Freitag, Oktober 18

Mit dem innovativen Pinion MGU verschmelzen E-Motor und Getriebe im Pedelec zu einer kompakten Einheit. Die bietet zahlreiche Vorteile.

Das E-Bike (präziser: Pedelec) hat den Stand der Velo-Technik in nur wenigen Jahren revolutioniert: ABS, eine LED-Beleuchtung inklusive Bremslicht, dazu Karbonrahmen und -riemen, GPS-Ortung, Antriebe mit bis zu 1000 Watt und mehr, unsichtbare, weil integrierte Kabelführungen, Cockpits mit Touch-Display oder multifunktionale App-Verbindungen und demnächst auch mit Blinker.

Allein die Schaltung scheint der rasanten Entwicklung hinterherzuhinken: Ein prähistorisches Kettenblatt vorne sowie offene Schaltwerke an der Hinterachse zählen selbst bei hochwertigen Bikes nach wie vor zur Standardausrüstung. Zwar kann in der Oberklasse inzwischen elektronisch geschaltet werden, entfällt hier immerhin der mechanische Bowdenzug mit Drahtverbindung.

Doch die wesentlichen Nachteile – Verletzlichkeit, Lärm, Gewicht, Abnutzung, Wartungsintensität – bleiben und machen klassische Gangschaltungen samt Sortierung zum schwächsten Glied im Gefüge, ganz zu schweigen von der obligatorischen Kette, die auch regelmässig gereinigt wie geschmiert werden will und in der Regel nach rund tausend Kilometern Fahrt dennoch verschlissen ist.

Andere Lösungen gibt es zwar schon länger. Nabenschaltungen beispielsweise, bei denen immerhin die offene Ritzelkassette mit Zahnrad wegfällt sowie der exponierte und damit verbiegungsgefährdete Umwerfer, der die Kette von einem aufs andere Zahnrad verlegt.

Alternativ können stufenlose, optional vollautomatische Kraftübertragungen nachgerüstet werden, die allerdings schwerer wie teurer sind, höhere Reibwerte verursachen und damit einen gewissen Leistungsverlust aufweisen. Dieser lässt sich vom E-Motor zwar kompensieren, doch bleibt es in jedem Getriebe-Velo grundsätzlich bei zwei getrennten Systemen meist unterschiedlicher Hersteller – dem Antrieb (durch Mensch oder Motor) und einer variablen Untersetzung, sprich Schaltung.

Zwei Antriebselemente werden vereint

Der Zulieferer Pinion hat es sich vor über zehn Jahren zum Ziel gesetzt, diesem Umstand abzuhelfen. Das Ergebnis nennt sich MGU, was für «Motor-Gearbox-Unit» steht und beide Elemente in einem Kurbelgehäuse aus Magnesium vereinigt, das zudem das Tretlager beherbergen muss. Das ist weniger banal, als es klingt, weil die Umsetzung dieser Konfiguration gleich mehrere technische Neuerungen erforderte. Diese sollen in der Praxis nicht nur wartungsarm sein, sondern vor allem zuverlässig agieren.

Pinion steht übersetzt für Zahn- oder Antriebsrad, ist aber in diesem Fall weder britisch noch amerikanisch, wie der Name suggeriert, sondern ein deutsches Unternehmen mit Sitz in Denkendorf bei Stuttgart, das 2008 von zwei passionierten Mountainbikern und ehemaligen Porsche-Ingenieuren gegründet wurde.

Frühere Produkte von Pinion liessen bereits aufhorchen, zum Beispiel ein Tretlagergetriebe, das bis zu 18 Gänge aufweist, mit einem Nabenmotor kombiniert werden kann und einen wichtigen Zwischenschritt in Richtung MGU darstellt. Letzteres haben wir mit dem Flyer Goroc TR:X bereits getestet und waren davon angetan.

Mittelmotor kommt ohne Mehrgewicht aus

Der Verzicht auf mechanische Schaltkomponenten am Hinterrad bietet auch fahrdynamisch spürbare Vorteile, weil dort ungefederte Massen reduziert werden. Dennoch entspricht das MGU-Eigengewicht mit vier Kilogramm etwa der klassischen Kombination aus E-Motor und Schalteinheit.

Auch finanziell sind die Unterschiede gering: Das kompakte System kann nicht einzeln, sondern nur als verbundene Einheit gekauft werden. Der Wettbewerb zwischen den Veloproduzenten (Pinion MGU gibt es ab dieser Saison bei den Marken Bulls, i:SY, Flyer, Kettler, Pegasus, Rotwild, Simplon, Tout Terrain oder Zemo) sorgt zusätzlich für knapp kalkulierte Kurse. Das ist wichtig, denn gegenwärtig sind potenzielle Käufer aus mehreren Gründen – Marktsättigung, gestiegene Kosten, Krisenstimmung – insgesamt eher zurückhaltend.

