Donnerstag, Dezember 5

Schokolade mit Pistazien ist gerade in aller Munde. Interessanter als der weltweite Hype ist die Steinfrucht an sich. Sie ist schmackhaft und gesund, verbraucht aber fünfmal so viel Wasser wie Avocados.

Eine Tafel Schoggi für 10 bis 15 Franken? Seit Wochen bewegt Dubai-Schokolade die Welt. Und ein Ende des Konsumrauschs ist nicht abzusehen. Geschmacklich passt die Süssigkeit zu dem Tiktok-Kosmos, dem der groteske Boom entsprang: zu aufdringlich, zu künstlich, zu unausgewogen. Das ist schade um die leckeren Pistazien, die massenhaft zu einem grünen Brei verarbeitet werden, um die Nachfrage zu stillen. Doch welche Folgen hat der Pistazien-Hype für die Umwelt?

Sei es im Croissant, Tiramisu oder einfach nur als Crème – die Frucht steht seit längerem hoch im Kurs. Das macht das grüne Gold knapp und wohl bald auch teurer: Weltweit sei die Nachfrage explodiert, sagen Rohstoffexperten des Branchenportals Mundes Agri. Die Anbaufläche wächst, während gleichzeitig versucht wird, mit viel Wasser mehr Pistazien aus Böden und Pflanzen herauszupressen.

Die Frucht von Pistacia vera, wie der Laubbaum botanisch heisst, wird fälschlicherweise für eine Nuss gehalten, obwohl sie wie Cashew und Mandel eine Steinfrucht ist. Pistazienbäume werden zehn bis fünfzehn Meter hoch und können einige hundert Jahre alt werden.

Die wilde Form hat ihren Ursprung in Vorder- und Zentralasien. Gezielt kultiviert wird die Pistazie seit der Antike, und schon immer schätzten die Menschen ihren hohen Nährwert. Die Pistazie ist gesund und schmackhaft und wird auch als Heilmittel verehrt, obwohl es dafür kaum wissenschaftliche Evidenz gibt. Klar ist nur: Sie enthält viele mehrfach ungesättigte Fette, viel Protein, Magnesium, Vitamine und Antioxidantien. Es scheint, als hätte der Gesundheits-Hype unserer Tage den Pistazien-Hype erst möglich gemacht.Nach Europa gelangte die Pistazie mit Alexander dem Grossen. Als dieser im vierten Jahrhundert vor Christus Persien erobert hatte, brachte er die Frucht in seine Heimat, unter Kaiser Tiberius verbreitete sie sich in Italien und Spanien. Erst im 19. Jahrhundert schaffte es die Pistazie auch in die Neue Welt.

1000 Tonnen gelangen jedes Jahr in die Schweiz

Heute ist Kalifornien der Hauptproduzent für Pistazien, mehr als die Hälfte aller weltweit geernteten Pistazien stammt aus dem Golden State. Längst hat Amerika Iran als grössten Exporteur abgelöst, weitere bedeutende Anbaugebiete gibt es in der Türkei und in Syrien; Pistazien europäischer Herkunft sind rar.

Die Schweiz importiert jedes Jahr fast tausend Tonnen Pistazien, die meisten aus den USA, darunter vor allem solche in der Schale. Geschälte Pistazien bezieht die Schweiz mehrheitlich aus Iran. Sie erzielen die höchsten Marktpreise. «Pistazien aus Iran sind der Rolls-Royce», sagt Samuel Peyer, Lebensmitteltechnologe bei Sanfrut in Stäfa, der sich auf die Früchte spezialisiert hat.

Um die iranischen Städte Kerman und Rafsanjan befindet sich das weltweit grösste Anbaugebiet, das zweitgrösste liegt im Süden Kaliforniens im San Joaquin Valley. Beide Regionen sind wie geschaffen für die Anforderungen des Pistazienbaums. Er bevorzuge ein wüstenähnliches Klima mit heissen Tagen und kühlen Nächten, erklärt Peyer. Um die Ruhephase der Knospen zu überwinden, braucht die Pflanze im Winterhalbjahr einen längeren Kältereiz.

Ein grosser Vorteil ist, dass Pistazienbäume nicht auf Bestäuber angewiesen sind. Der Pollen wird nicht von Bienen, sondern vom Wind übertragen. Als Pollenlieferant dienten männliche Bäume, die unter die hauptsächlich weiblichen Bäume gepflanzt würden, erklärt Peyer. Die Bestäubung beginnt Mitte März und endet Anfang April. Spätfrost ist gefürchtet.

