Samstag, Januar 4

Die Liquidation des Warenhauses Jelmoli, die jetzt beginnt, ist Sinnbild für einen fundamentalen Wandel.

Bei Jelmoli hat mit dem Jahreswechsel die Totalliquidation begonnen. Auch wenn das traditionsreiche Zürcher Warenhaus strenggenommen nicht direkt an der Bahnhofstrasse steht: Für den Wandel der Einkaufsmeile ist dies ein Ereignis von grosser Symbolik.

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Die Strasse war lange stark geprägt von Unternehmen wie Jelmoli, die sich Jahrzehnte oder sogar über hundert Jahre dort halten konnten. Von diesen ist inzwischen nur noch ein gutes Dutzend übrig: die Confiserie Sprüngli etwa, die Löwenapotheke, das Sportgeschäft Och oder die Parfümerie Osswald.

Über vierzig Traditionsunternehmen dagegen sind seit 1990 von der Bahnhofstrasse verschwunden. Die einen sind eingegangen, andere wurden übernommen oder sind an günstigere Lagen ausgewichen. Diese Dynamik begann mit vereinzelten Geschäftsaufgaben und nahm in den letzten zwei Jahrzehnten Fahrt auf.

Dieser Streifzug vom See zum Hauptbahnhof zeigt, was nicht mehr ist.


Vom See
bis zum Paradeplatz


Wyssbrod & Co (Pelz)
19882016

Lammfell, Nerz, Zobel, Biber, Fuchs – Proteste gegen das Pelztragen gab es schon in den 1980er Jahren, als Folge davon ging in Zürich ein Dutzend Läden ein. Aber an der Bahnhofstrasse überlebten sie noch lange. Das Pelzgeschäft Wyssbrod, gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg als kleines Atelier in Wollishofen, schaffte sogar erst in jenen Jahren den Sprung an Zürichs beste Adresse. Nah am See, wo sich die gutbetuchte weibliche Kundschaft gerne eindeckt. «Man trägt wieder Pelz», hörte man dort an Modeschauen auch noch in diesem Jahrhundert. Tempi passati.


Librairie Payot (Bücher)
19462005

Viele der einst zahlreichen Buchhandlungen an der Bahnhofstrasse sind schon Mitte des letzten Jahrhunderts verdrängt worden. Zu tief waren die Margen. Als Ausnahme galt lange Payot im Erdgeschoss der Kantonalbank. Mit dem Verkauf französischer und englischer Bücher an eine internationale Kundschaft liess sich gutes Geld verdienen. Vielleicht lief es fast zu gut: Die NZZ spottete einst, dass jeder Vorsteher einer Abteilung über «seine Bücher» wache und den ganzen Tag damit verbringe, Bestände aufzustocken und in Katalogen zu recherchieren. Wenn man diese «connaisseurs du livre» als Kunde bei der Arbeit störe, heisse es: «Excusez-moi – pas de temps.»


Weinberg & Co (Mode)
19542019

Die Bahnhofstrasse war einmal die Strasse der Banker. Banker trugen Anzüge, und wer etwas gelten wollte (und es sich leisten konnte), kaufte einen Anzug der italienischen Nobelmarke Brioni im Modehaus Weinberg, ganz oben bei der Nationalbank. Aber die Zeiten ändern sich, und so musste die dritte Generation des Familienunternehmens schliesslich auch ihren letzten Laden schliessen.


Marsano (Blumen)
19192024

In Zürichs exklusivstem Blumengeschäft lassen die Kundinnen achtzig Franken für einen Strauss liegen, ohne mit der Wimper zu zucken. Über hundert Jahre lang hat Marsano eine Filiale im Erdgeschoss des heutigen Hotels Mandarin Oriental Savoy am Paradeplatz betrieben. Dann kündigte die Vermieterin Savoy Hotel Baur en Ville AG, an der die UBS die Mehrheitsbeteiligung hält, eine happige Mietzinserhöhung an. Diese habe den Weiterbetrieb an dieser Lage unmöglich gemacht, sagte der Marsano-Verwaltungsratspräsident Daniel Galli zur NZZ: «Wenn die Miete so hoch ist wie der Umsatz, kann der Laden nicht mehr rentieren.» Nun ist der von der Swatch-Gruppe geführte Juwelier Harry Winston eingezogen, der direkt nebenan eingemietet ist und so die Ladenfläche vergrössern kann. Und Marsano ist ums Eck an die Bärengasse gezogen.


