Rassismus in der Arbeitswelt geschieht oft unabsichtlich. Das ist Teil des Problems. Trotz Gegenwind aus den USA sollten Unternehmen eine Nulltoleranz-Politik verfolgen.

Es gibt Situationen, die einem die Sprache verschlagen. In der Pause eines Seminars bei einem Kunden fragte ein Teilnehmer den dunkelhäutigen Lehrling: «Kann ich deine Haare berühren?» Dieser nickte. Daraufhin begann der Mann, die dunklen Haare des Lehrlings zu tätscheln, zog lockige Strähnen heraus und kommentierte minutenlang, was er sah. Ich spürte das Unbehagen des Jungen und war gleichzeitig stumm vor Schock und Ohnmacht.

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Was war da geschehen? Aus einer neugierigen Frage wurde eine rassistische Grenzüberschreitung. Rassismus und rassistische Diskriminierung sind in der Schweiz Realität: Fast jede sechste Person gibt in einer Erhebung des Bundesamts für Statistik an, in den letzten fünf Jahren rassistische Diskriminierung erlebt zu haben. Am häufigsten passiert dies im Arbeitsalltag und bei der Jobsuche. Wer dabei nur an Beleidigungen und Mobbing denkt, liegt falsch. «Viele Menschen glauben, Rassismus müsse von einer ignoranten Person mit böswilliger Absicht ausgehen. Rassismus passiert – und ich würde sogar behaupten, in den meisten Fällen – unabsichtlich», schreibt die Soziologin und Antirassismus-Expertin Anja Nunyola Glover in ihrem Buch «Was ich dir nicht sage».

Zweifel an den fachlichen Kompetenzen

Das bestätigen Betroffene. Der Business-Developer Omar Liban erzählt: «Im Kundengespräch blieb mein Gegenüber bewusst beim Hochdeutsch, obwohl ich die ganze Zeit fliessend Mundart sprach.» Der Pflegefachmann und Politiker Ignatius Ounde berichtet: «Während der Arbeit wurde ich oft ungefragt an den Haaren berührt. Manche Patienten fragen mich skeptisch, ob ich wirklich eine Fachkraft sei.» Auch vermeintliche Komplimente wie «Du sprichst aber gut Deutsch!» oder die Frage «Woher kommst du wirklich?» erleben Betroffene als störend. «Solche Bemerkungen mögen gut gemeint sein, zeigen aber unbewusst, dass die Person mich nicht als Teil der Gesellschaft sieht», sagt eine junge Frau.

In den letzten Wochen standen Inklusion, Diversität und Gleichstellung durch Verbote der amerikanischen Regierung in massivem Gegenwind. Einige Schweizer Grossunternehmen passten daraufhin ihre Diversitätsziele an oder entfernten entsprechende Begriffe und Programme von ihren Websites. Ein solcher Anti-Wokeness-Rundumschlag kann einerseits irritieren, andererseits aber auch zum Nachdenken anregen. «Viele Unternehmen haben Dinge getan, die nichts gebracht haben», sagte die Harvard-Professorin und Gender-Expertin Iris Bohnet kürzlich in einem Interview in der NZZ. Der Politiker Ounde meint: «Ich bin kein grosser Fan von Workshops zu unbewussten Vorurteilen, weil oft nur diejenigen daran teilnehmen, die bereits sensibilisiert sind.»

Doch lohnt es sich für Unternehmen, sich für eine vielfältige Belegschaft zu engagieren? Eine Studie von Ernst & Young mit europäischen Unternehmen zeigt, dass Firmen mit guten Inklusionsmassnahmen ihren Umsatz stärker steigern als solche, die weniger dafür tun. Zudem sind die Mitarbeiter von inklusionsstarken Unternehmen produktiver und ihre Kunden im Schnitt zufriedener. Auslöser für diese Effekte sind unter anderem das grössere Zugehörigkeitsgefühl, mehr psychologische Sicherheit und ein höheres Vertrauen in die eigenen Karrierechancen im Unternehmen.

Klare Haltung von Führungskräften erforderlich

Inklusionsmassnahmen zahlen sich aus, wenn sie nicht oberflächlich sind, wie etwa das Einfärben des Firmenlogos zum Pride-Monat. Zielführender sind diverse Rekrutierungsteams, anonymisierte Bewerbungsprozesse oder Mentoringprogramme. Der Fokus sollte aber auch auf dem Gegenstück von Inklusion, dem Rassismus, liegen. Hier braucht es eine klare Haltung des Unternehmens und der Führungskräfte, dass sie rassistische Aussagen oder Handlungen nicht tolerieren.

«Wenn jemand eine rassistische Bemerkung macht und das Umfeld schweigt, wird dies als stillschweigende Zustimmung gewertet. Deshalb muss jeder Einzelne Verantwortung übernehmen und klar Stellung beziehen – sei es durch direkte Ansprache, Unterstützung der betroffenen Person oder die Thematisierung im Team», empfiehlt Omar Liban. Der Politiker Ignatius Ounde rät Unternehmen, Anlaufstellen für Betroffene zu schaffen. Dabei müsse sichergestellt werden, dass Betroffene ernst genommen würden und für sie nach Aufsuchen der Anlaufstelle keine negativen Folgen resultierten, erklärt eine junge Frau. Sonst melden sich die Menschen nach Vorfällen nicht.

Die eingangs geschilderte Situation mit den Haaren und mein ohnmächtiges Zusehen beschäftigten mich noch Wochen später. Wie hätte ich reagieren sollen? Sylvie Makela, Inhaberin mehrerer Coiffeursalons in der Romandie, empfahl mir Humor als Gegenmittel. Sie meinte, ich hätte sagen können: «Nein, nein, bringen Sie die Haare ihres Kollegen nicht durcheinander, auch wenn er es Ihnen erlaubt. Das Stylen einer Frisur braucht Zeit, die wir hier im Seminar nicht haben, deshalb ist das unangebracht.»

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