Mittwoch, Februar 12

Die Zahl der Eheschliessungen in China fällt 2024 auf ein Tief. Finanzielle Unsicherheiten, hohe Brautpreise und ein Wertewandel lassen viele junge Chinesinnen und Chinesen zögern.

Vergangenes Jahr haben sich 6,1 Millionen chinesische Paare das Ja-Wort gegeben. Das zeigen die neusten Statistiken des Ministeriums für zivile Angelegenheiten. Die Zahl ist nur wenig höher als noch vor einem knappen halben Jahrhundert. Doch seither ist Chinas Bevölkerung um rund 450 Millionen Menschen gewachsen. Was ist da los? Warum hat die Institution Ehe in China so stark an Attraktivität verloren?

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Ein Grund dafür scheint naheliegend: Heiraten ist vielen Chinesen zu teuer geworden in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, wie sie heute vorherrschen. Wer mittellos ist, gehe nicht auf Dates, heirate nicht und habe keine Kinder, kommentiert eine Leserin aus Schanghai die neuste Statistik, welche die Nachrichten-Site Sina publizierte.

Die Wirtschaftslage mit der steigenden Unsicherheit am Arbeitsmarkt dürfte tatsächlich viele davon abhalten, den Schritt in die Ehe zu gehen. Gerade in ländlichen Gegenden ist der Brautpreis noch verbreitet. Die Familie des Bräutigams zahlt bis zu umgerechnet 100 000 Franken an die Braut oder ihre Familie.

Dazu kommen die Erwartungen an den Bräutigam von weiteren finanziellen Absicherungen, wie einem Auto, einer Festanstellung und einer Eigentumswohnung. Das ist bei den hohen Immobilienpreisen in China – der Quadratmeterpreis in Peking ist grob vergleichbar mit jenem in Zürich oder New York, bei weitaus niedrigerem Durchschnittslohn – eine gigantische Last. Wer arbeitslos ist oder von Gelegenheitsjobs lebt, dem gewähren Banken in der Regel keinen Kredit. Solche Männer sind auf dem Heiratsmarkt denn auch schwer vermittelbar.

Junge Chinesen sind in der Minderheit – und ticken anders

Der Trend einer Abnahme von Eheschliessungen ist allerdings ein längerfristiger. Seit 2013 geht die Zahl der Eheschliessungen in China zurück, während sich gleichzeitig immer mehr Menschen scheiden lassen. Der Trend, ledig oder geschieden durchs Leben zu gehen, kann also nicht nur auf die wirtschaftliche Situation zurückgeführt werden. Es steckt mehr dahinter.

Eine weiterführende naheliegende Erklärung ist der demografische Wandel. Chinas Geburtenrate sinkt seit den sechziger Jahren. In den letzten Jahren starben mehr Chinesen, als geboren wurden. Seit 2022 schrumpft Chinas Bevölkerung. Lange glich die Verteilung der Altersgruppen in der Gesellschaft in China einer Pyramide, die Kinder und jungen Leute bildeten den breiten Sockel. Nun gleicht die Verteilung einem Bienenstock, die Menschen mittleren Alters dominieren. Es gibt also schlicht weniger Menschen im heiratsfähigen Alter.

Eine wichtige Rolle spielt auch der Wertewandel. Die Chinesen sind nach wie vor mehrheitlich konservativ: Die Familie steht an erster Stelle. Doch das verändert sich gerade. Mit steigendem Bildungs- und Wohlstandsniveau sind Frauen und Männer immer später bereit, sich zu binden. Manche sehen nicht ein, warum sie sich in das Hamsterrad einer Ehe und Familie begeben sollen, um sich für eine Hypothek und die Bildungs-und Betreuungskosten des Kinds zu «versklaven».

Die ältere Generation hat wenig Verständnis für diese Haltung. Arrangierte Ehen sind in China noch immer verbreitet. Oft organisieren Eltern Blind Dates für ihre Kinder im heiratsfähigen Alter mit den Söhnen oder Töchtern von Freunden und Bekannten. Manche gehen nur ihren Eltern zuliebe zu den Treffen, andere beugen sich dem familiären Druck und knicken ein. Das kann schieflaufen – und resultiert in steigenden Scheidungsraten.

Ein Leser aus der Provinz Shandong eines Artikels zum Thema auf der Nachrichten-Site Sina gesteht in einem Kommentar, er bereue es, geheiratet und Kinder bekommen zu haben. Seine physische wie seine psychische Gesundheit hätten in den letzten zwei Jahren darunter gelitten. Er würde es nicht noch einmal tun.

Chinas Regierung arbeitet mit Belohnung und Bestrafung

Heiraten und eine Familie zu gründen, soll wieder ein erstrebenswertes Lebensziel werden für junge Leute, fordert auch die Regierung. Sie will eine «Kultur des Heiratens und Kinderkriegens» fördern. Lokalregierungen veranstalten Treffen für Singles, bringen staatliche Verkupplungs-Apps auf den Markt und setzen Obergrenzen für den Brautpreis. Manche Lokalbeamte sollen laut Berichten gar telefonisch Druck auf Single-Frauen und ihre Familien ausüben, dass sich die ledigen Frauen verheiraten.

Doch junge Chinesinnen und Chinesen schätzen ihre weitgehenden persönlichen Freiheiten. Einem Staat, der sich in ihre privaten Angelegenheiten mischt, misstrauen sie. Staatliche Anreize zur Geburtenförderung können laut Studien eine geringfügige Wirkung entfalten, doch Demografen bezweifeln, dass sie den Trend nachhaltig beeinflussen können. Chinas Bevölkerungsschwund ist nicht mehr aufzuhalten.

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