Türler (Schmuck und Uhren)
19072017

Der Paradeplatz, das war über hundert Jahre lang die weltliche Vierfaltigkeit von Kreditanstalt (Credit Suisse), Bankverein (UBS), Sprüngli und Türler. Geld, Luxemburgerli und Uhren. Aber dem Uhrenhändler, der einst aus Biel nach Zürich gekommen war, wurde die Umwälzung der Branche zum Verhängnis: Die internationalen Luxuskonzerne verkaufen ihre Marken heute lieber direkt in sogenannten Monobrand-Stores, von denen es an der Bahnhofstrasse immer mehr gibt. Der globale Jetset und die Stars aus aller Welt, die einst bei Türler ein und aus gingen, sind diesem Trend gefolgt.


Von Paradeplatz
bis Augustinergasse


Foto Ganz (Fotografie)
18681995

Foto Ganz war das allererste Geschäft an der Bahnhofstrasse. Der Fröschengraben war gerade erst zugeschüttet worden und der neue Verkehrsweg an seiner Stelle war eine öde Landstrasse, da liess der Fotopionier Johannes Ganz dort ein nobles Geschäftshaus errichten. Dort sollte sich das Zürcher Bürgertum künftig fotografisch in Szene setzen lassen. Die Leute zweifelten damals wegen der peripheren Lage an Ganz’ Verstand, doch der Poker ging auf. Auch über hundert Jahre später war Ganz noch die erste Adresse für Fotografie in der Stadt. Mitte der neunziger Jahre zog das Geschäft dann an den Rennweg um, wo es bis 2018 dem Druck der Digitalfotografie standzuhalten versuchte. Heute ist Foto Ganz Geschichte – aber das Geschäftshaus bleibt im Familienbesitz.


Krämer (Blumen)
19002011

Vor Blumen Krämer war der Import von Schnittblumen in Zürich unbekannt. Es war ein Geschäft von Weltrang: hohe Decken, Marmorböden, Spiegel und ein Gewächshaus im Innenhof. Sogar der deutsche Kaiser liess hier seine Blumenarrangements bestellen. Und noch hundert Jahre nach der Gründung schien es, als laufe das Geschäft besser denn je: 34 Angestellte verarbeiteten damals jährlich 90 Tonnen Blumen. Doch der Schein trog. Das Gewächshaus ist heute eine VIP-Garderobe für Frauen aus arabischen Ländern, die hier ihren Schleier abstreifen können, um teuren Schmuck und Uhren anzuprobieren. Und der Blumenladen ist an die Talstrasse ausgewichen.


Brunos (Mode)
19372020

Schwere Wandschränke, Kronleuchter, ein Dudelsack und englische Rüstungen an der Wand. Das Herrenmodegeschäft Brunos war eines der letzten Familienunternehmen, die sich an der Bahnhofstrasse halten konnten. Und bis zum Schluss sah es noch fast genauso aus, wie es der Gründer Bruno Maestrini einst eingerichtet hatte. Aber verdienen liess sich längst nicht mehr so gut wie damals, und als dann die Zurich Versicherung mehr Miete verlangte, ging die Rechnung nicht mehr auf. Brunos zog wie so viele in eine günstigere Nebenstrasse um.


Von Augustinergasse
bis Uraniastrasse


Bata (Schuhe)
1933–2015

Bata war nie der Laden der feinen Leute. Er kam als Preisbrecher an die Bahnhofstrasse und hielt sich über 80 Jahre lang, bis er wegen der boomenden Onlineshops selbst unter Druck geriet. Das im heutigen Tschechien gegründete Unternehmen setzte früh auf Massenproduktion nach amerikanischem Vorbild, und als es Anfang der 1930er Jahre im Fricktal eine Fabrik eröffnete, wurden die einheimischen Produzenten nervös. Der Zürcher Wirtschaftsanwalt Georg Wettstein zimmerte für Bata in der steuergünstigen Schweiz eine Holding – die Vorlage für jene Sorte multinationaler Unternehmen, für die das Land bekannt wurde. Wettsteins Tochter wurde später unter dem Namen Sonja Bata Managerin des damals grössten Schuhherstellers der Welt.


Franz Carl Weber (Spielwaren)
1890–2016

Jahrzehntelang war Franz Carl Weber nicht von der Bahnhofstrasse wegzudenken. Besonders beliebt: die Rutschbahn im Innern des Geschäfts.

Der «Franzki» war für Kinder wie ein wahr gewordener Traum: Es gab eine Rutsche in der Gestalt eines Drachen, eine Kugelbahn, viel Platz zum Toben – und natürlich Spielsachen, so weit das Auge reicht. Stundenlang konnte man dort verweilen, ohne etwas kaufen zu müssen. Mit diesem Charme kann der neue Standort direkt beim Hauptbahnhof nicht ansatzweise mithalten. Und auch dessen Ende naht bald: Die deutsche Drogeriekette Müller, Besitzerin von Franz Carl Weber, hat Eigenbedarf angemeldet und kürzlich ein entsprechendes Baugesuch eingereicht.


