Mittwoch, Oktober 9

Dwight wollte eigentlich Pilot oder Künstler werden. Doch der frühere amerikanische Präsident John F. Kennedy hatte andere Pläne mit ihm. Über einen, der seiner Zeit zuvorkam.

Ed Dwight kennt die schwarze Geschichte Amerikas. Als Künstler beschäftigt er sich mit ihr, er fertigt Bronzefiguren von wichtigen schwarzen Persönlichkeiten an. Sie stehen in Parks, Museen, an Universitäten in ganz Amerika.

Einmal, vor sechzig Jahren, hätte Dwight selbst in die Geschichte der Afroamerikaner eingehen sollen. In den 1960er Jahren bewarb er sich bei der amerikanischen Weltraummission. Er sollte der erste afroamerikanische Astronaut werden. Doch die Nasa sagte ihm ab.

Nun ist Dwight doch noch ins All geflogen. Vergangenen Sonntag, mit neunzig Jahren. Was ihm die Nasa einst verwehrte, hat ihm der Milliardär Jeff Bezos möglich gemacht. Bezos’ Firma Blue Origin hat schon Dutzende von Personen ins Weltall geschickt, viele Milliardäre wie Bezos selbst. Am Sonntag sassen ein Investor, ein Unternehmer, ein Craft-Bier-Produzent neben Dwight in der Raumkapsel. Sie alle wurden am Sonntag zu Astronauten. Doch keiner von ihnen hat so lange auf diesen Moment hingearbeitet wie Dwight.

Der Flughafen seiner Kindheit

Die Fliegerei interessierte Dwight schon früh. 1933 kam er in Kansas City auf die Welt. Seine Kindheit verbrachte er am Flughafen gleich nebenan. Er bewunderte die landenden und abfliegenden Flugzeuge, zeichnete sie. Und als er alt genug war, um sich ein Sackgeld zu verdienen, ging er den Piloten zur Hand. Er reichte ihnen das Werkzeug, half, die Jets zu putzen, wurde zu ihrem «Maskottchen». So erzählt es Dwight.

Eines Tages durfte Dwight mitfliegen. Als das Flugzeug abhob und sich Himmel und Erde vor ihm ausbreiteten, war Dwight begeistert. Dass er selbst eines Tages Flugzeuge steuern könnte, davon habe er nicht zu träumen gewagt, sagte er kürzlich dem «Spiegel». Dwight: «Fliegen war das Territorium des weissen Mannes.»

Das Amerika seiner Kindheit war gespalten. In Kansas waren viele Schulen, Restaurants, sogar Zeitungen nach Rassen getrennt. Die Möglichkeiten für einen schwarzen Mann waren begrenzt. Aber eines Tages, als Dwight während des Kunststudiums die Zeitung der schwarzen Bevölkerung verteilte, entdeckte er einen schwarzen Piloten auf der Frontseite. «Meine Welt ist explodiert», so erinnert sich Dwight gegenüber der «New York Times». Er habe es nicht glauben können: Die USA lassen schwarze Menschen Flugzeuge fliegen!

Mit zwanzig Jahren meldete sich Dwight bei der Air Force an. Er sammelte Flugstunden, sprang für Ausbildner ein, nahm Prüfungen ab. Nebenbei absolvierte er einen Bachelor in Luftfahrttechnik. Dwight war Pilot geworden und damit überglücklich. Doch der damalige amerikanische Präsident Kennedy hatte andere, noch grössere Pläne mit ihm. Kennedy wollte Dwight ins Weltall schicken.

Ein dunkelhäutiger Astronaut sollte es richten

Die Regierung der USA war damals mit zwei grossen Themen konfrontiert: dem Wettrennen gegen die Sowjetunion, das sich im Weltall abspielte, und dem Civil Rights Movement, das auf den Strassen für eine Gleichstellung der dunkelhäutigen Bevölkerung und ein Ende der Rassentrennung kämpfte. Die Administration Kennedys war überzeugt: Ein afroamerikanischer Astronaut könnte auch Dunkelhäutige für die amerikanische Weltallmission begeistern. Und die USA gegen aussen als Land der Diversität präsentieren.

