Mittwoch, April 30

Bis vor wenigen Wochen eilte der Konzern aus Peking von Erfolg zu Erfolg. Doch dann erschütterte ein tragischer Unfall das Unternehmen – und legte die Sicherheitsmängel in Chinas E-Auto-Branche schonungslos offen.

Das Gedränge an der Shanghai Auto Show, der weltgrössten Automesse, war immens. Doch bei einem Aussteller schoben sich in der vergangenen Woche aussergewöhnlich viele Menschen über den Messestand. Die Schlange der Besucher, die Zugang zum Stand von Xiaomi begehrten, war mehr als hundert Meter lang. Im dichten Gedränge waren die Sportwagen des E-Auto-Herstellers aus Peking kaum noch zu sehen.

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Die zumeist jungen Besucher berührten und bestaunten die in schrillen Farben lackierten Autos, Fotografen lichteten leicht bekleidete Models ab, die sich auf den Motorhauben räkelten. Xiaomi hat unter jungen Chinesinnen und Chinesen einen Hype entfacht.

Nur einer blieb dem Spektakel fern: der Chef und Gründer von Xiaomi, Lei Jun. Anders als im vergangenen Jahr liess sich Lei in diesem Jahr an der Automesse nicht blicken. Und das aus gutem Grund. Das Unternehmen ist in Erklärungsnot geraten. Am 29. März raste ein Fahrzeug des Modells SU 7 auf einer Autobahn im Osten Chinas in eine Leitplanke aus Beton.

Fahrzeugtüren liessen sich nicht öffnen

Das Auto ging in Flammen auf, die Insassen, drei Universitätsstudenten, starben. Der SU 7 wurde zum Zeitpunkt des Unfalls vom Fahrerassistenzsystem gesteuert. Die Fahrzeugtüren liessen sich nach der Kollision offenbar nicht öffnen.

Sechs Tage später stiess in der Provinz Guangdong im Süden Chinas ein SU 7 mit einem Elektroscooter zusammen. Auch diesmal ging das Auto in Flammen auf, zwei Menschen verloren ihr Leben. Xiaomi erklärte, das Fahrzeug sei zum Zeitpunkt des Unfalls manuell gelenkt worden. Ursache des fatalen Zusammenstosses sei eine «schwerwiegende Kompression und Deformierung» der Lithium-Ionen-Batterie des Scooters gewesen.

Beide Unfälle sind noch nicht abschliessend aufgeklärt. Doch auf einmal fragen sich Branchenexperten und Konsumenten, wie zuverlässig Fahrassistenzsysteme sind. Auch die Sicherheit der Batterien für E-Autos und deren Zulassungsverfahren werden zunehmend hinterfragt.

Xiaomi startete als Hersteller von Hausgeräten

Lei Jun gründete Xiaomi im Jahr 2010. Damals stellte die Firma noch Hausgeräte wie Wasserkocher, Luftbefeuchter und Reiskocher her. Ein Jahr später brachte das Unternehmen sein erstes Smartphone auf den Markt. Was folgte, war eine Erfolgsgeschichte, wie es sie wohl nur in China geben kann.

Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz des in Hongkong kotierten Unternehmens fast 42 Milliarden Dollar. Während des ersten Quartals des laufenden Jahres verkaufte kein Unternehmen mehr Handys in China als Xiaomi. Lei Jun hat es geschafft, den langjährigen Platzhirsch Huawei in den Schatten zu stellen.

10 Milliarden Dollar Investitionen für das Autogeschäft

Vor vier Jahren gab der Firmengründer schliesslich den Einstieg ins Automobilgeschäft bekannt – und stellte dafür 10 Milliarden Dollar an Investitionen bereit. Lei Jun, der nach dem Examen an der Universität Wuhan zunächst in einer Forschungseinrichtung des Luftfahrtministeriums arbeitete, versprach, das Projekt persönlich zu leiten. Damit verband er seinen Ruf und seine Reputation mit dem Erfolg oder Misserfolg des Autogeschäfts.

