Samstag, Dezember 21

Nach einem umstrittenen Militäreinsatz im November hatte die Armee behauptet, sie habe das Gebiet um das Shifa-Spital fest unter Kontrolle. Offenbar haben sich aber seither wieder Hunderte Hamas-Kämpfer dort verschanzen können.

Der Einsatz im Shifa-Spital hat sich zu einem der längsten und grössten derartigen Militäreinsätze während des Gazakriegs entwickelt. Laut den israelischen Streitkräften (IDF) war er notwendig geworden, weil sich Hunderte Terroristen in dem Spital verschanzt hatten. Seit dem Start der Operation am Montagmorgen seien mehr als 140 Terroristen getötet und 600 Verdächtige festgenommen worden, teilten die IDF am Donnerstag mit. Von diesen seien 160 zur Befragung nach Israel gebracht worden. Die Angaben deuteten auf anhaltende, heftige Kämpfe hin.

Der IDF-Sprecher Daniel Hagari behauptete am Mittwoch, es seien keine Zivilisten oder Ärzte zu Schaden gekommen. Alle Getöteten seien Terroristen. Laut der Armee lieferten sich die Kämpfer, die sich unter den Tausenden von Patienten und Zivilisten auf dem Spitalgelände versteckt hatten, immer wieder Feuergefechte mit den Soldaten. Auch mehrere hochrangige Mitglieder der Hamas und des Islamischen Jihad seien gefasst worden. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es bisher nicht.

Die Armee veröffentlichte Fotos von Waffen und Munition, die sie in dem Spital gefunden habe. Auch grosse Mengen Bargeld zur Finanzierung der Terroraktivitäten sollen dort entdeckt worden sein. Israels Uno-Botschafterin Meirav Eilon Shahar wertete dies in einem Brief an den WHO-Direktor Adhanom Ghebreyesus Tedros als «unbestreitbare Beweise», dass die Hamas systematisch Gesundheitseinrichtungen für ihre terroristischen Aktivitäten nutze.

Offenbar hat sich die Hamas im Norden neu gruppiert

Das Shifa-Spital liegt im Zentrum der Stadt Gaza. Es war vor dem Krieg das grösste Spital im Gazastreifen und ist das einzige im Norden des Gebiets, das noch teilweise in Betrieb ist. Mehr als 7000 Patienten und Flüchtlinge sollen sich dort vor dem Einsatz befunden haben. Bereits im November war die Armee in das Spital eingedrungen. Sie hatte damals erklärt, dass sich ein Kommandozentrum der Hamas unter dem Komplex befinde. Zwar präsentierte sie später einen Tunnel, doch Beweise für ein Kommandozentrum blieb sie schuldig.

Der Einsatz damals war international scharf kritisiert worden. Nach dem Abschluss der Razzien hatte die Armee den Tunnel gesprengt und ihre Truppen abgezogen. Später verkündete sie, sie habe die Kontrolle über den Norden des Gazastreifens gesichert und alle lokalen Hamas-Bataillone zerschlagen. Vieles deutet aber darauf hin, dass sich die Hamas nach dem Abzug der meisten Truppen neu gruppiert hat und die Armee nur wenige Gebiete in Gaza vollständig kontrolliert.

Wenn die israelischen Angaben über die Getöteten und Festgenommenen zutreffen, war die Hamas mit Hunderten von bewaffneten Kämpfern im Shifa-Spital präsent. Eindeutige Videobeweise oder eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es aber nicht. Nur noch wenige palästinensische Journalisten sind im Norden des Gazastreifens präsent. Der katarische Nachrichtensender al-Jazeera warf der Armee vor, ihren Reporter im Shifa-Spital misshandelt und seine Ausrüstung zerstört zu haben.

Gesicherte Informationen über den Einsatz gibt es wenig

Die IDF veröffentlichten Videoaufnahmen, die bewaffnete Terroristen im Spital zeigen sollen. Ein Abgleich mit Satellitenbildern zeigt, dass es sich zumindest in Teilen um den Komplex handelt. Auf verifizierten Videos aus den sozialen Netzwerken sind Schüsse und Explosionen nahe dem Shifa-Spital zu hören. Aktuelle Satellitenbilder zeigen eine erhöhte Militärpräsenz um den Komplex. Die Hamas veröffentlichte ihrerseits ein Propagandavideo, das offenbar mehrere Raketenangriffe auf israelische Kampfpanzer in der Nähe des Spitals zeigt.

Die Hamas bestritt, das Spital für militärische Zwecke zu nutzen. Sie behauptete, alle Getöteten seien Patienten oder Zivilisten, die in dem Spital Zuflucht gesucht hätten. In den sozialen Netzwerken zirkulierten Berichte, dass alle jungen Männer festgenommen und bis auf die Unterwäsche entkleidet worden seien. Al-Jazeera und andere Medien berichteten, die Armee habe das Gebäude mit dem Operationssaal in die Luft gesprengt. Die IDF äusserten sich nicht dazu.

Auch vier Tage nach Beginn des Einsatzes bleibt vieles unklar. Die IDF veröffentlichten am Donnerstagabend Fotos von 358 Verdächtigen, die sie im Spital gefasst hätten. Später gestanden sie aber ein, dass mehrere der gezeigten Männer nicht unter den Festgenommenen seien. Fragen zum eigentlichen Ziel des Einsatzes warf derweil Generalstabschef Herzi Halevi auf. Nach einem Besuch im Spital am Donnerstag sagte Halevi, der Militäreinsatz sei sehr wichtig, um in den Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln Druck auf die Hamas zu machen. Demnach wäre das eigentliche Ziel weniger militärisch als politisch.

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