Werden die Tage kürzer, wird das Parfum bedeutender: als Kuscheldecke, Eskapismushilfe und sinnliche Sprengung des Genderkorsetts.
«Dufte» – dieses wertschätzende Adjektiv ist völlig aus der Mode gekommen, kein Wunder, scheint es, gilt doch der Geruchssinn als der niedrigste, der unmittelbarste, der tierischste aller Sinne. Und doch scheint wieder ein Hauch von duftem Typ in der Luft zu liegen. Wir haben eben unsere Raffiabasthüte, Espadrilles und Häkelshorts in die hinterste Ecke des Schranks verbannt. Mit den absehbar sinkenden Temperaturen und dunkleren Tagen kommt Sehnsucht nach so etwas wie einer Kuscheldecke auf wie Linus’ safety blanket bei Charlie Brown, eine Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Einhüllendem, Beruhigendem, üppig Sinnlichem.
«Quiet Luxury» greift zu kurz. Was liegt so viel Nüchternheit näher im beginnenden Herbst als ein orientalisches, ein arabisches Parfum? Weihrauch und Myrrhe, Sandelholz, Damaskusrosen, Moschus, Ambra – all diese Wörter entführen in «Tausendundeine Nacht», in die Welt des Hoheliedes, der Weisen aus dem Morgenland, sie nehmen uns auf eine Reise in ferne Zeiten und Länder.
Düfte lassen Vergangenheit magisch in der Gegenwart auferstehen. Sie werden umso sagenhafter, je mehr diese Länder, die Wiege des Parfums, in Gewalt und Chaos versinken. Von der Provence und von Grasse mit ihrem Lavendel und ihren Mimosen nach Damaskus mit seinen Zedern und seinem Amber geht die Duftreise.
Ich dufte, also bin ich
Für Baudelaire verströmte der Körper der Geliebten den wild-würzigen, raubtierhaften Duft nach Pelz, der aber auch heilig wie der Weihrauch in der Kirche roch. Für Proust entfaltete sich, heimischer, unschuldiger, im Lindenduft des Tees seine vergessene Kindheit. «Ich dufte, also bin ich» – was zählt, ist die Leistung des Parfums, eine Nachhaltigkeit, die hartnäckig auf der Haut bleibt, lange in der Luft hängt. Man kann eine Duftmarke hinterlassen. Rapper bezeugen den Duft als Kult in Kreisen, für die dieser Luxus nicht entworfen war als das sündhaft teure, jetzt voll angeeignete Statussymbol der Banlieues.
Nun waren Duftnoten nie unschuldig, sondern politisch, eindrücklich im weissen Terror von Paris während der Französischen Revolution, der unter dem Namen einer orientalischen Duftnote auftrat. Die muscadins, benannt nach dem Moschus, verbanden dieses schwere sinnliche Parfum mit Gewalt gegen den roten Terror. Der Name hatte lange einen weibischen, abwertenden Beiklang, der diese Dandys traf, deren Männlichkeit infrage gestellt wurde.
Die Rückkehr des Animalischen
Leicht verfliegende, reine Düfte à la jeune fille sind jetzt out, zu brav-unschuldig, dagegen sind die animalischen Duftnoten zurück, teurer und betörender. Die kostbaren Substanzen tierischen Ursprungs wie der Amber des Pottwals oder der Moschus des Moschushirsches treten gesäubert auf, pflanzlich oder chemisch hergestellt. Seit den neunziger Jahren waren diese aufdringlichen Düfte verpönt, die am Anfang der Düfte standen. Denn ohne orientalische Duftnoten, geheimnisvoll, schwer, brutal, gäbe es keine Geschichte der Parfümerie: «Ambre antique» gab 1905 den Grundakkord vor, den «Shalimar», «Mon Guerlain», «Opium» verlängerten, um schliesslich unter den sprechenden Namen «Bois d’Argent», «Ambre Narguilé», «Baccarat 540», «Féminité du bois», «Tubérose criminelle», «Cuir mauresque» zu explodieren.
Männliches und Weibliches verschmelzen zur berauschenden Herznote. Auch hier ist, wie in der Mode, das Genderkorsett gesprengt. Leder, würzige oder holzige Noten, einst männlich konnotiert, werden von allen getragen. Baudelaires Geliebte wusste schon lange von deren berauschender, betörender, gefährlicher Sinnlichkeit.
Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU in München. Ein breites Publikum erreichte sie mit ihren Überlegungen zur deutschen Familienpolitik und zur Mode.