Im Prozess um das Tötungsdelikt plädieren beide Verteidiger auf Freisprüche in den Hauptvorwürfen.
Ein 22-jähriger Schweizer und ein 22-jähriger Serbe waren am 1. Oktober 2022 an einem Drogendeal von vier jungen Männern in Oetwil am See beteiligt, der schieflief: der Schweizer zusammen mit einem heute 26-jährigen Landsmann als Verkäufer, der Serbe als vermeintlicher Käufer von 450 Gramm Marihuana. Nach dem Treffen blieb ein 17-jähriger Portugiese, der den Serben begleitet hatte, tot vor dem Haus liegen, die drei anderen waren schwer verletzt.
Am zweiten Prozesstag am Dienstag kommen am Bezirksgericht Meilen die Verteidiger beider 22-Jähriger zu Wort. Der Staatsanwalt hatte am Tag zuvor für den Schweizer 10 Jahre Freiheitsstrafe und für den Serben 4 Jahre Freiheitsstrafe und 10 Jahre Landesverweis gefordert. Nähme man die Versionen beider Verteidiger für bare Münze, müsste man zu dem Schluss kommen, dass die Beschuldigten an zwei verschiedenen Vorfällen beteiligt waren.
Der Anwalt des Schweizers erklärt, es gebe in diesem Fall klar zwei Täter, und das seien der Serbe und der verstorbene 17-jährige Portugiese. Diese beiden hätten den Entschluss gefasst, die beiden anderen auszurauben. Dafür habe der Serbe eine Schreckschusspistole, der Portugiese ein Klappmesser mitgenommen. Der Tod des Portugiesen, so tragisch er auch sei, sei Folge ihres eigenen Entschlusses.
Der Serbe gebe den Plan, das Marihuana zu rauben, ja zu. Er sei Täter, nicht Opfer. Das zeige auch ein zweiter Raub von ihm in der Anklage, bei dem im Mai 2021 beim Bahnhof Enge zwei Jugendliche mit einem Messer bedroht und um Geld erleichtert worden waren.
Vor der Tat «auf Kumpel gemacht»
Der Verteidiger präsentiert dem Gericht eine Version, in welcher der Schweizer, welcher der vorsätzlichen Tötung und der versuchten Tötung angeklagt ist, nie aktiv mit dem Jagdmesser zugestochen hat. Hingegen sei das Verhalten des Serben und des Portugiesen an Dreistigkeit nicht zu überbieten: Die Räuber hätten zunächst in seiner Wohnung «noch auf Kumpel gemacht» und mit den Verkäufern an einer Playstation «Fifa» gespielt.
Während alle in der Küche gewesen seien, um einen Joint zu probieren, hätten sie sich noch über Whatsapp gegenseitig bestärkt: «Ziemer dure», «machemer». Der Portugiese habe geschrieben: «Machete ist da oben an der Wand.» Dann sei er aus der Küche angeblich aufs WC gegangen, um diese «Machete», bei der es sich um ein Jagdmesser mit 27 Zentimeter Klingenlänge handelte, zu holen. Dann habe der Serbe die Schreckschusspistole gezogen und gesagt: «Gebt mir das Zeug!» Der Portugiese habe nicht sein Klappmesser, sondern das Jagdmesser gezückt.
Der 26-jährige Schweizer habe versucht, die Schusswaffe abzuwehren. Der Portugiese habe ihm daraufhin einen lebensgefährlichen Stich in die Hüfte versetzt. Da habe der 22-jährige Schweizer mit dem Portugiesen um das Jagdmesser gerangelt. Er habe es aber nicht unter Kontrolle gebracht. Er ist Linkshänder, und sein linker Arm war damals eingegipst. Er habe deshalb mit dem Messer auch nie gezielt gestochen. Sämtliche Verletzungen der Beteiligten seien bei diesem Gerangel entstanden.
Der 22-Jährige habe in Notwehr gehandelt, einen lebensgefährlichen Angriff abgewehrt. Seine Aufregung und seine Panik seien immens gewesen.
Im Hauptantrag verlangt der Verteidiger Freisprüche von den Vorwürfen der Tötung, der versuchten Tötung und des Raufhandels und eine Verurteilung nur wegen versuchten Handels mit Betäubungsmitteln zu einer bedingten Geldstrafe. Es sei keine Massnahme anzuordnen, und sein Klient sei sofort aus der Haft zu entlassen.
Schusswaffe angeblich aus Notwehr gezogen
«Wer hat wen angegriffen? Wer ist Täter, wer ist Opfer?», fragt der Verteidiger des Serben und hat eine völlig andere Geschichte auf Lager: Er erzählt, sein Mandant habe die Schusswaffe aus Notwehr gezogen, um einer Einschliessung zu entgehen. Er habe den Deal abbrechen wollen und sei in die Enge getrieben worden. Der 26-Jährige Schweizer habe ultimativ die Bezahlung verlangt und ihnen gedroht, dass sie sonst nicht mehr rauskämen.
Ein Gegenanwalt verortet diese Version später «im Bereich von Grimms Märchen».
Der Serbe habe ausgesagt, dass die beiden Schweizer nur gelacht hätten, als sie die Pistole gesehen hätten. Der Serbe und der Portugiese seien hierauf von den beiden anderen angegriffen worden. Die Verletzungen des Schweizers würden nicht von einem Gerangel um das Messer stammen, sondern davon, dass er durch die Glasküchentüre gestossen worden sei.
Auch der Verteidiger des Serben verlangt im Hauptantrag einen Freispruch sowie eine Genugtuung von 85 000 Franken vom Schweizer und 102 400 Franken Genugtuung für Überhaft. Auch der Serbe sei sofort aus der Haft zu entlassen.
Die Mutter des getöteten Portugiesen meldet sich im Gerichtssaal als Privatklägerin auch noch ausführlich zu Wort. Sie behauptet unter anderem, ihr Sohn habe das Haus unbewaffnet verlassen. Auch das Klappmesser gehöre gar nicht ihm und sei ihm «untergeschoben» worden.
Der Schweizer verzichtet auf ein Schlusswort. Der Serbe entschuldigt sich bei der Familie des toten Portugiesen und seiner eigenen Familie. Die mündliche Urteilseröffnung soll am 19. März stattfinden.