Obwohl er vor der Vorinstanz ein abgekürztes Verfahren akzeptierte, geht ein 43-jähriger Pole dagegen vor Obergericht in Berufung. Er sei von seiner Verteidigung erpresst worden, behauptet er.

Es ist bereits der dritte Verteidiger, der sich für den Beschuldigten einsetzt. Seine erste Anwältin hat ihr Mandat freiwillig niedergelegt. Den zweiten, erbetenen Verteidiger soll der 43-jährige Pole nach dem erstinstanzlichen Prozess mit dem Tod bedroht und ihm erklärt haben, er werde ihn und seine Familie «abschlachten». Deshalb ist er wegen Nötigung erneut verhaftet worden und sitzt derzeit in Untersuchungshaft. In den Obergerichtssaal wird er von Polizisten geführt.

Rückblende: Am Nachmittag des 23. März 2023 nahm der Pole über ein Dutzend Haushaltsschwämme, tränkte sie mit Benzin und füllte einen Plastiksack damit. Er fotografierte den offenen Sack und dessen Inhalt von oben mit seinem eigenen Mobiltelefon. Dann begab er sich zum Geschäftshaus einer Firma in Opfikon, die sich auf den Verkauf von Luxusautos spezialisiert hat. Zielstrebig deponierte er die Schwämme unter dem linken Vorderrad von zwölf Autos und zündete sie an.

Es handelte sich um sieben Bentleys, einen McLaren 720 Spider, einen Audi RS8 Quattro, einen Rolls-Royce Ghost, einen Porsche Taycan und einen Ferrari. Die meisten Schwämme brannten aus, ohne viel Schaden anzurichten. Nur die Pneus und Felgen wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Beim Supersportwagen Ferrari Roma griffen die Flammen aber auf den Kotflügel über, der aus nicht feuerfestem Kunststoffmaterial bestand, und von da auf den Motorraum. Das Auto brannte total aus. Gemäss Anklage entstand ein Schaden von 250 000 Franken. Die Schäden an den anderen Autos sollen sich auf weitere 50 000 Franken belaufen haben.

In der Untersuchung hatte der Pole zunächst erklärt, der polnische Geheimdienst habe einen Doppelgänger von ihm geschickt. Aufgrund seiner DNA und des Fotos des Papiersacks auf seinem Handy, das nur acht Minuten vor der Tatausführung aufgenommen worden war, konnte er aber überführt werden.

Eine «ausgeprägte wahnhafte Störung»

Das psychiatrische Gerichtsgutachten attestierte dem mehrfach vorbestraften Beschuldigten, dem auch noch andere Delikte vorgeworfen wurden, er habe während der Tat an einer «ausgeprägten wahnhaften Störung» gelitten. Der Gutachter empfahl eigentlich eine stationäre Massnahme. Dem damaligen Verteidiger des Polen gelang es aber, einen Deal auszuhandeln: Falls er eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 13 Monaten und 10 Jahre Landesverweis akzeptiere, werde auf die stationäre Massnahme verzichtet.

Vor Bezirksgericht Bülach erklärte der Beschuldigte im Januar explizit, er sei mit dem Urteilsvorschlag einverstanden und wolle zurück nach Polen. Nur einen Tag nach dem Urteil erhob er allerdings Berufung dagegen, was bei abgekürzten Verfahren nur beschränkt möglich ist. Dann nämlich, wenn ein Beschuldigter geltend macht, er habe der Anklageschrift nicht zugestimmt oder das Urteil entspreche nicht der Anklageschrift. Dass es in einem abgekürzten Verfahren zu einer Berufungsverhandlung kommt, ist deshalb extrem selten.

Im Obergerichtssaal erklärt der Pole, er sei von seiner Verteidigung unter Druck gesetzt worden: Entweder er stimme dem Urteilsvorschlag zu, oder er werde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, wo er mindestens fünf Jahre bleiben müsse. Er sei aber psychisch vollkommen gesund, betont und wiederholt er mehrfach. Er habe nur zugestimmt aus Angst, in einer psychiatrischen Klinik zu landen.

