Über die Entstehung eines Romans, der ein klein wenig zu spät vom Flop zum Welterfolg geworden ist.
Im August 1924 sass F. Scott Fitzgerald im französischen Saint-Raphaël und schrieb einen Brief an seinen Entdecker und Lektor Maxwell Perkins. Der Autor war gleichzeitig unglücklich – seine Frau Zelda hatte eine Affäre mit einem französischen Fliegeroffizier – und höchst zufrieden mit sich selbst. «Ich glaube», schrieb er an Perkins, «mein Roman wird der beste amerikanische Roman, der je geschrieben wurde.»
Das war keine Laune, kein einmaliger Übermut, der da sprach. Vielmehr war der Autor zutiefst von seinem Werk überzeugt. «Mein Roman ist wunderbar», schwärmte er in einem anderen Brief. Doch das Buch, das ihn ganz gross hätte machen sollen, verriet ihn. Es brachte Fitzgerald zu Lebzeiten weder die Anerkennung noch das Geld, das er sich davon versprochen hatte. 1939 sass er 43-jährig in West Hollywood und schrieb in sein Tagebuch: «Kein Geld, kein Ruhm, keine Arbeit.» Ein Jahr später starb er, depressiv und schwer alkoholabhängig, an einem Herzinfarkt.
Der grosse Traum
Zwischen 1920 und 1933 galt in den Vereinigten Staaten von Amerika der 18. Zusatzartikel der Verfassung, auch «das noble Experiment» genannt – die Prohibition. Mitten hinein in die offiziell verordnete und kaum eingehaltene Alkoholabstinenz kam am 10. April 1925 ein Buch wie ein Rausch.
«Der grosse Gatsby» ist eine Geschichte von vielen Träumen. Da ist der amerikanische Traum schlechthin, die Geschichte des Tellerwäschers, der zum Millionär wird. Ein junger Mann aus dem Mittleren Westen erreicht diesen Traum, indem er ganz besonders schmutzige Teller wäscht: Dank zwielichtigen Geschäften wird aus dem armen James Gatz der mysteriöse Multimillionär J. Gatsby.
Er feiert rauschende Feste für fremde Menschen, füllt sein grosses Haus mit Champagnerflaschen, Musik und schönen Menschen, die sich für nichts ausser den eigenen Alkoholpegel und folgenlosen Spass zu interessieren scheinen. Doch bald erfährt Gatsbys neuer Nachbar Nick Carraway – ein junger Mann mit viel Moral und wenig Geld –, dass der Millionär von nebenan eigentlich gar nicht vom Reichtum, sondern einzig von der Liebe träumt.
Mit den rauschenden Festen hofft er, die Frau zurückzulocken, die er einst verlor. Daisy lebt mit ihrem untreuen, steinreichen Ehemann am anderen Ufer der Bucht. Das Einzige, was Gatsby aus der Ferne von ihr sieht, ist das grüne Licht am Ende ihrer privaten Anlegestelle. Das Leuchten reicht, um Gatsbys Traum von der Liebe am Leben zu halten.
Übersetzungsmoden
Die Geschichte von Saus und Braus und verlorener Liebe wurde nie alt und wird nun doch schon hundertjährig. Zu diesem Anlass erschien eine grosse Jubiläumsausgabe mit der sehr gelungenen, weil selbstbewussten deutschen Übersetzung von Bernhard Robben. Es ist die neunte ihrer Art und ein gutes Beispiel dafür, dass auch Übersetzungen Moden unterworfen sind.
So interpretierte Robben Gatsbys tickhafte Anrede «old sport» nicht wie Bettina Abarbanell (2006) mit «alter Knabe» oder wie Walter Schürenberg (1953) mit «alter Junge», sondern einfach mit «Sportsfreund». Und auch der ikonische letzte Satz wird neu geschrieben.
«So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past», heisst es bei Fitzgerald. Maria Lazar, die das Buch 1928 als Erste ins Deutsche übersetzte, tat das so: «So legen wir uns in die Riemen, Boote gegen den Strom, und treiben doch stetig zurück, der Vergangenheit zu.» Hans-Christian Oeser schrieb 2012: «So kämpfen wir uns voran, Boote gegen die Strömung, unablässig zurückgetragen, der Vergangenheit zu.» Bei Robben endet die Geschichte mit: «So mühen wir uns weiter wie Boote gegen die Strömung, unaufhörlich zurückgetrieben, der Vergangenheit zu.»
