Freitag, Dezember 27

Das Bedürfnis, weniger oder gar keinen Alkohol zu trinken, ist salonfähig geworden. Die alkoholfreien «Bubblys» der französischen Marke French Bloom kommen edel daher. So edel, dass jetzt sogar der Luxuskonzern LVMH eingestiegen ist.

In einem Punkt lag «Emily in Paris» ausnahmsweise richtig. In der überdrehten Netflix-Serie versucht die amerikanische Marketing-Leuchte die Champagner-Kunden ihrer Agentur für eine alkoholfreie Variante zu begeistern. Die «Sober Curious»-Bewegung verspreche schliesslich enormes Wachstum, argumentiert Emily euphorisch. Immer mehr Leute wollten einen gesunden Lifestyle ohne Promille ausprobieren. Doch die Franzosen kanzeln sie sofort snobistisch ab. «Enthaltsamkeit mag in Amerika populär sein, aber es ist die Anti-These von französischer Kultur», belehrt sie die Chefin. Der «Dry January» sei sogar auf Anordnung von Präsident Macron verboten worden, schiebt ein Kollege hinterher. Alkoholfrei trinken? Null prickelnd.

In der Realität sieht die Lage etwas anders aus: Dort zieht die Null-Prozent-Bewegung nicht nur immer grössere Kreise, tatsächlich ist es sogar eine französische Marke, die in dieser Szene für die meiste Aufmerksamkeit sorgt. Die Marke French Bloom wurde 2019 von dem französischen Model Constance Jablonski und der amerikanisch-französischen Guide-Michelin-Managerin Maggie Frerejean-Taittinger gegründet. Die beiden hatten sich in New York kennengelernt, beide interessierten sich für Wellness und gesunden Lifestyle und stellten immer wieder fest, dass der – zumindest in ihren Welten – gar nicht so einfach umzusetzen war. Bei Events, Partys, Dinners wurden immer Wein und Champagner gereicht; nicht erst als Maggie schwanger wurde, suchten sie vergeblich nach halbwegs passenden Alternativen.

«Wir wollten Gesundheit und Vergnügen miteinander verbinden.»Constance Jablonski

Mit Wasserglas anzustossen, ist nicht glamourös, Saft oder Limonade schmecken zu manchem Essen nur bedingt, ohne langstieliges Glas in der Hand gilt man sofort als Spassbremse. Das Gefühl kennen alle, die am Abend noch Auto fahren müssen, am nächsten Tag keinen Hangover gebrauchen können oder schlicht keinen Alkohol trinken. Und so albern einem das vorkommen mag – die psychologische Komponente spielt beim Feiern eine grosse Rolle. Zelebriert wird mit «besonderen» Getränken. Gingerale mag auch wie Gold schimmern und blubbern, gesellschaftlich hat es nicht das gleiche Prestige wie ein edler, also alkoholischer Tropfen.

«Wir wollten Gesundheit und Vergnügen miteinander verbinden», sagt Constance Jablonski über die Idee von French Bloom. Alkoholfreies «Bubbly», wie sie es nennen, aber so hochwertig, dass es in Geschmack und Prestige locker mit richtigem Sekt und Champagner mithalten könne. Dazu komplett biologisch, ohne Zuckerzusatz, ohne Konservierungsstoffe. «Das gab es damals auf dem Markt nicht», sagt Jablonski.

«Low & No Alcohol» im Trend

Das Timing hätte nicht besser sein können. Die grösste Trendforschungsagentur WGSN erwähnte «Low & No Alcohol» erstmals 2017 und sah die Bewegung dann vor allem bei jüngeren Zielgruppen, die mehr auf ihre Gesundheit achten, immer stärker werden. Mittlerweile sei «Low-No» längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, heisst es bei WGSN. Nachfrage und Angebot steigen ständig, deshalb auch die Tendenz zu Design- oder Luxusvarianten.

Gerade brachte der Schauspieler Tom Holland, bekennender Nicht-mehr-Trinker, das alkoholfreie Bier Bero heraus. Beim letzten Salone del Mobile in Mailand wurde der antialkoholische Apéritif Iessi literweise ausgeschenkt. French Bloom erweiterte sein Sortiment kürzlich um den exklusiven La Cuvée Vintage 2022, so etwas wie der Champagner unter den «Bubblys». Eine dramatisch dunkle Flasche, die ein bisschen an Dom Pérignon erinnert – für 115 Franken. Viel Geld für etwas, was in manchen Köpfen immer noch als «fake» rangiert.