Zudem seien die angeblichen Autoschäden in der Anklage mit 300 000 Franken viel zu hoch und manipuliert. Gemäss einem Dokument der Versicherungsgesellschaft der Autogarage, die der Staatsanwalt am Obergericht einreicht, wurden der Garage 140 000 Franken Versicherungsleistungen ausbezahlt.

Wechselnde Positionen des Beschuldigten

Der Verteidiger plädiert auf die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und eine Neubeurteilung des Falls im ordentlichen Verfahren.

Zudem sei sein Mandant sofort auf freien Fuss zu setzen und für Überhaft zu entschädigen. Obwohl der Gerichtsvorsitzende den Verteidiger darüber aufklärt, dass das Gericht für das neue Verfahren wegen Nötigung nicht zuständig sei und nicht auf diesen Antrag eintreten könne, hält der Verteidiger eisern an seinem Antrag fest.

Sein Mandant habe die Zustimmung zum abgekürzten Verfahren nur unter Zwang und Druck unterschrieben.

Der Staatsanwalt plädiert auf eine Abweisung der Berufung. Der Beschuldigte habe dem abgekürzten Verfahren freiwillig und in Kenntnis aller Konsequenzen zugestimmt. Er habe schon während der Untersuchung seine Positionen ständig gewechselt. Der Beschuldigte wolle nicht nur den Fünfer und das Weggli, sondern «gleich die ganze Bäckerei».

Es sei nie unverhältnismässiger Druck ausgeübt worden. Der Pole habe genau gewusst, wenn er den Landesverweis akzeptiere, verzichte die Anklage auf eine Massnahme. Damit hätte der Mann in Polen «weiterschauen» können, und der Schweizer Steuerzahler wäre entlastet worden. Das Verfahren sei korrekt abgelaufen.

Zu diesem Schluss kommt auch das Obergericht und bestätigt das vorinstanzliche Urteil voll und ganz. Der vorsitzende Richter begründet, der Beschuldigte hätte einen qualifizierten Willensmangel nachweisen müssen, wonach er erpresst und unter Druck gesetzt worden sei. Dies sei ihm nicht gelungen.

Für das Gericht sei zwar klar, dass er sich in einer schwierigen Situation befunden habe. Er habe sich zwischen zwei unliebsamen Möglichkeiten entscheiden müssen. Er habe sich dabei aber freiwillig richtig entschieden und sei letztlich viel glimpflicher weggekommen.

Wie die Vorinstanz verurteilt das Obergericht den 43-jährigen Polen wegen versuchter Brandstiftung, mehrfacher teilweiser qualifizierter Sachbeschädigung und weiterer Delikte zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 13 Monaten; 6 Monate vollziehbar, 7 Monate bei einer Probezeit von 4 Jahren aufgeschoben. Zwei bedingt aufgeschobene Vorstrafen werden vollzogen.

Auf eine stationäre Massnahme wird verzichtet. Der Beschuldigte wird für 10 Jahre des Landes verwiesen. Zudem hält das Gericht fest, dass der Beschuldigte die Schadenersatzforderungen nur im Grundsatz anerkannt hat und nicht in der Höhe von angeblich 300 000 Franken.

Auch nach dem Urteil bleibt das Motiv des zur Tatzeit betrunkenen Beschuldigten im Dunkeln. In der Anklage stand, er habe sich «aufgrund einer wahnhaften Störung» von Geheimdiensten und der Mafia bedrängt gefühlt und habe die Schweiz und ihre Bürgerinnen und Bürger für seine finanzielle Misere verantwortlich gemacht. Deshalb habe er sich dazu entschlossen, an der auf den Verkauf von Luxusfahrzeugen spezialisierten Firma «ein Exempel zu statuieren».

Urteil SA240002 vom 22. 5. 2024, nicht rechtskräftig.

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