Mittwoch, April 16

Der Ultranationalist Alexander Dugin profitiert von der Radikalisierung der russischen Politik in Zeiten des Krieges und von der Wahl Donald Trumps. Aber auch manche antiwestliche russische Denker halten ihn für gefährlich.

Die russische Führung verbreitet eine Ideologie, die den Krieg verherrlicht und von antiwestlicher Blut-und-Boden-Rhetorik geprägt ist. Im Zentrum stehen Patriotismus, Militarismus und überwunden geglaubte Geschlechterrollen. Omnipräsent in diesem ideologischen Feldzug ist einer, der besonders im Westen seit Jahren eine merkwürdige Faszination ausübt: Alexander Dugin. Der Mann mit dem Rauschebart erfüllt visuell das Klischee vom russischen Denker in der Tradition slawophiler Philosophen und Schriftsteller. Seine kruden Ansichten und Theorien hinken diesen aber weit hinterher.

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Anfänge in rechtsradikalen Kreisen

Alexander Gelewitsch Dugin, 1962 in Moskau in eine Offiziersfamilie geboren, ist eine Mischung aus Aktivist, Politiker, Propagandist und Gelehrtem. Früh gehörte er Zirkeln an, die faschistisches Gedankengut pflegten und nationalsozialistische Bezeichnungen («Schwarzer Orden SS», «Reichsführer») verwendeten. Er war, an der Seite Eduard Limonows, Mitbegründer und Ideologe der später verbotenen Nationalbolschewistischen Partei, mit der er sich allerdings überwarf. Breitere Bekanntheit erlangte er Ende der neunziger Jahre mit einem Buch über «Grundlagen der Geopolitik» und ab 2001 als Begründer eines «Neo-Eurasianismus», einer Bewegung, die bei einer Strömung aus der Zwischenkriegszeit Anleihen nimmt, aber rechtsextremes Gedankengut popularisierte.

Der deutsche Politikwissenschafter Andreas Umland nennt ihn den Hauptideologen des russischen Rechtsextremismus. Radikale antiwestliche und antiliberale Positionen sowie eine internationale Vernetzung mit entsprechenden Bewegungen im Westen machten ihn zu einer wichtigen Figur der neuen Rechten.

Dugin selbst weist den Vorwurf, faschistisches Gedankengut zu verbreiten, von sich. Er sieht in seiner «vierten politischen Theorie» gerade eine Abgrenzung zu Liberalismus, Faschismus und Marxismus. Seine Philosophie ist eklektizistisch, basierend auf teils marginalen, teils in Verruf geratenen Denkern, aber auch mit Elementen von Okkultismus und Verschwörungstheorien. Die Abscheu vor dem angeblich dekadenten Westen, dessen Freiheitsrechte er allerdings gerne zum Verbreiten seiner Ansichten ausnutzt, verbindet ihn mit europäischen und amerikanischen Rechtsextremen.

Zu akademischen Weihen kam Dugin spät, seine Studien schloss er an wissenschaftlich wenig bemerkenswerten südrussischen Hochschulen ab. Einmal ist er Philosoph, dann Soziologe und Politologe. Die meisten Wissenschafter dieser Fächer wollen mit ihm nichts zu tun haben. Sein Talent lag stets eher im für ein erstaunlich vielfältiges Publikum einnehmenden Auftritt, in der Eloquenz – auch in Fremdsprachen – und der Vernetzung in einschlägigen politischen Kreisen über Russland hinaus. Seine Texte sind oft eher vulgäre Traktate als hochwissenschaftliche Werke.

«Duginisierung» der Wissenschaft

Russlands Krieg gegen die Ukraine machte Dugins radikale Vorstellungen zum Mainstream. Hatte er 2014 noch für seine Hasstirade gegen die Ukrainer («töten, töten, töten») seinen Lehrstuhl am Institut für Soziologie der Moskauer Staatsuniversität verloren, erreichte er zehn Jahre später den Aufstieg in die obersten Etagen der Wissenschaftswelt. An der einst als liberal geltenden Russischen Staatlichen Humanistischen Universität (RGGU) leitet er die «Höhere Schule für Politik», die nach dem als Emigrant in der Schweiz verstorbenen nationalistischen Philosophen Iwan Iljin benannt ist.

Die im Pariser Exil lebende Philosophin Julia Sineokaja spricht von einer «Duginisierung» der Wissenschaft. Dugin stehe für eine vollständige Isolation von der westlichen Welt, für orthodoxen Fundamentalismus und eine etatistische, pseudokonservative Ideologie, die Freiheit, Demokratie und Würde als Werte ablehne. Damit wolle er auf alle Lebensbereiche zugreifen. Sineokaja verweist darauf, dass Dugin im Zuge des Ukraine-Krieges die Militarisierung und totale Ideologisierung der Bevölkerung, den Austausch der Eliten und ein vollständiges Verbot der Kritik an Staat, Präsident und Kirche befürworte. Er ist ein fanatischer Kriegstreiber mit tiefer Verachtung für die Ukrainer.

