Samstag, September 28

Die Rechtsnationalen wie auch das neue Linksbündnis machen den französischen Wählern grosse Versprechungen. Wichtige Reformen könnten bald wieder rückgängig gemacht werden.

Sieben Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Emmanuel Macron dürften die Jahre des liberalen Reformgeistes in Frankreich bald vorbei sein. Am Sonntag findet die erste Runde der Parlamentswahlen statt, die Macron nach der schweren Niederlage seiner Partei bei der Europawahl überraschend angeordnet hat. Und in den Umfragen führt die rechtsnationale Partei Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen, dicht dahinter folgt das neu gegründete Linksbündnis Nouveau Front populaire.

In einem Grossteil der Wahlkreise dürfte es zu einer Stichwahl zwischen den beiden Parteien am rechten und am linken Ende des Spektrums kommen. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn es nach der grössten französischen Arbeitgebervereinigung Medef geht. In einem Interview mit der Zeitung «Le Figaro» brachte deren Präsident Patrick Martin seine Sorge über die Wirtschaftsprogramme der beiden Parteien zum Ausdruck: «Das Programm des RN ist gefährlich für die französische Wirtschaft, das Wachstum und die Beschäftigung. Das der Neuen Volksfront ebenso, wenn nicht sogar noch gefährlicher.»

Der Verband, der die Interessen von 200 000 französischen Unternehmen vertritt, warnt vor Steuererhöhungen, dem Wegzug ausländischer Investoren und massiven Firmenpleiten, sollte eine der beiden Parteien die Wahl gewinnen und die neue französische Regierung stellen. Tatsächlich haben die Pläne der Parteien es in sich: Beide haben ihren Wählern Lohnerhöhungen um bis zu 10 Prozent versprochen und wollen das Rentenalter, das erst vergangenes Jahr von 62 auf 64 Jahre erhöht wurde, wieder senken.

Die Rechte setzt auf Protektionismus

Das Rassemblement national verspricht darüber hinaus, die Kaufkraft der Franzosen mit einem protektionistischen Programm zu erhöhen. So will die Partei die Mehrwertsteuern auf diverse Produkte senken und den Strompreis fixieren. Entgegen den Regeln des EU-Binnenmarktes sollen französische Produzenten vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden.

Ökonomen beziffern die Kosten für das Programm auf 100 Milliarden Euro. Das Rassemblement national will die Pläne durch die Eindämmung der Migration und der damit verbundenen Leistungen an Migranten finanzieren. Dass das ausreicht, ist zu bezweifeln – zumal auch in Frankreich einige Wirtschaftszweige auf Zuwanderung angewiesen sind. Darüber hinaus bereitet die drohende Isolierung Frankreichs innerhalb der Europäischen Union den Wirtschaftsführern des Landes Sorgen. «Was das RN vorschlägt, würde uns von der EU abschneiden», so Martin im «Figaro».

«Rote Tücher» für Unternehmer

Auch die Linke verspricht ihren Wählern, dass sie künftig mehr im Portemonnaie haben werden. Sie will den Mindestlohn von 1400 auf 1600 Euro im Monat erhöhen, die Preise für Nahrungsmittel und Energie einfrieren und die Löhne automatisch an die Inflation anpassen. Zahlreiche wirtschaftsfreundliche Reformen von Macron, darunter auch die der Arbeitslosenversicherung, sollen rückgängig gemacht werden. Das Rentenalter soll nicht nur auf 62, sondern gar auf 60 Jahre sinken.

Der Arbeitgeberchef Martin spricht von zahlreichen «roten Tüchern» für Unternehmer und mahnt, dass durch das Programm Kosten von 200 Milliarden Euro auf den französischen Staatshaushalt zukommen könnten. Zur Finanzierung der Massnahmen schlägt die Linke wenig überraschend Steuererhöhungen vor, darunter eine progressivere Einkommenssteuer und eine «Solidaritätssteuer auf Vermögen». Dies, obwohl Frankreich bereits eine der höchsten Steuerquoten in der OECD hat.