Das Weisse Haus forderte die Air Force auf, nach einem Kandidaten zu suchen. Doch die Anforderungen für den Eintritt in die neu eingerichtete Schule auf der Edwards Air Force Base waren hoch. Und der Einzige, der sie erfüllte, war Dwight.

Als Dwight die Einladung erhielt, sich an der Schule zu bewerben, war er zuerst skeptisch. Zu diesem Zeitpunkt wollte er General beim Militär werden, nicht Astronaut. Dazu kamen die Zweifel seines Chefs: «Hamburger» würden sie aus ihm machen, hat er warnend zu ihm gesagt, wie Dwight der «New York Times» erzählte. Doch seine Mutter habe ihn überzeugt. Sie habe ihm gesagt, er könne ein Vorbild für so viele Kinder sein. Also sagte Dwight zu.

Briefe, Frontseiten und Politikerbesuche

Die afroamerikanische Bevölkerung verfolgte begeistert, wie Dwight von der ersten Runde in die zweite Runde des Auswahlverfahrens aufstieg. Er erhielt täglich Hunderte Briefe, landete auf den Frontseiten der Magazine, die auf die schwarze Leserschaft abzielten, traf einflussreiche Politiker. Die Air Force profitierte von der positiven Presse. Und die Regierung sah sich bestätigt. Dwight war die richtige Wahl.

Dann endete Dwights Aufstieg Richtung Weltall abrupt. Im Jahr 1963 präsentierte die Nasa vierzehn weisse Kandidaten. Dwight schied aus, wie 121 andere Bewerber. Dabei war er von der Air Force für die Selektion empfohlen worden. Auf die Frage eines Journalisten, ob ein Dunkelhäutiger unter den letzten dreissig gewesen sei, die berücksichtigt worden seien, antwortete der Direktor des Astronautenbüros der Nasa kurz und knapp: «Nein, es gab keinen.»

Einen Monat später wurde Kennedy ermordet. Die Bürgerrechtsbewegung konnte mit der Annahme des Civil Rights Act im Jahr 1964 einen ersten Durchbruch erzielen. Die Rassentrennung an öffentlichen Orten wurde verboten. Die Idee von einem schwarzen Astronauten verschwand aus dem Weissen Haus. Bis der erste afroamerikanische Astronaut ins All flog, vergingen zwanzig Jahre.

Dwight hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon lange aus der Fliegerei verabschiedet. 1966 kündigte er seinen Rücktritt an, mit der Begründung, er sei in der Ausbildung diskriminiert worden. Der Schulleiter habe ihn von den anderen Studenten isoliert und versucht, ihn zum Austritt zu bewegen, so die Darstellung von Dwight. «Kennedy Boy» hätten sie ihn in der Schule genannt.

Schulleiter war damals Chuck Yeager. Er war eine Legende unter Piloten, hatte 1947 als erster Mensch mit dem Flugzeug die Schallmauer durchbrochen. Von Dwight hielt Yeager wenig. In seiner Autobiografie schrieb er, Dwight habe den ersten Teil des Kurses nur dank besonderer Unterstützung der Ausbildner bestanden.

Bronzefiguren im Flugzeughangar

Dwight akzeptierte sein Schicksal und wandte sich in den 1970er Jahren der Kunst zu. Nach einem Master in bildender Kunst gründete er seine eigene Giesserei. Er formte rund 130 grössere Skulpturen und Tausende von Ausstellungsstücken, holte sich Inspiration aus der schwarzen Geschichte. Er richtete in einem ehemaligen Flugzeughangar in Denver sein Studio ein. Wo früher Jets standen, stehen nun seine Skulpturen, Michelle und Barack Obama, Dizzy Gillespie und Louis Armstrong, in Bronze gegossen.

Nun hat es Dwight dennoch ins All geschafft. Dabei hatte er mit dem Traum längst abgeschlossen. Als er am Sonntag in der Wüste in Texas aus der Kapsel ausstieg, reckte er die Fäuste in die Luft. «Ich dachte, ich würde das nicht brauchen in meinem Leben», sagte er zu Reportern. Das sei jedoch eine Lüge gewesen, fügte er hinzu und lachte. Dwight hat doch noch Geschichte geschrieben. Mit neunzig Jahren und acht Monaten ist er der älteste Astronaut überhaupt.

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