Bally (Schuhe)
1927–2013

Das Bally-Haus mit den schmalen Metallelementen und den Kugeln an der Fassade ist ikonisch. Die Architekten Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser und Rudolf Steiger haben das Gebäude 1968 eigens für den Schweizer Luxus-Schuhhersteller entworfen – es war der erste Neubau überhaupt an der Bahnhofstrasse. Über die Jahre wurde das achtgeschossige Haus an bester Lage zu gross für das Unternehmen. Heute führt Bally eine viel kleinere Filiale an der oberen Bahnhofstrasse. Die Kugeln an der Fassade des ehemaligen Stammhauses sind geblieben. Heute leuchten sie und zeigen abwechselnd Wörter mit fünf Buchstaben, die eine Agentur zusammengetragen hat.


Landolt-Arbenz (Papeterie)
1882–2019

Das Schreibwarengeschäft Landolt-Arbenz war mit 137 Jahren das älteste an der ganzen Bahnhofstrasse, als es 2019 in eine Seitenstrasse beim Münsterhof umzog. Die fünfte Generation hatte verstärkt auf Luxus gesetzt, um im Verdrängungskampf zu bestehen. Doch trotz funkelnden Schreibgeräten für bis zu 10 000 Franken sahen die Betreiber schliesslich ein: Ein solcher Betrieb mit acht Angestellten auf drei Stockwerken kommt nicht auf die Rendite, die nötig ist, um sich eine solche Lage zu leisten. Die übrigen Familienerben, denen das Haus gehört, hätten dem Traditionsgeschäft die Miete quasi schenken müssen.


Von Uraniastrasse
bis Bahnhofplatz


Modissa (Mode)
1959–2022

Das ehemalige Modissa-Haus wird bald umgestaltet. In den Obergeschossen sind Büros geplant.

Ein Boden aus Carraramarmor, verspiegelte Wände und Decken: Als 1975 das neue Haus von Modissa eröffnet wurde, war es die Krönung einer erfolgreichen Zürcher Unternehmensgeschichte. Anfang der achtziger Jahre ging dann schräg über die Strasse auch noch die Tochterfirma Big auf, um auch die nächste Generation modebewusster Frauen anzusprechen. 2022 und 2024 sind beide Namen in rascher Folge aus dem Stadtbild verschwunden. Der auffällige Siebziger-Jahre-Bau, für den sich lange kein Nachmieter fand, wird nun umgestaltet, damit die Obergeschosse als Büros genutzt werden können.


Wollen-Keller (Mode)
1921–1996

Das Ende dieses Traditionsgeschäfts war ein grosses Spektakel: 1997 kamen der Filmstar Arnold Schwarzenegger und das Supermodel Cindy Crawford nach Zürich, um an seiner Stelle eine Filiale der Restaurant-Kette Planet Hollywood zu eröffnen. Internationaler Glamour statt lokales Schaffen – hier zeichnete sich ein Trend früh ab. Die Miete an der Bahnhofstrasse war für ein Modegeschäft wie Keller, das in den 1920er Jahren mit Unterkleidern und Strumpfwaren aus Wolle gross geworden war, nicht mehr zu stemmen. Kleiner Trost: Nach nur zwei Jahren musste auch Planet Hollywood die Türen wieder schliessen.


Manor (Warenhaus)
1984–2020

Als Manor im Frühling 2020 nach einem erbitterten Rechtsstreit mit der Liegenschaftenbesitzerin Swiss Life schliessen musste, schien das ein klares Signal zu sein: Die Zukunft der Warenhäuser ist düster. Doch Manor wird ein Comeback geben – und zwar ausgerechnet in den Räumlichkeiten des ehemaligen Jelmoli. Mit einer Fläche von 13 000 Quadratmetern wird der neue Manor fast so viel Platz haben wie am früheren Standort, und er soll zum zweiten Flaggschiff-Geschäft neben Genf werden.


Metzgerei Bell (Lebensmittel)
19562004

Die Metzgerei Bell war schon immer eine Exotin an der Bahnhofstrasse. Rundherum wurden Strümpfe, Uhren, Kleider und Schuhe verkauft, an der Nummer 102 waren Würste und Siedfleisch in der Auslage. Jahrzehntelang florierte das Geschäft, bis die Betreiber die Konkurrenz durch die Grossverteiler zu spüren bekamen. 2004 übernahm der Traiteur Kauffmann die Filiale – und musste 2012 aufgeben. Zu schaffen gemacht hatten der Metzgerei auch der Einkaufstourismus im nahen Ausland sowie der Markteintritt ausländischer Discounter. Die Miete an der Bahnhofstrasse hingegen sei im Vergleich moderat gewesen, betonte der Kauffmann-CEO.

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