Der Afghane macht sich mit seinem Motivationsschreiben verdächtig.
Ein 30-jähriger Mann aus Afghanistan will zu seinem 45-jährigen Bruder in Schweiz ziehen, um zu studieren. Der Bruder wohnt in Zürich allein in einer 4-Zimmer-Wohnung, seit er sich 2023 von der Ehefrau hat scheiden lassen. Er ist Schweizer, hat einen Job in der IT-Branche und soll die Studien- und Lebenskosten für den 30-jährigen Afghanen bezahlen.
Dieser ist einer von vielen Ausländern, die in der Schweiz studieren wollen. Laut dem Bundesamt für Statistik war ein Drittel der Studierenden an den Universitären Hochschulen 2023/2024 ausländischer Herkunft.
Der Anteil hat seit 2011 um 7 Prozentpunkte zugenommen, und er steigt, je höher die Studienstufe ist: Im Bachelor waren es zuletzt 15 Prozent, im Master 31 Prozent und in den Doktoratsprogrammen mit 56 Prozent sogar die Mehrheit.
Der Afghane, der in der Schweiz einen Master machen möchte, wird keiner von ihnen werden. Am 16. Juli 2024, es ist ein Dienstag, bekommt er Bescheid: Antrag abgelehnt. Er darf nicht in der Schweiz ein Masterstudium absolvieren.
Der Grund: Das Migrationsamt zweifelt daran, dass der Mann nach dem Studium die Schweiz verlässt und in die Heimat zurückkehrt. Es gebe einige Hinweise darauf, dass die Ausbildungspläne in der Schweiz lediglich vorgeschoben seien, heisst es in dem Schreiben.
Arbeitslos, ledig, keine Kinder
Seit Februar 2023 ist der Afghane in seiner Heimat arbeitslos. Wieso er seine Arbeit nach zwei Jahren verloren habe, sei unklar. Zudem sei er ledig, habe keine Kinder und nicht wirklich einen Grund, nach dem Studium nach Afghanistan zurückzureisen. Die Aussage, er wolle nach dem Studium zu der Mutter und der Schwester nach Afghanistan zurückziehen, weil viele Afghanen, auch wenn sie volljährig seien, noch mit ihren Familien lebten, empfanden die Behörden als unglaubwürdig.
Das Migrationsamt ist überzeugt, dass der Mann andere Pläne hat: in der Schweiz bleiben und hier unter Mithilfe des Bruders einen Job finden. Der Bruder verfügt über ein gutes Netzwerk in der IT-Branche – und damit genau in jenem Bereich, in dem der Afghane ein Masterstudium absolvieren will.
Der Afghane ist enttäuscht über den Entscheid und fühlt sich ungerecht behandelt. Er zieht das Urteil weiter ans Zürcher Verwaltungsgericht. Er wirft dem Migrationsamt vor, gegen ihn entschieden zu haben, weil er schon 30 Jahre alt sei. Das sei diskriminierend, sagt er. Und er betont, in Afghanistan gebe es kein gleichwertiges Masterstudium.
Dann fügt er etwas an, was nun das Verwaltungsgericht zu seinen Ungunsten gewertet haben dürfte: Es bestehe in der Schweiz rechtlich keine Pflicht, das Land nach Abschluss des Studiums zu verlassen – im Gegensatz zu früher, als die Wiederausreise habe gesichert sein müssen.
Das stimme zwar, urteilt das Verwaltungsgericht. Doch: «Der Aufenthalt zur Aus- und Weiterbildung stellt dennoch einen vorübergehenden Aufenthalt dar, weshalb die betroffene Person den Willen haben muss, die Schweiz nach Erfüllung des Aufenthaltszwecks respektive nach Abschluss des Studiums wieder zu verlassen», heisst es in dem Urteil. Wie die Vorinstanzen kommt das Verwaltungsgericht zu dem Schluss: Der Afghane darf nicht in der Schweiz studieren.
Die hiesigen Bildungseinrichtungen seien überlastet und die Ausbildungsaufenthalte deshalb grundsätzlich restriktiv zu bewilligen, heisst es in dem Urteil. Zumal die Hochschulen in massgeblicher Weise aus öffentlichen Mitteln mitfinanziert würden.
Das Verwaltungsgericht schreibt weiter: Der Afghane bringe zwar die schulischen Voraussetzungen für das Studium mit, aber der bisherige Werdegang deute darauf hin, dass es ihm vorwiegend um einen anschliessenden Stellenerwerb in der Schweiz gehe.
«Überall auf der Welt etwas bewirken»
Er habe in seinem Motivationsschreiben selbst geschrieben: Er möchte «durch die Nutzung digitaler Technologien und die Umsetzung nachhaltiger Praktiken in seinem Heimatland oder – angesichts des globalen Charakters des Programms – überall auf der Welt etwas bewirken und Innovationen vorantreiben.»
Überall auf der Welt, das kann auch in der Schweiz sein. Da er derzeit arbeitslos sei und unklar sei, wie er gegenwärtig seinen Lebensunterhalt bestreite, liege es nahe, dass er in der Schweiz Arbeit suche. Fazit: Beschwerde abgewiesen.
Urteil VB.2024.00580 vom 15. 1. 25, nicht rechtskräftig.