Im Frühjahr 2024 brachte Xiaomi seinen SU 7 auf den Markt, ein Sportwagen, der auffallend an den Porsche Taycan erinnert. Wie das Handy-Geschäft wurde auch das Automobilgeschäft ein durchschlagender Erfolg. Zwischen April und Dezember 2024 verkaufte Xiaomi knapp 137 000 Autos, doppelt so viele wie geplant. Fast zwei Drittel der Käufer hätten einen SU 7 bestellt, ohne das Auto je gesehen zu haben, prahlte Lei Jun noch vor wenigen Wochen.

Die Regierung erhöht den Druck

Doch mit den jüngsten Unfällen hat die glitzernde Fassade Kratzer bekommen. Bei der Qualität, bei den staatlichen Zulassungsverfahren für Batterien und Fahrerassistenzsystemen scheint es Defizite zu geben.

Am Rande der Schanghaier Automesse erklärte ein Branchenexperte, der anonym bleiben will, gegenüber der NZZ, dass Unfälle wie diejenigen bei Xiaomi, mutmasslich verursacht durch überhitzte Batterien oder mangelhafte Fahrerassistenzsysteme, in China keine Seltenheit seien. Bislang hätten die Behörden aber dafür gesorgt, dass sie nicht bekanntwürden.

Die Tatsache, dass über die Xiaomi-Unfälle in den chinesischen Medien jetzt breit habe berichtet werden dürfen, sei ein Indiz dafür, dass die Regierung den Druck auf die Hersteller erhöhen wolle, damit diese mehr für die Sicherheit der Fahrzeuge täten.

Mindestanforderungen erfüllt

Derzeit erfüllen die Hersteller bei der Qualität der Batterien die Mindestanforderungen der chinesischen Behörden. Diese werden allerdings dem gegenwärtigen Entwicklungsstand von Batterien für Elektroautos längst nicht mehr gerecht, wie ein Experte für Automobiltechnologie, der anonym bleiben möchte, gegenüber der NZZ erklärt. Mögliche Brände von Batterien, verursacht durch Kollisionen bei hoher Geschwindigkeit, seien im Rahmen der geltenden Bestimmungen zum Beispiel nicht berücksichtigt.

Batterien für Elektroautos können sich in Extremsituationen unkontrolliert erhitzen; der Vorgang ist dann kaum noch zu stoppen. Ausserdem sind Brände solcher Hochleistungsbatterien ungleich schwerer zu löschen als herkömmliche Feuer.

Dass Chinas Regierung die Bestimmungen für die Autoindustrie bislang eher locker fasste, hat einen einfachen Grund. Peking verfolgte die Absicht, den Sektor innert kürzester Zeit zu entwickeln, und wollte den Herstellern darum keine allzu hohen Kosten aufbürden.

Kompromisse bei der Sicherheit

Die Anbieter hätten Produkte im Rahmen bestimmter Preisobergrenzen entwickelt, sagt der Experte für Automobiltechnologie. Da müssten eben Kompromisse gemacht werden; teure Batterien mit sehr hohem Sicherheitsstandard machten die Autos unverkäuflich.

Derzeit versuchen sich die zahlreichen Hersteller in China mit immer preiswerteren E-Autos mit hoher Reichweite, entwickelt in immer kürzerer Zeit, gegenseitig die Kunden abzujagen. Den SU 7 von Xiaomi gibt es zum Beispiel schon ab umgerechnet 27 000 Dollar.

Immerhin hat die Regierung vor zwei Wochen die Bestimmungen für das autonome Fahren verschärft. Dass die gesamte Branche ein Sicherheitsproblem hat, zeigte sich auch an der Shanghai Auto Show. Kaum noch ein chinesischer Hersteller bewarb seine Fahrzeuge mit Funktionen zu selbstfahrenden Autos. Anders als im vergangenen Jahr spielte das Thema an der diesjährigen Automesse keine Rolle.

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