Dienstag, Oktober 8

Wie in Deutschland treten auch in der Schweiz mancherorts mehr Fälle von Infektionen der Kopfhaut auf. Nun werden schärfere Kontrollen gefordert, um Infektionsherde zu entdecken.

Jean Luc Mösch ist ein Genussmensch. Ab und zu gönnt er sich einen Besuch beim Barbier. «Das ist herrlich entspannend und tut auch der Seele gut», schwärmt der 58-jährige Geschäftsführer einer Lichtplanungsfirma aus Cham (ZG). Doch seit einiger Zeit schaut er genauer hin, in welche Coiffeursalons er geht. Die Berichte in den Medien und in medizinischen Fachzeitschriften über die rasche Verbreitung eines aggressiven Hautpilzes haben ihn aufgeschreckt. Denn der hochansteckende Pilz namens Trichophyton könne durch kontaminierte Haar- und Bartschneidegeräte übertragen werden.

Möschs Befürchtung scheint nicht unbegründet. Der Hautarzt Andreas Arnold, der die Dermatologische Gesellschaft Basel präsidiert, stellt ebenfalls eine deutliche Zunahme von Infektionen mit Fadenpilzen fest. Und auch Böschs Vorsicht bei der Wahl des Coiffeurs hält Arnold für berechtigt: Werden Messer, Scheren oder andere Geräte nicht nach jedem Gebrauch sauber gereinigt, könne sich der Pilz übertragen. Das sei nicht harmlos, erklärt Arnold: Betroffene müssten während Wochen medikamentös behandelt werden.

Kinder müssen Medikamente schlucken

Unterlasse man die Behandlung, kann die Infektion laut Arnold im Extremfall sogar zu Haarverlust führen. Der aggressive Fadenpilz verursacht schuppige, gerötete, zum Teil auch eitrige Infektionen der Haut. Gelangt der Pilz über kleine Schnitte, etwa beim Rasieren oder Haareschneiden, unter die Haut, sind auch Pusteln und Vernarbungen möglich.

Richtig sauer wird Arnold, wenn Kinder wochenlang Tabletten einnehmen müssen, nur weil Angestellte in Barber-Shops ihre Geräte nicht sauber halten. Auch solche Fälle habe er in seiner Praxis schon erlebt: «Das ist schlicht nicht akzeptabel», ärgert er sich. Über genaue Zahlen zu den Infektionen verfügt Arnold allerdings nicht: Weil es keine Meldepflicht gebe, könne nur auf die Beobachtung einzelner Ärzte abgestellt werden.

Tatsächlich ist das Bild in der Schweiz uneinheitlich: In Arnolds Nachbarkanton Basel-Landschaft hat der Kantonsarzt schon vor einem Jahr auf eine Häufung der Fadenpilzinfektionen aufmerksam gemacht. In Zürich ist das Phänomen zwar wohlbekannt, doch eine auffällige Häufung sei nicht feststellbar, erklärt Severin Läuchli, Chefarzt des Instituts für Dermatologie und Venerologie am Stadtspital Zürich. Und Thomas Gutersohn, Präsident der Dermatologischen Vereinigung Aargau, berichtet kurz und bündig: «Hier im wilden Westen des Aargaus ist das kein Thema. Wir halten die Barber-Shops sauber.»

Doch woher wissen die Ärzte überhaupt, dass die Infektionen vor allem in Barber-Shops übertragen werden? Es gibt dafür vor allem zwei Indizien: Erstens zeige sich dies im Gespräch mit den Patienten, sagt Arnold. Zweitens sind von der Pilzinfektion fast ausschliesslich Männer mit bestimmten Kurzhaarfrisuren wie dem High Fade oder dem Undercut betroffen, die für Barber-Shops typisch sind. Einen Zusammenhang zwischen der Hauterkrankung und einem vorgängigen Besuch in einem Barber-Shop zeigte auch eine 2020 in Deutschland erschienene Studie.

Mösch, der im Zuger Kantonsrat sitzt, will verhindern, dass sich der aggressive Pilz in der Schweiz ausbreiten kann. Der Mitte-Politiker hat deshalb einen Vorstoss eingereicht. Darin fragt er, ob die kantonale Gesundheitsdirektion bereits Massnahmen ergriffen habe, um die Bevölkerung wirksam vor dieser Gefahr zu schützen.

Ausserdem will er wissen, ob bereits Hygienekontrollen in Barber-Shops und Coiffeursalons durchgeführt wurden. «Alle Gewerbebetriebe müssen sich an gewisse Auflagen halten, und diese werden auch kontrolliert. Das muss auch für Barber-Shops gelten», sagt Mösch, der Präsident des Gewerbes Cham ist.

Barber-Shops erfreuen sich seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit. Sie erfüllen die nostalgische Sehnsucht nach alten Pflegeritualen für den Mann. Sie sind oft nicht nur auf modische Frisuren spezialisiert, sondern kultivieren auch eine entspannte Atmosphäre. Und nicht selten bieten sie ihre Dienstleistungen äusserst günstig an. In den letzten Jahren sind Barber-Shops deshalb auch in Verruf geraten. Zum Beispiel wegen Schwarzarbeit oder wegen der Nichteinhaltung der GAV-Mindestlöhne.

Der Branchenverband Coiffuresuisse nahm auf Anfrage der NZZ nur indirekt Stellung zu den Pilzinfektionen: Betriebliche Hygiene sei von allergrösstem Wert, um die Kundschaft wie auch die Angestellten selbst vor Krankheitserregern zu schützen. Viele der in den letzten Jahren entstandenen Barber-Shops sind allerdings nicht Mitglied des Branchenverbandes.

Schärfere Kontrollen in Berlin

In Deutschland ist die rasche Zunahme von Haut- und Kopfhautinfektionen seit längerem ein Thema. Ähnlich wie in der Schweiz ist das Problem nicht flächendeckend, sondern tritt in bestimmten Regionen gehäuft auf. Einer der Hotspots ist der Berliner Bezirk Neukölln, in dem Barber-Shops sehr stark verbreitet sind.

Anfang August ordnete das zuständige Amt die regelhafte Überprüfung von Barber-Shops und Friseuren in dem multikulturell geprägten Stadtteil an. Den grössten Einfluss hätten aber die Kundinnen und Kunden selbst. «Wenn Sie den Eindruck mangelnder Hygiene haben, dann gehen Sie im Zweifel lieber zu einem anderen Anbieter», lässt sich Bezirksstadtrat Hannes Rehfeld in einer Medienmitteilung zitieren.

In Baden-Württemberg hat ein Dermatologe die Zahlen der Betroffenen in einer Karte erfasst. Die Hotspots liegen südwestlich von Stuttgart, in Sindelfingen und Böblingen. In den Gebieten direkt nördlich der Schweizer Grenze sind bisher vergleichsweise wenig Fälle aufgetreten.

Mit dem Vorstoss von Jean Luc Mösch ist das Thema zumindest im Kanton Zug auf der politischen Agenda. Es wird sich zeigen, ob Massnahmen nötig sind, um die Ausbreitung des Hautpilzes zu bremsen – oder ob Mösch bald wieder gelassener zum Coiffeur gehen kann.

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