Der französische Schuldenberg wächst

Dabei muss das Land vor allem eins: sparen. Vergangene Woche gab die EU-Kommission bekannt, ein Defizitverfahren gegen Frankreich und andere Länder zu eröffnen, weil das Land seit Jahren einen zu hohen Verschuldungsgrad aufweist. Frankreichs Haushalt war vor fünfzig Jahren zum letzten Mal ausgeglichen, seitdem wächst der Schuldenberg kontinuierlich.

2023 lag der Grad der Neuverschuldung mit 5,5 Prozent des BIP erneut deutlich über dem von der EU festgelegten Schwellenwert von 3 Prozent. Frankreich hat Gesamtschulden von über 3100 Milliarden Euro angehäuft, das entspricht 110 Prozent des BIP und dem dritthöchsten Wert in der EU.

Um die Schuldenlast zu senken, führte die Regierung von Macron einige Reformen durch, darunter auch die Erhöhung des Rentenalters, die der Präsident gegen grossen Widerstand in der Bevölkerung durchpeitschte. Auch sollten die Leistungen der Arbeitslosenversicherung zurückgefahren werden. Um ausländische Investitionen anzulocken, senkte Macron die Gewerbe- und Körperschaftssteuern, reduzierte die Lohnkosten für Arbeitnehmer und lancierte Investitionsprogramme.

Die neue französische Regierung, von welcher Seite des Parteienspektrums sie auch kommt, könnte einen Grossteil dieser Bemühungen wieder zerschlagen – für den sonst unpolitischen Arbeitgeberverband Medef Grund genug, vor einer Wahl der Parteien zu warnen.

Die Parteichefs versuchen zu beschwichtigen

Am vergangenen Donnerstag erhielten die Parteichefs Gelegenheit, die Ängste der Unternehmer zu beschwichtigen. Medef hatte verschiedene Partei- und Koalitionschefs gemeinsam mit weiteren Unternehmensverbänden in die Pariser Salle Gaveau eingeladen, damit sie ihre Wirtschaftsprogramme vorstellen und auf Fragen eingehen konnten.

Die Vertreter der linken Volksfront, Boris Vallaud und Éric Coquerel, riefen die anwesenden Arbeitgeber dazu auf, gemeinsam mit ihnen einen «neuen produktiven Pakt» einzugehen und so das Wachstum Frankreichs voranzubringen. Die Milliardäre des Landes forderten sie zu «patriotischen wirtschaftlichen Anstrengungen» auf. Gleichzeitig versuchten sie, kleinere Unternehmen auf ihre Seite zu ziehen: «Am rechtlichen und steuerlichen Rahmen der KMU wird sich nichts ändern», bekräftigte Boris Vallaud. Das Programm ziele vor allem auf grosse internationale Konzerne ab.

Jordan Bardella, Präsident des Rassemblement national, bemühte sich, die Kosten seines Programms herunterzuspielen, und erklärte vage, man werde die Realität des französischen Haushalts berücksichtigen. Als erste Massnahmen seiner Partei kündigte er die Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie und Treibstoff sowie Notstandsgesetze zu den Themen Sicherheit und Einwanderung an. In Bezug auf Branchen wie die Gastronomie, die viele zugewanderte Arbeitskräfte beschäftigen, erklärte Bardella, auch in diesen Bereichen müssten «nationale Lösungen» gefunden werden.

Bruno Le Maire, Finanzminister der Regierung Macron, warf den Parteien im Anschluss vor, in die Vergangenheit zurückzuwollen und unrealistische Forderungen zu stellen. Die Parteiprogramme kämen zur Unzeit. «Der haushaltspolitische Handlungsspielraum Frankreichs ist gleich null.» Das RN wie auch die Linke könnten innerhalb weniger Tage sieben Jahre Regierungsarbeit zunichtemachen. «Wir sind vielleicht weniger glamourös, aber wir sind effizienter», sagte Le Maire unter dem Applaus der Arbeitnehmer. Dass das die Mehrheit der Wähler auch so sieht, ist allerdings nicht zu erwarten.

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