Mit der Etablierung an der RGGU sieht Sineokaja ihn aus einer eher marginalisierten, mehr publizistischen als wissenschaftlich fundierten Position emporgekommen in eine Rolle, die ihm die Beeinflussung der Politik erleichtert. Der Tod seiner Tochter Daria Dugina bei einem Terroranschlag, der möglicherweise ihm gegolten hatte, verlieh ihm in den Augen seiner Anhänger eine Art Märtyrerstatus.

Gast an Wirtschaftskonferenzen

Kritik an Dugin kommt aber auch von anderer Seite. Der konservative Philosoph und Publizist Boris Meschujew, dem kaum jemand Anbiederung an den Westen vorwerfen würde, äusserte sich kürzlich indigniert über ihn. Es finde praktisch keine Konferenz mehr statt, an der Dugin nicht teilnehme. Beispielsweise sass dieser beim Moskauer Wirtschaftsforum von Anfang April zum Thema «Demografie: Traditionen und Industrialisierung» auf dem Podium. Dass Organisatoren von Wirtschaftsforen Dugin einladen, hat viel mit der Veränderung des politischen Klimas in Russland zu tun. Der Krieg gegen die Ukraine hat es völlig verhärtet. Aggressiver Nationalismus, als Patriotismus verbrämt, sowie obsessive Aufforderungen, nach «traditionellen Werten» zu leben, sind en vogue.

Konservative Denker wie Meschujew können dem viel abgewinnen. Aber Dugin ist für sie kein Konservativer, sondern ein Faschist. «Dugin und seine Popularität sind wie eine Feuersbrunst. Man muss alles fallen lassen, um das Feuer zu löschen», schreibt Meschujew. Er kritisiert weniger die zahlreichen Auftritte Dugins, die er als bedrohlichen Ausdruck von dessen grösserem Einfluss wahrnimmt, als das Schweigen derer, die ihm gegenübersitzen. Niemand wolle mit Dugin streiten, weil er gefürchtet werde. Das sei das grösste Problem. An der Gefährlichkeit Dugins zweifelt er nicht: Käme dieser an die Macht, landeten sehr viele im Konzentrationslager, meint er düster. Darin liege dessen Faschismus.

Erwartungen an Donald Trump

Die politische Wende in den USA mit der Wahl Donald Trumps und dessen Absage an die liberale Gesellschaftspolitik unter Biden haben Dugin zusätzlich Auftrieb gegeben. Wie viele andere russische Kommentatoren sieht er in Trump einen ideologischen Verbündeten. Trump stehe Putin politisch und ideologisch näher als westlichen Politikern. «Er ist deutlich konservativer. Er tritt für traditionelle Werte ein. Er tritt für den Patriotismus der Nation ein, und ich definiere das als Weltordnung der Grossmächte», sagte er in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches mit dem Titel «The Trump Revolution».

Mit seinen Trump-freundlichen Ansichten hat er in den USA auch die Aufmerksamkeit von nationalistischen Kommentatoren und Talkshow-Moderatoren auf sich gezogen, die bei Anhängern des amerikanischen Präsidenten populär sind. In den letzten Monaten wurde er in diesen Kreisen zu einem geschätzten Gesprächspartner.

Einfluss auf Putin nicht nachweisbar

Kaum ein Tag vergeht, an dem Dugin in seinem Telegram-Kanal nicht auf einen neuen Text oder eine Erwähnung in russischen oder ausländischen Medien verweisen kann. Er hat es geschafft, trotz seinem unkonventionellen, in vielerlei Hinsicht unakademischen Lebensweg eine vermeintliche Bedeutung zu erlangen. Die Originalität seiner Ideen wird jedoch überschätzt. Wie gross sein Einfluss auf politische Entscheidungsträger bis hin zu Präsident Wladimir Putin wirklich ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Indem er Radikales, Skandalöses, Brutales im Gewand des Gelehrten verbreitet, zieht er die Aufmerksamkeit der Medien auf sich und wird zu einer wichtigeren Figur gemacht, als er ist.

Bis zu einem gewissen Grad dient Dugin damit auch dazu, das scheinbar Unerklärliche an Putins Verhalten einzuordnen. Das ist eine Verirrung. Es braucht keinen Dugin, um Putin besser erklären zu können. Eher ist es umgekehrt: Putins Politik hat es erst ermöglicht, dass Dugin nicht mehr nur eine skurrile Randerscheinung ist.

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