In der regulären Ausgabe bringt es die Übersetzung auf 176 Seiten, die Jubiläumsausgabe umfasst deren 328. Sie kommt mit erklärenden Endnoten, Korrespondenzen von Fitzgerald, alten Rezensionen und einem schönen Nachwort von Claudius Seidl. Gerade weil «Der grosse Gatsby» von Rezensenten und Literaturwissenschaftern bereits unzählige Male seziert wurde, macht es Spass, es dank dem umfangreichen Anhang selbst in seinen Kontext einzubetten.
Die grosse Aufregung
«Natürlich werde ich keine Nacht mehr schlafen, ehe ich von Dir höre, aber sag mir die reine Wahrheit, Deinen allerersten Eindruck vom Buch + sag mir auch alles, was Dich daran stört», schreibt Fitzgerald im Oktober 1924 aus Saint-Raphaël in einem Brief, den er dem Manuskript für seinen Lektor Perkins beilegt.
Erst am 18. November wird Fitzgerald erlöst. Perkins schreibt aus New York: «Ich halte den Roman für ein Wunderwerk», schwärmt von der «aussergewöhnlichen Lebendigkeit», den «tiefgründigen Überlegungen» und attestiert dem Buch eine geradezu «mystische Atmosphäre».
Zwei Tage später meldet er sich mit kritischen Anmerkungen. Vor allem müsse Gatsby besser beschrieben werden, seine dubiosen Geschäfte früher angetönt, seine Herkunft und auch sein Äusseres klarer geschildert werden. Aber, schreibt Perkins: «Angesichts der umfassenden Brillanz des Buchs schäme ich mich richtig, diese Kritikpunkte zu äussern.»
Fitzgerald, mittlerweile von Frankreich nach Italien übergesiedelt, antwortet Anfang Dezember aus Rom, er fühle sich «einfach grossartig – wie eine Million Dollar», nachdem er die Einschätzung seines Lektors gelesen habe. In Briefen, die über den Atlantik hin- und hergehen, diskutiert man die Ausarbeitung der Figuren, Details der Geschichte, das Honorar und die Art, wie der neue Roman beworben werden soll.
Bitte keine «Blurbs»
Anfang dieses Jahres gab der New Yorker Verlag Simon & Schuster bekannt, künftig auf «Blurbs» – die kurzen Lobpreisungen bekannter Autoren auf den Buchumschlägen ihrer Kollegen – zu verzichten. Wenn es nach Fitzgerald gegangen wäre, gäbe es so etwas schon seit hundert Jahren nicht mehr.
«Und vergiss nicht», schrieb er im Januar 1925 zum wiederholten Mal an Perkins: «Keine Zitate auf dem Buchumschlag – nicht einmal über meine anderen Bücher.» Später bat er erneut darum, ja keine «Blurbs» zu verwenden. Und in der Werbung bitte auch keine «abgedroschenen Phrasen wie ‹Fraglos das Buch des Frühlings!› oder ‹Sollte auf jeder Sommerleseliste stehen›».
Was bereits Fitzgerald ein Greuel war, steht noch heute in jedem zweiten Verlagsprogramm. War sich der Autor bei der Werbestrategie darüber im Klaren, was er nicht wollte, sah die Sache beim Buchtitel anders aus.
Der «goldhütige Gatsby»
«Zwischen Aschehaufen und Millionären», «Goldhütiger Gatsby», «Trimalchio in West Egg», «Auf dem Weg nach West Egg», «Der hochspringende Liebhaber» oder «Der grosse Gatsby» stehen als Titel zur Auswahl. Im Januar 1925, als man sich bereits für «Der grosse Gatsby» entschieden hat, schreibt Fitzgerald an seinen Verleger: «Ich hätte das Buch ‹Trimalchio› nennen sollen.» Nur, um gleich anzufügen: «Gegen den allgemeinen Rat wäre das aber wohl bloss dumm und trotzig von mir gewesen.»
Die Sache mit dem Titel lässt ihn nicht los, und so trifft am 13. März ein Telegramm aus Capri in New York ein. Fitzgerald hatte nochmals eine ganz neue Idee: «Unter dem Rot, Weiss und Blau». Perkins schickt ein «Nein» über den Atlantik. Den Titel nun, einen Monat vor der geplanten Veröffentlichung, noch zu ändern, würde alles viel zu sehr verzögern.
Fitzgeralds Hin und Her zeigt einen Menschen, der so viel erreichen will, dass es ihm beinahe das Selbstvertrauen raubt. Was, wenn er sich für den falschen Titel entscheidet? Wenn das Buch sich darum schlecht verkauft?
