Der Beschuldigte wird auf einer Transportliege in den Zürcher Gerichtssaal gerollt und nimmt liegend am Prozess gegen ihn teil.

Ein Tessiner wird beschuldigt, im Februar 2021 seine damalige Lebenspartnerin in der gemeinsamen Wohnung in Zürich 6 zweimal auf Italienisch mit dem Tod bedroht zu haben. Laut der Anklageschrift war der Auslöser ein Streit um eine Pflanze. Der Beschuldigte soll seiner Partnerin gesagt haben, sie sei eine tote Frau, wenn die Pflanze sterbe. Ursprünglich ging es in dem Strafverfahren um diese Drohung im häuslichen Bereich. Diese ist auch angeklagt, doch es kam zu weiteren Delikten, die nun vor dem Bezirksgericht Zürich ebenfalls Thema sind.

Die Frau sei in Angst und Schrecken versetzt worden, denn der Beschuldigte habe ihr früher erzählt, er habe ein Sturmgewehr, sei in der Lage, ein Haus in die Luft zu sprengen, und habe mehrfach Leute geschlagen.

Der Fall tauchte schon seit Monaten immer wieder mit einem neuen Termin auf der Liste der Strafprozesse des Bezirksgerichts Zürich auf: Mindestens dreimal wurde er kurzfristig abgesagt. Die Gründe waren ein Verteidigerwechsel und gesundheitliche Probleme des Beschuldigten. Nun geht das Bezirksgericht auf Nummer sicher:

Der 63-jährige beschuldigte Informatiker, der derzeit im Bezirksgefängnis Winterthur in Sicherheitshaft sitzt, wird auf einer Transportliege von zwei Mitarbeiterinnen einer Ambulanz in den Gerichtssaal gerollt, begleitet von zwei Polizisten.

Es gehe ihm «sehr schlecht», beantwortet der Beschuldigte die entsprechende Frage der vorsitzenden Richterin. Er wolle auf der Liege bleiben. Er könne nicht Sitzen. Er nehme auch keine Medikamente gegen Schmerzen, wegen der Nebenwirkungen. Somit nimmt der 63-Jährige liegend an der Verhandlung teil. Unter welchen Rücken-Gebrechen er genau leidet, bleibt unerwähnt und unklar.

Der Beschuldigte wollte seine Strafakten einpacken

Im Mai 2022 hatte der Mann wegen der Drohung gegen die Partnerin einen Termin bei der Staatsanwaltschaft an der Stauffacherstrasse zur Akteneinsicht. Dort verstaute er einfach seine Strafakten in einer Aktentasche, obwohl ihn die zuständige Staatsanwältin mehrfach aufforderte, dies sein zu lassen.

Laut Anklage stiess er die Staatsanwältin daraufhin zu Boden und traktierte sie während etwa 20 Sekunden mit heftigen Faustschlägen ins Gesicht. Sein Opfer lag auf dem Rücken, schrie und flehte ihn an, aufzuhören. Die Frau erlitt Schwellungen und Blutergüsse im Gesicht sowie Schürfungen am Oberbauch und Unterarm.

Aufgrund der Schreie eilte eine Polizistin ins Büro. Der Beschuldigte stiess auch diese zu Boden – immer gemäss Anklage – und schlug sie mehrfach mit den Fäusten aufs Gesicht und auf den Oberkörper. Dann wollte er das Gebäude verlassen, die Polizistin lief ihm hinterher und setzte ihren Pfefferspray ein. Der Informatiker drehte sich um, versuchte die Polizistin weiter zu schlagen und verliess das Gebäude durch einen Notausgang.

Auf dem Trottoir versuchten drei weitere alarmierte Polizisten, den Mann zu stoppen. Dabei griff der Informatiker nach einer entsicherten, schussbereiten Dienstwaffe eines der Beamten und umklammerte deren Griff. Der Polizist konnte ein vollständiges Herausziehen der Waffe verhindern. Nur mit grosser Anstrengung aller Beamten wurde der Mann zu Boden geführt und arretiert.

Im Januar 2024 wurde der Beschuldigte dann auch noch gewalttätig gegen einen Aufseher im Gefängnis in Dietikon, wie aus einer Nachtragsanklage hervorgeht. Er soll zweimal mit einer Krücke aus Aluminium heftig mit voller Wucht gegen den Kopf des Aufsehers geschlagen haben. Dieser konnte die Schläge aber mit seinem Arm abwehren und erlitt Prellungen an der Hand und am Handgelenk.

Prozess wird aus Rücksicht zerstückelt

Im Prozess vor Bezirksgericht Zürich verweigert der 63-jährige Informatiker jegliche Aussage zur Sache. Aufgrund der Befragung wird auch klar, dass er seine Mitwirkung an einem psychiatrischen Gutachten verweigerte. Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass eine psychische Störung naheliegend sei, ohne die Mitwirkung des Beschuldigten und den Beizug früherer Krankenakten, für die kein Einverständnis vorliege, könne er aber keine zuverlässige Diagnose stellen.

Der Staatsanwalt beantragt in seinen beiden Anklageschriften eine vollziehbare Freiheitsstrafe von 39 Monaten und eine vollziehbare Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 30 Franken (also 900 Franken). Die Straftatbestände: versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Gefährdung des Lebens, einfache Körperverletzung, mehrfache Drohung, Hinderung einer Amtshandlung.

Zudem beantragt er eine stationäre Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB zur Behandlung von psychischen Störungen sowie die Anordnung von Kontakt- und Rayonverboten in Bezug auf die Opfer.

Plädiert wird am Gericht an diesem Prozesstag dann allerdings nicht. Der Verteidiger stellt noch mehrere Beweisanträge. Die Auswertung von DNA-Spuren am Griffstück der Polizeiwaffe werden vom Gericht genehmigt. Der Staatsanwalt erachtete die Auswertung in der Untersuchung als unnötig, da selbst der frühere Verteidiger des Beschuldigten den Griff zum Handgriff bestätigt hatte.

Der Prozess wird noch vor den Plädoyers abgebrochen, da dem Beschuldigten eine lange Verhandlung wegen seines Zustands nicht zumutbar sei. Ursprünglich wollte das Gericht das Verfahren schriftlich weiterführen. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts müsse aber weiter mündlich verhandelt werden, erklärt die Gerichtsvorsitzende.

Der Beschuldigte spricht sich dagegen aus, sich von der weiteren Verhandlung dispensieren zu lassen. Er wolle hören, was die Parteien zu sagen haben.

Weil die Fortsetzung der Verhandlung an einem Stück für den Beschuldigten zu lange dauern würde, will das Gericht gleich zwei neue Termine an zwei verschiedenen Tagen festlegen. Die Parteien werden dazu irgendwann wieder vorgeladen.

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