«Dune: Prophecy» ähnelt «Game of Thrones». Aber das Science-Fiction-Pendant wirkt trotz Drogenexzessen und Erotikszenen seltsam steril.
Auf dem Sterbebett ereilt die altehrwürdige Mutter Oberin die Vision einer Apokalypse: Lichtblitze zucken, verbrannte Leiber, dann bringt der massige Körper eines Sandwurms die Erde zum Beben, eine rote Nebelwolke zum Wirbeln. Die Stadt, die eben noch mit ihren Zinnen und Türmen emporragte wie eine zivilisatorische letzte Festung in einem sonst verödeten Landstrich, zerfällt zu Sand, wird verschluckt von der Wüste, die sie umgibt.
In der neuen Serie «Dune: Prophecy» kündet eine Prophezeiung vom Untergang der Menschheit. Erzählt wird die Vorgeschichte zu Denis Villeneuves Oscar-prämiertem Film «Dune» (2021) und dessen opulenter Fortsetzung von Anfang Jahr. Verblüffend anschlussfähig an die Kinovorbilder präsentiert sich die Serie im ersten Moment. Doch spielt sie rund 10 000 Jahre vor den Ereignissen in Villeneuves Kinotrilogie (ein dritter Teil ist in Arbeit), die auf Frank Herberts Romanzyklus aus den Sechzigern basiert.
Weder wird somit der unwirtlich-wasserlose Himmelskörper Arrakis umkreist, der in der «Dune»-Überlieferung wegen eines Rohstoffs namens Spice – eine psychotrope, für das interstellare Reisen unerlässliche Substanz – hart umkämpft ist. Noch steht wie in den Filmen Paul Atreides im Zentrum, dieser prophezeite Erlöser wider Willen, der in der Heimat des Wüstenvolks der Fremen auf die Kriegerin Chani trifft.
«Dune: Prophecy» muss ohne Timothée Chalamet und Zendaya auskommen, die beiden populärsten Jungdarsteller unsrer Zeit. Anders als Villeneuve erzählt der Serienableger auch keine Coming-of-Age-Geschichte. Dafür werden neue Schauplätze und Protagonisten in den Fokus gerückt. Wie der Planet Wallach IX, wo sich eine von religiösen und humanistischen Werten geleitete Frauengilde gegründet hat, die sich in geistigen und körperlichen Fähigkeiten übt.
Ebenjene Schwesternschaft, die uns aus den Filmen bekannt ist als Bene Gesserit: ein intergalaktischer Frauenorden, der im Schatten der Paläste die Geschicke der Herrschenden lenkt und damit die der gesamten Galaxie.
Das Ziel ist der Übermensch
Über Jahrtausende werden die Bene Gesserit Erbgut selektieren, Hochzeiten einfädeln und Intrigen schmieden, um einen messianischen Übermenschen hervorzubringen, der den Frieden sichert und ihnen, im realpolitischen wie metaphysischen Sinne, die Macht.
Obwohl das Eugenikprogramm in «Dune: Prophecy» noch in den Kinderschuhen steckt, spaltet das Geheimprojekt der Ordensgründerin bereits die Schwesternschaft. Als Nachfolgerin wird von ihr Valya Harkonnen ernannt, eine von Wut, fanatischem Eifer und Eigeninteressen getriebene Überzeugungstäterin. Sie soll die Vereinigung «mit allen Mitteln» beschützen.
So beginnt Valya Harkonnens rasanter Aufstieg an die Spitze des mächtigsten Geheimbunds im «Dune»-Universum mit einem üblen Verrat, der, wie schon bei Judas oder Brutus, um einiges schwerer wiegt als die eigentliche Bluttat. Sagenhaft düster sind die Ursprünge der Bene Gesserit, die das sechsteilige Seriendrama in einer ersten Staffel beleuchtet.
Bereits bei Frank Herbert nahmen die Seherinnen eine Schlüsselrolle ein, aber erst sein Sohn Brian entwickelte ihre Vorgeschichte. «Sisterhood of Dune» (2012), die Vorlage zur Serie, schrieb dieser gemeinsam mit dem Physiker Kevin J. Anderson.
Valya Harkonnen leitet als strenge Mutter Oberin mit Pokerface, grossartig verkörpert von der britischen Schauspielerin Emily Watson, die Organisation nebst Ordensschule. Unter ihrer Führung, dreissig Jahre später, haben sich der Einfluss und die Anhängerschaft der Gilde enorm vergrössert.
Manipulative Super-Nonne
Aus der ganzen Galaxie entsenden die Adelshäuser ihre Töchter, um sie von der Schwesternschaft im Nahkampf und in mentalem Training unterweisen zu lassen. Sogar der Imperator will die Prinzessin nach der Hochzeit in die Obhut des Frauenordens übergeben. Zum Greifen nah ist das Ziel der Bene Gesserit, eine der Ihrigen auf den Thron zu bringen. Doch dann droht der manipulativen Super-Nonne die Kontrolle zu entgleiten. Sie nötigt ihre Novizinnen, scheussliche Opfer zu bringen.
Nicht bloss im Kampf um den Thron ähnelt «Dune: Prophecy» der HBO-Erfolgsserie «Game of Thrones», die wegen expliziter Darstellung von Gewalt und Sex für Diskussionen sorgte. Nur wirkt das Science-Fiction-Pendant trotz Drogenexzessen und Erotikszenen seltsam steril und nicht immer wie aus einem Guss. Auch bleiben manche Figuren fad, etwa die Drahtzieher hinter einem Komplott gegen das feudale Imperium.
Was die HBO-Produktion trotzdem sehenswert macht, sind die mysteriösen Strippenzieherinnen. In Frank Herberts «Dune»-Kosmos, und generell im männlich dominierten Science-Fiction-Genre, stellen die tonangebenden Frauen eine erfreuliche Ausnahmeerscheinung dar. Fortschritt ist in der Gegenwart wie in einer weit entfernten Zukunft, in der die Menschen das Weltall längst erobert haben, relativ.