Je näher der Publikationstermin kommt, umso unsicherer wird der Autor. Am Erscheinungstag selbst schreibt Fitzgerald aus dem Zug nach Paris an seinen Lektor: «Was, wenn der Verkaufserlös nicht einmal meine Schulden bei Dir deckt – allein dafür müssten über 20 000 Exemplare verkauft werden. Ehrlich gesagt habe ich jedes Selbstvertrauen verloren.» Fand er sein Manuskript noch grossartig, sieht er beim fertigen Roman nur noch Defizite.
Was, wenn Frauen, die doch den grössten Teil der Käuferschaft ausmachen, das Buch nicht mögen, «weil keine wichtige Frauenfigur vorkommt»? Was, wenn es bei den Kritikern durchfällt, «weil es von den Reichen handelt und nicht von nach Idaho verpflanzten Bauern»?
Am Ende waren Fitzgeralds Befürchtungen berechtigt: Zu seinen Lebzeiten verkaufte das Buch sich nur wenig mehr als die nötigen 20 000 Mal. Perkins fand eine Erklärung in der Kürze des Romans, in Mode waren dicke Bücher. Das Fehlen einer ernstzunehmenden Frau ist tatsächlich eine Schwäche des Romans, und sie ist der Einstellung seines Autors geschuldet.
Im Oktober 1925 antwortete Fitzgerald, nun wieder aus Paris, auf das Lob einer Autorin, es bedeute ihm viel, «weil Frauen, selbst intelligente Frauen, für das Buch im Allgemeinen nicht viel übrighaben. Sie mögen es nicht, wenn Frauen als emotional passiv dargestellt werden – allerdings denke ich, dass die meisten Frauen ebendies sind.» In Klammern fügt er seinem Brief noch an: «Sie sehen, ich bin ein Anhänger von Schopenhauer, nicht von Shaw.»
In «Über die Weiber» hatte der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer 1851 festgehalten, «das Weib» habe eine schwächere Vernunft als der Mann und obendrein einen beschränkten Horizont. George Bernard Shaw hingegen hatte Schopenhauer 1891 widersprochen und von der «geistig und emotional aktiven Frau» geschrieben.
Die Ernüchterung
Auf die Sorge folgte die Ernüchterung. Die «New York World» etwa empfahl den neuen Roman zwar allen, die sich für amerikanische Literatur interessierten, schrieb aber auch: «Der Romancier produziert keinen grossen Stil; er liefert in der Tat kaum mehr als ein Bündel hinreissender Aufzeichnungen für einen Roman über das Oberschichtendasein.»
Die «Chicago Daily News» dagegen schrieb restlos begeistert, es dürfe bezweifelt werden, «ob je eine reichere Satire auf unsere Zeit des Alkoholschmuggels, des Jazz und des verschwenderischen Lebens geschrieben werden wird». Denn: «‹Der grosse Gatsby› trägt die Herausforderungen der Moderne in sich.»
Die grosse Tragik
Die Honorarabrechnung vom August 1940, die letzte, die Fitzgerald vor seinem Tod im Dezember erhielt, war ernüchternd. In der ersten Jahreshälfte hatte er mit Buchverkäufen gerade einmal 13 Dollar verdient. Er starb in der Überzeugung, von der Welt vergessen worden zu sein.
Nur ein Jahr später aber begann die Wiederentdeckung seines Werks: Edmund Wilson veröffentlichte Fitzgeralds unvollendeten Roman «Der letzte Tycoon» zusammen mit «Der grosse Gatsby». Bereits ein Jahr später folgte die Neuauflage des Romans.
Als zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine Sonderausgabe für die amerikanische Armee gedruckt wurde, soll «Der grosse Gatsby» von mehr als einer Million Soldaten gelesen worden sein. Heute liegt die weltweite Gesamtauflage des Romans bei etwa 25 Millionen verkauften Exemplaren.
Am Ende spiegelte also die Realität Fitzgeralds Vorahnungen. Auf seine Angst, das Buch könnte sich schlecht verkaufen, folgte tatsächlich ein kommerzieller Flop. Erst später bewahrheitete sich auch seine selbstbewusste Überzeugung: «Der grosse Gatsby» ist vielleicht nicht der beste amerikanische Roman, der je geschrieben wurde – aber immerhin einer, der blieb.
F. Scott Fitzgerald: Der grosse Gatsby. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bernhard Robben. Herausgegeben und kommentiert von Horst Lauinger. Manesse-Verlag, München 2025. 328 S., Fr. 42.90.