Die Pistazien wachsen wie Trauben von zehn bis zwanzig eng aneinanderliegenden ovalen Früchten. Unter dem Fruchtfleisch findet sich eine dünne elfenbeinartige Holzschale. Sie ist zunächst weich, wird aber bei Luftkontakt so hart, wie die Mitteleuropäer die Pistazie kennen. Unter dieser Holzschale verbirgt sich der hellgrüne Samen, überzogen mit der violetten Haut. Wird er zu gross, bricht die Schale auf. Sie lächelt, heisst es in Iran. Und die Ernte kann beginnen.

Die Ernte erfolge heute weitgehend industrialisiert, sagt Samuel Peyer. Ende September werden die reifen Früchte maschinell gewonnen und sofort weiterverarbeitet. Geschwindigkeit ist Trumpf, damit sich keine Aflatoxine bilden – der grösste Feind des Pistazienanbaus. Früher wurden die Pistazien auf dem Boden in der Sonne getrocknet, was die Bildung des gefürchteten Schimmelpilzes förderte und ganze Ernten bedrohte. Heute werden die reifen von den unreifen Früchten in einem Wasserbad getrennt und anschliessend auch getrennt weiterverarbeitet und getrocknet. Die Separierung habe das Aflatoxin-Risiko in Iran erheblich gesenkt, sagt Peyer.

Einmal viel Ertrag, das nächste Jahr nur wenig

Sieben Jahre dauert es, bis ein Pistazienbaum gute Ernten liefert. Botanikern gibt er bis heute Rätsel auf. Aus unbekannten Gründen werfe er abwechselnd einmal eine geringe und im folgenden Jahr eine sehr reiche Ernte ab, sagt Samuel Peyer. «Der Unterschied kann auf einer Plantage das bis zu 15-Fache einer vorangegangenen Ernte betragen.» Merkwürdigerweise stimmen sich die Bäume in einer Anbauregion aufeinander ab – unabhängig vom Jahr, in dem sie gepflanzt wurden. In Iran sei in der Regel die Ernte in den ungeraden Jahren höher als in den geraden Jahren, sagt Peyer, in den USA brächten die geraden Jahre die hohen Erträge.

Die global steigende Nachfrage lässt immer mehr Bauern Pistazien anbauen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Erntemenge mehr als verdoppelt und liegt heute bei mehr als einer Million Tonnen. Pistazienbäume haben einen weiteren Vorteil, der den Anbau in den Trockengebieten besonders attraktiv macht: Sie kommen mit Dürren besser zurecht als viele andere Kulturen. Sie können Durststrecken länger überwinden, weil sie bis in 15 Meter Tiefe wurzeln. Und sie sind auch nach vielen Jahrzehnten noch produktiv.

Dennoch brauchen Pistazienbäume sehr viel Wasser. Wasser, das die Wüste, in der sie am besten gedeihen, nicht hat. 1300 Liter benötigt ein Pistazienbaum pro Saison, das macht die Pistazien zu den wasserintensivsten Kulturen weltweit. Sie verbrauchen fünfmal so viel Wasser wie Avocados und deutlich mehr als Mandeln, die zu den durstigsten Kulturen gehören.

Ertragsstarker Anbau in der Halbwüste gelingt nur dank intensiver Bewässerung. Und das, obwohl die meisten Felder heute mittels Tröpfchenbewässerung versorgt werden. Dabei gelangt Wasser über sogenannte Mikrosprinkler dosiert an die richtigen Stellen und verdunstet oder versickert nicht unnötig.

Lange Zeit war das anders. Bis heute gibt es Regionen, in denen die Felder regelmässig mit Wasser geflutet werden, um die durstigen Plantagen zu wässern. Dort liegt der Wasserverbrauch deutlich höher. Diese Bewässerungstechnik geht so lange gut, bis Dürren das kostbare Gut dezimieren und die eigentlich trockenresistenten Bäume darben.

Noch gravierender sind die Umweltfolgen in den Regionen, in denen die Bäume mit Grundwasser bewässert werden. Rücksichtslos pumpen die Bauern in Dürrezeiten das letzte Wasser aus dem Untergrund auf die Felder. Der Raubbau führte vor allem in Iran zu einer veritablen Wasserkrise. Flüsse, Seen und Auen trockneten aus, das Grundwasser versalzte. Betroffen ist auch Kalifornien, das seit dem Jahr 2014 unter einer aussergewöhnlichen Dürre leidet. Hier ist der Anbau mit Grundwasser mittlerweile stärker reglementiert.

Das grösste Problem des Pistazienanbaus ist aber, dass die Ressource Wasser in den Anbauregionen in Zukunft immer knapper wird, wie Klimaforscher prophezeien. Die Bauern müssen mit weniger auskommen, erweitern aber die Anbaufläche. Insofern gäbe es Sinnvolleres mit leckeren Pistazien anzustellen, als sie zu einer dekadenten Schokolade zu vermanschen.

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