LVMH erwirbt einen 30-Prozent-Anteil an French Bloom

So einfach, wie es klingt, ist das Null-Komma-Null-Prinzip allerdings nicht. Alkoholfreier Wein hat eher wenig mit jener sehr süssen Brause zu tun, die Eltern zu Silvester für ihre Kinder besorgen. Die Grundlage bildet tatsächlich gegorener Wein, dem anschliessend dann der Alkohol entzogen wird. Doch ohne das Ethanol sind die meisten Sorten quasi untrinkbar.

Deshalb zäumten sie bei French Bloom das Pferd von hinten auf: Alle Prozesse wurden dekonstruiert und nur darauf ausgerichtet, dem Wein hinterher den Alkohol zu entziehen, wie Jablonski erklärt. «Je mehr du vorher machst, desto weniger Make-up brauchst du hinterher.» Die Trauben werden im Languedoc nun etwa zwei Wochen früher geerntet, um den Säuregehalt zu erhöhen, je nach Cuvée reifen die Weine acht Monate in Eichenfässern, später wird ihnen in drei Durchgängen bei niedriger Temperatur der Alkohol entzogen. Am Ende brauchte es zwei Jahre Entwicklung und Aufwand, bis das Ergebnis stimmte. Im Herbst 2021 kamen die ersten Flaschen von Le Blanc und Le Rosé auf den Markt.

Das «Wall Street Journal» berichtete, der Umsatz von French Bloom habe sich bislang jedes Jahr verdoppelt, dieses Jahr peilten sie etwa 500 000 verkaufte Flaschen an. Mittlerweile ist die Marke in über dreissig Ländern vertreten, und während die beiden Gründerinnen glaubten, Amerika würde ihr mit Abstand grösster Markt werden, liegt Frankreich unterdessen nur knapp dahinter. Seit Herbst sind die Flaschen auch in der Schweiz erhältlich und werden bereits in Sterne-Restaurants wie dem «Cheval Blanc» in Basel ausgeschenkt.

Die meisten Schlagzeilen generierte allerdings eine Nachricht Anfang Oktober. LVMH beziehungsweise dessen Getränke-Division Moët Hennessy erwarb einen 30-Prozent-Anteil an French Bloom, was nicht nur ein klares Signal dafür ist, wie hoch das Potenzial von «Low-No» eingeschätzt wird, sondern dazu ein pikantes Detail birgt: Maggie Frerejean-Taittinger ist mit Rodolphe Frerejean-Taittinger verheiratet, der zu den Nachfahren des berühmten Champagnerhauses Taittinger gehört.

Sein Einstieg scheint demnach naheliegend, doch der Ehrenvorsitzende Pierre-Emmanuel Taittinger erklärte kürzlich vollmundig: «Alkohol ist Alkohol. Wenn wir dazu greifen, dann weil wir trinken wollen. Wenn Sie nicht beten wollen, gehen Sie nicht in die Kirche.» Entsprechend werde sein Haus nie alkoholfreien Champagner produzieren. Sein Neffe Rodolphe entschloss sich trotzdem, als CEO bei French Bloom einzusteigen – und holte statt seiner eigenen Familie nun ihren Konkurrent LVMH an Bord.

Die Guide-Michelin-Managerin Maggie Frerejean-Taittinger (links) und das Model Constance Jablonski (rechts) sind die Gründerinnen von French Bloom – der derzeit angesagtesten Marke unter den hochwertigen alkoholfreien Weinen.

Manche vergleichen den Strukturwandel mit dem von vor rund 25 Jahren, als vegetarische Gerichte die Restaurants eroberten. Das war ja, man erinnert sich dunkel, auch mal ein Unding, ein Gericht ohne Fisch oder Fleisch anzubieten. Heute ist das selbst in der Sterneküche normal und wird nicht nur von Vegetariern bestellt. Ähnlich verhält es sich nun mit alkoholfreien Drinks. «80 Prozent unserer Kunden sind sogenannte Flexi-Trinker», sagt Jablonski. «Wir dachten, wir würden vor allem Leute ansprechen, die nicht trinken dürfen, letztlich sind es vor allem solche, die mal nicht trinken wollen.»

Auch Umfragen zeigten, dass es nicht nur in Richtung «no», sondern bei vielen in Richtung «low» gehe. Sie wollen unter der Woche weniger Alkohol konsumieren oder nach ein, zwei Gläsern umsteigen – wenn der Geschmack mit Wein mithalten kann. French Bloom sei schon jetzt Marktführer im Premium-Segment, sagt Jablonski. Bei Tastings würde selbst mancher Spitzen-Sommelier nicht glauben, dass La Cuvée keinen Alkohol enthält. Weil der Geschmack komplex und intensiv, die Farbe genauso honiggolden daherkommt. Dafür merkt man spätestens am nächsten Tag den Unterschied: null Alkohol, null Kopfschmerzen.

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