Dienstag, Oktober 8

Es werden gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft befürchtet. Auch die Lieferketten der USA sind beeinträchtigt. Doch die Regierung will nicht eingreifen, noch nicht.

Wegen eines Arbeitskonflikts ist der Güterverkehr der zwei wichtigsten kanadischen Bahngesellschaften unterbrochen. Canada National Railway und Canadian Pacific Kansas City haben am Donnerstagmorgen rund 9300 Arbeiter ausgesperrt – das heisst, ihnen verboten, den Dienst anzutreten. Parallel dazu haben die Gewerkschaften einen 72-stündigen Streik angekündigt. Der Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern könnte schwerwiegende Folgen für die kanadische Wirtschaft haben und die Lieferketten in ganz Nordamerika beeinträchtigen, falls er in den nächsten Tagen nicht gelöst werden kann. Personenzüge, welche die Geleise der beiden Gesellschaften benutzen, sind vorderhand nur marginal betroffen.

Grosse Bedeutung der Bahn für die Wirtschaft

Die beiden Bahngesellschaften transportieren durchschnittlich Güter im Wert von umgerechnet 650 Millionen Franken pro Tag. Betroffen sind eine breite Palette von Produkten: Getreide, Fleisch, Düngemittel, Tierfutter, Holz und Kohle, aber auch Fertig- und Halbfertigprodukte für die amerikanische Industrie. Besonders betroffen ist die kanadische Landwirtschaft. Die Schweinemäster beispielsweise befürchten, dass ihnen das Futter ausgehen könnte. Die Getreideproduzenten können ihre gegenwärtige Ernte nicht verkaufen, solange sie diese nicht zu den Silos der Handelsunternehmen transportieren können.

Etwa die Hälfte der kanadischen Exporte wird über die Bahn ausgeführt. Die beiden Bahnunternehmen betreiben Strecken bis in die USA und sogar nach Mexiko. Canadian Pacific hat letztes Jahr die amerikanische Gesellschaft Kansas City Southern akquiriert. Zwar haben die Unternehmen erklärt, dass der Betrieb auf den ausländischen Strecken nicht beeinträchtigt werde, doch die Lieferungen aus Kanada werden zusammenbrechen. In normalen Zeiten kommen täglich rund 6500 Bahncontainer von Kanada in die USA, unter anderem auch für die USA bestimmte Transporte aus Asien und Europa, die über kanadische Häfen abgewickelt werden.

Die Arbeitsverträge mit den Gewerkschaften sind zu Beginn dieses Jahres ausgelaufen. Die Verhandlungen für neue Verträge sind bis jetzt ergebnislos verlaufen. Nun haben die Bahnunternehmen die Geduld verloren. Streitpunkte sind die Festlegung der Arbeitsschichten, die Ruhezeitregeln und die Entlöhnung. Die Gewerkschaften machen geltend, die Bahnunternehmen wollten die Anstellungsbedingungen verschlechtern und auf dem Buckel der Arbeiter weitere Rationalisierungsgewinne machen. Die Unternehmen sprechen von notwendigen Massnahmen, um die Bahnen konkurrenzfähig zu halten. Programme zur Effizienzsteigerung sind bereits seit einigen Jahren im Gange und haben die Arbeitsbedingungen verändert.

Ruf nach Vermittlung der Regierung

Zahlreiche Organisationen aus Landwirtschaft, Handel und Industrie hatten die beiden Seiten seit Tagen aufgefordert, die für Donnerstag angekündigte Aussperrung zu verhindern und einen Kompromiss zu suchen. Die kanadische und die amerikanische Handelskammer warnten vor potenziell verheerenden Auswirkungen des Arbeitskampfs für Kanadas Unternehmen und Familien, aber auch für die amerikanische Wirtschaft.

Die Wirtschaftsverbände forderten die kanadische Regierung auf, den Konflikt mit einem bindenden Schlichtungsverfahren zu lösen. Doch die Regierung hat diese Forderung bisher zurückgewiesen. Premierminister Justin Trudeau ist mit seinem Minderheitskabinett im Parlament auf die Stimmen der New Democratic Party angewiesen, welche unter anderem von Gewerkschaftern gegründet wurde. Die Gewerkschaften sind gegen ein solches Schlichtungsverfahren und verlangen weitere Verhandlungen. Sie argumentieren, dass sie in der Vergangenheit bei solchen Schlichtungen immer benachteiligt wurden.

Trotzdem scheint ein Eingreifen der Regierung unausweichlich, um den Konflikt zu beenden. Frühere Arbeitsniederlegungen in den Jahren 2015 und 2019 endeten durch Einflussnahme der Regierung nach zwei beziehungsweise acht Tagen. Derzeit ist es das erste Mal, dass beide grossen Bahnunternehmen gleichzeitig betroffen sind.

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