Sonntag, Oktober 6

Der Olympiazweite von Tokio muss keine Sperre mehr fürchten. Seine Urinprobe, die Spuren der verbotenen Substanz Zeranol enthielt, gilt als nicht verwertbar. Wird Flückiger nun versuchen, Schadenersatz einzuklagen?

Nach mehr als zwei Jahren, in denen der Schweizer Mountainbiker immer wieder an psychische Grenzen geriet, kann Mathias Flückiger aufatmen. Wie die NZZ erfahren hat, wird die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) seinen im Mai erfolgten Freispruch durch die Disziplinarkammer des Schweizer Sports nicht anfechten. Unmittelbar vor seinem geplanten Start an den Weltmeisterschaften in Andorra steht somit fest, dass Flückiger keine Sperre mehr befürchten muss.

Ein Rekurs der Wada galt bis zuletzt als plausibles Szenario, zumal der Freispruch nicht unumstritten war: Er erfolgte wegen Verfahrensfehlern. Doch die Organisation akzeptiert das Verdikt. Ein Sprecher betont auf Anfrage, wie in jedem Fall habe die Wada den Entscheid der Schweizer Instanz sorgfältig überprüft. Anschliessend habe man sich gegen einen Rekurs vor dem Internationalen Sportschiedsgericht (TAS) entschieden.

Theoretisch könnte auch der Radsport-Weltverband UCI das TAS um eine Neubewertung bemühen. Dass es dazu kommt, galt jedoch von vornherein als unwahrscheinlich. Die UCI teilt auf Anfrage mit, sie werde sich zur Causa Flückiger nicht äussern.

ETH-Toxikologe hielt Kontamination als Ursache für «sehr unwahrscheinlich»

Mathias Flückiger hatte am 22. Juni 2022 am Rande der Schweizer Meisterschaften in Leysin eine Urinprobe abgegeben, die eine tiefe Konzentration der verbotenen Substanz Zeranol enthielt. Der Mountainbiker bot daraufhin Experten auf, die eine Kontamination durch Fleisch für wahrscheinlich hielten. Diese Hypothese wiesen unabhängige Experten zurück. Zeranol sei eine synthetische Substanz, sagte Georg Aichinger, Toxikologe an der ETH in Zürich, der NZZ: «Wenn Zeranol in Urinproben gefunden wird, ist eine Kontamination als Ursache sehr unwahrscheinlich.»

Die Frage, ob der Konsum von Fleisch das atypische Resultat verursacht haben könnte oder nicht, war jedoch letztlich irrelevant. Denn Flückigers Team monierte Fehler im Umgang mit der Urinprobe seines Fahrers. Die zuständige Kontrolleurin hatte nicht durchgehend protokolliert, wo sich die gefüllten Fläschchen befanden, bevor sie diese nach dem Wochenende per Post ins zuständige Kontrolllabor nach Lausanne schickte. Dabei handle es sich um eine grobe Verfahrensunregelmässigkeit, weshalb die Probe nicht verwertbar sei, so die Verteidiger des Sportlers.

Prinzipiell müssen Dopingkontrolleure die Unversehrtheit von Proben sicherstellen: Diese dürfen beispielsweise keinen übermässigen Hitzeeinwirkungen ausgesetzt sein, welche den Inhalt verändern könnten.

Die Disziplinarkammer des Schweizer Sports folgte der Argumentation. Für die Instanz Swiss Sport Integrity (SSI), die Flückiger zeitweise suspendiert hatte, war das eine herbe Niederlage. SSI teilte mit, man sei nach wie vor der dezidierten Ansicht, die Probe sei gemäss den Regeln des Welt-Anti-Doping-Programms und der Rechtsprechung des TAS verwertbar. Dennoch verzichte man auf einen Weiterzug ans Internationale Sportschiedsgericht. Begründet wurde das unter anderem mit der langen Verfahrensdauer und den hohen zu erwartenden Kosten.

Bei einem Regress würde es wohl um eine sechsstellige Summe gehen

Im Prinzip könnte Flückiger an den Weltmeisterschaften nun unbeschwert an den Start gehen: Die Phase der Ungewissheit ist vorbei. Er muss nicht mehr fürchten, dass ihm eine allfällige Medaille nachträglich aberkannt würde. Seine Teilnahme am WM-Rennen ist allerdings aus anderen Gründen offen.

Nachdem er im Höhentrainingslager im Engadin starke Schmerzen im Unterbauch verspürt hatte, musste er sich am vergangenen Sonntag notfallmässig den Blinddarm entfernen lassen. Anschliessend teilte er mit Blick auf die WM mit: «Ich hatte in der Vorbereitung ein ausgezeichnetes Gefühl und will einen Start nicht frühzeitig ausschliessen.» Am Freitag nun reiste der 35-jährige Berner verspätet nach Andorra.

Voraussichtlich entscheidet Flückiger nach einer Streckenbesichtigung am Samstag, ob er an den Titelkämpfen antritt. Allenfalls fällt das Verdikt sogar erst unmittelbar vor dem Rennen vom Sonntag. 2019, 2020 und 2021 hatte er an den Weltmeisterschaften jeweils Silber im olympischen Crosscountry gewonnen.

Anschliessend könnte die Frage ins Zentrum rücken, ob Flückiger SSI auf Schadensersatz verklagt. Im Raum steht die Möglichkeit, dass zumindest Anwalts- und Beraterkosten in Rechnung gestellt werden. Dabei dürfte es sich um eine sechsstellige Summe handeln.

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