Dem auch E-Drive genannten System aber gehört die Zukunft. Fahrradhersteller können auf zwei Varianten mit je neun oder zwölf Gängen zurückgreifen. Die Gesamtübersetzung entspricht 568 bzw. 600 Prozent, mit Abstufungen von rund 24 und 18 Prozent.

Auch eine Anfahrhilfe oder eine Boost-Funktion stehen zur Verfügung. Das geschieht per Cockpit – zur Wahl stehen je zwei unterschiedliche Bedieneinheiten und Displays – oder via Smartphone-App: Pinion setzt hier auf die Schweizer Fit-Software. In jedem Fall ist das Komfortniveau derart hoch, dass es anschliessend schwerfällt, mit einem E-Bike herkömmlicher Bauart unterwegs zu sein.

Beiden Leistungsversionen gemein ist das mechanische Funktionsprinzip mit einer Stirnradverzahnung, die zwei Teilgetriebesätze kombiniert. Je nach Vorwahl werden aus den unterschiedlichen Radpaaren die jeweiligen Gänge abgeleitet – im ersten Teilgetriebe wird beim Schaltvorgang aus drei Gängen vorsortiert, bevor im zweiten dann viermal multipliziert, also die Untersetzungsbandbreite definiert wird.

Diese sogenannte Gesamtgetriebegruppe agiert nicht nur blitzschnell, sondern garantiert auch einen hohen Wirkungsgrad. Zudem reduziert sie auch übliche Gangüberschneidungen, arbeitet also effizienter – und dabei auch leiser als übliche Schaltungen, weil die Gangwechsel elektronisch statt mechanisch erfolgen.

Möglich macht es eine intelligente Sensorik, die vor wenigen Jahren noch nicht verfügbar war: Das von Fahrer und E-Motor einzeln oder gemeinsam eingebrachte Drehmoment wird erfasst, ebenso die Motordrehzahl sowie die Kadenz im Verhältnis zur Geschwindigkeit, aber auch zur Verschaltung im Getriebe selbst.

Aus diesen Parametern errechnet die Steuereinheit den jeweils passenden Unterstützungsgrad und Schaltzeitpunkt. Zusätzlich erlaubt die Elektronik einige Komfort-Modi wie das Überspringen eines oder mehrerer Gänge, und das nicht nur in Bewegung selbst unter Last, sondern auch im Stand.

Zudem kann der Fahrer einiges programmieren – zum Beispiel, welcher Gang eingelegt werden soll, wenn in Bewegung gerade einmal nicht getreten wird (das nennt sich Pre-Select, was einer Halbautomatik entspricht). Oder in welchem Gang er gerne anfahren möchte (Start-Select).

Ölflecken gibt es dank Zahnriemen kaum noch

Sehr vorteilhaft ist auch das lange MGU-Wartungsintervall – weil es nichts äusserlich Mechanisches mehr zu warten gibt, wenn man vom Riemenspanner absieht, den es für die Hinterradfederung noch braucht. Ein Ölwechsel ist zwar erforderlich, aber erst nach zehntausend Kilometern. Und da der fettfreie Gates-Riemen genauso lange halten soll, kann man sich den Service fast komplett sparen: Schweizer Pedelec-Nutzer legen gemäss der letzten Erhebung von Velosuisse von 2015 pro Jahr durchschnittlich 296 Kilometer zurück.

Der von Pinion eingekaufte, aber adaptierte, bürstenlose E-Motor ist mit einer Spitzenleistung von 600 (9-Gang) und 800 Watt (12-Gang) besonders kräftig. Beide Versionen bieten zudem ein maximales Drehmoment von 85 Nm. In Kombination mit dem Getriebe summiert sich das in den kleinen Gängen sogar bis auf 160 Nm, die an der Antriebswelle ankommen.

Bei anderen E-Bikes ist das auch so, doch weil Motor- und Getriebehersteller nicht die gleichen sind, spricht jeder nur von seinen Produkten. Pinion dagegen kann sagen, was tatsächlich am Hinterrad ankommt. Und das spürt man auch in den ersten, besonders kraftvollen Gängen.

Wie üblich lassen sich Unterstützungsmodi vorwählen; Pinion setzt hier mechanisch auf die drei Charaktere Comfort, Performance und Speed, aus denen sich jeder Pedelec-Hersteller bei Pinion einen aussuchen kann. Für den Fahrer gibt es dann jeweils die Motor-Modi Eco, Fly sowie – adaptiv – Flow und Flex. In jedem Fall ist ausreichend Kraft vorhanden, und auch bei der Batterie-Reichweite gibt sich der Antrieb keine Blösse.

Ein kleines Minus: In bestimmten Fahrsituationen, meist unter Volllast, kann es zwischen den Gängen 4 und 5 sowie 8 und 9 aufgrund der Teilgetriebepaarung zu unschönen Schaltgeräuschen oder kürzeren Pedaldurchrutschern kommen. Pinion kennt das Problem und arbeitet daran. Dennoch ist das gegenwärtige MGU eine gelungene Verbindung aus Elektroantrieb und Getriebe.

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