Viele ethnische Türken auf der geteilten Insel Zypern sind Unionsbürger und können an den EU-Wahlen teilnehmen. Niyazi Kizilyürek ist der erste türkischzypriotische Abgeordnete im EU-Parlament. Er hat grosse Ziele.
Wie die gesamte Insel ist auch Zyperns Hauptstadt Nikosia in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden geteilt. An einem der Übergänge, in der neutralen Pufferzone zwischen den Grenzposten, befindet sich ein Begegnungszentrum mit Café. Die Speisen sind im «Home for Cooperation» auf Türkisch, Griechisch und Englisch angeschrieben. Bezahlen kann man mit Euro und türkischen Lira.
Eine kleine Revolution
Für ein Treffen mit Niyazi Kizilyürek ist das ein guter Ort. Der Politiker ist ein Grenzgänger zwischen den beiden Gemeinden. Er ist Türkischzypriote, lebt aber im griechischen Süden, wo er früher auch an der Universität unterrichtete. Beide Sprachen spricht er fliessend – nebst Englisch, Französisch und, seit der Promotion in Bremen, auch Deutsch.
Vor allem aber ist Kizilyürek der erste türkischzypriotische Abgeordnete im Europaparlament. Sechs Vertreter entsendet das kleine Zypern nach Brüssel. Nach dem EU-Beitritt 2004 waren es ausschliesslich Griechischzyprioten. Kizilyüreks Wahl vor fünf Jahren auf der Liste der Linkspartei Akel, die der linken Fraktion im Europaparlament angehört, kam deshalb einer kleinen Revolution gleich. Diesen Erfolg will er wiederholen.
«Die Türkischzyprioten brauchen eine Stimme in Europa», sagt er im Gespräch. «Unsere Gemeinschaft darf nicht nur ein Objekt der Zypernfrage sein, sondern muss diese mitgestalten. Dafür stehe ich ein.»
Türkischer Norden, griechischer Süden
Auf Zypern ist vieles kompliziert, auch die Frage der Staatsbürgerschaft und damit des Wahlrechts. Seit der türkischen Militärintervention vor 50 Jahren leben fast alle türkischsprachigen Bewohner der Insel im türkisch kontrollierten Norden und fast alle Griechen im Süden.
Durch die Unabhängigkeitserklärung von 1983 wurden die meisten Menschen im Norden zu Bürgern der sogenannten Türkischen Republik Nordzypern, eines Pseudostaats, der mit Ausnahme der Türkei von keinem anderen Land anerkannt wird.
Türkische Zyprioten, deren Familien bereits vor der türkischen Intervention auf der Insel lebten, haben aber grundsätzlich auch Anrecht auf die Staatsbürgerschaft der international anerkannten Republik Zypern. Schliesslich beansprucht die Regierung in Nikosia, alle Zyprioten zu vertreten. Folgerichtig ist neben Griechisch auch Türkisch offizielle Staatssprache der Republik Zypern.
Ungelöster Konflikt gefährdet lokale Identität
Die Reisefreiheit als EU-Bürger macht die Staatsangehörigkeit für Türkischzyprioten attraktiv. Weil sie im Norden der Insel leben, über den die Regierung keine Kontrolle hat, sind sie als Staatsbürger aber weitgehend unsichtbar. Die Identifikation mit dem griechisch geprägten Staat im Süden ist gering.
Kizilyürek gelang es bei den EU-Wahlen 2019 erstmals, Türkischzyprioten in grösserer Zahl an die Urnen zu bewegen – und ihm seine Stimme zu geben. Auch Menschen aus dem Süden unterstützten seine Kandidatur. Den Ausschlag gaben aber die Stimmen aus dem Norden.
Vielleicht trug auch das Scheitern der Verhandlungen von Crans-Montana dazu bei. 2017 waren die Gespräche in den Walliser Bergen über eine Wiedervereinigung der geteilten Insel geplatzt. Der Frust danach war gross, vor allem in Norden, wo eine Mehrheit den ausgearbeiteten Fahrplan unterstützt hatte.
Der nordzypriotische Pseudostaat gilt zu Recht als verlängerter Arm Ankaras. Viele seine Bewohner betonen aber mit Stolz ihre eigene zypriotische Identität, in bewusster Abgrenzung zur Türkei. Deutlich wird das etwa bei der Religion. Während der Islam auf dem Festland unter Recep Tayyip Erdogan prominent ins öffentliche Leben zurückgekehrt ist, spielt er auf der Insel keine grosse Rolle. Je länger der Konflikt ungelöst bleibe, so die Sorge, desto stärker werde allerdings der Einfluss Ankaras, kulturell und politisch.
EU-Rechte für Türkischzyprioten
Direkte Beziehungen zwischen der türkischzypriotischen Gemeinde und der EU minderten diesen Assimilierungsdruck, sagt Kizilyürek. «Das ist im Interesse aller – mit Ausnahme der Nationalisten auf beiden Seiten.» Deshalb setze er sich dafür ein, dass die Türkischzyprioten ihre Rechte als EU-Bürger wahrnehmen könnten. Ein Beispiel sei die Teilnahme von Studenten aus dem Norden am Erasmus-Programm.
Auch die Sprache gehört laut Kizilyürek dazu. Als offizielle Landessprache Zyperns könnte Türkisch als EU-Sprache anerkannt werden. Bisher habe sich aber keine Regierung in Nikosia dazu durchgerungen, dies in Brüssel zu beantragen. «Im EU-Parlament halte ich in allen möglichen Sprachen meine Reden. Nur in meiner Muttersprache kann ich es nicht tun.»