hosen herunterzulassen. Nach drei Tagen brach er, eine menschliche Ruine, die Zurschaustellung wegen gesundheitlicher Probleme ab.

Reality-Shows sind selten ein Sprungbrett zu einer dauerhaften Karriere, aber daran denken die jungen Teilnehmerinnen nicht – zu Recht. Für die Dschungelsenioren erübrigen sie zumeist etwas Respekt und schlecht kaschiertes Mitleid. Die Show als Abstellgleis nimmt der Nachwuchs sehr wohl wahr, die Möglichkeit verdrängend, dass ihm dasselbe Schicksal blühen könnte. Wohingegen die Altgedienten wissen, dass Karriere-Höhenflüge nicht irgendwo im präparierten australischen Outback in New South Wales, in der Nähe von Murwillumbah, ihren Anfang nehmen.

«Der Spiegel» bezeichnete «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» als «Guantánamo Bay der deutschen Spassgesellschaft». Ob man diesen Vergleich als Kompliment oder als Kritik liest, ist nebensächlich. Wichtiger scheint, dass die Fernsehzuschauer, die wenigstens zwei Wochen endlich etwas anderes sehen möchten als Kriegsbilder und Klimakatastrophen, abgelenkt werden. Und ohne schlechtes Gewissen rundweg schadenfroh sein dürfen, dass es den Dschungelbewohnern auf Zeit deutlich schlechter geht als ihnen.

«Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» wird vom 19. Januar, 20 Uhr 15, bis zum 4. Februar täglich auf RTL ausgestrahlt.

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