Benefit-Programme, die Social Freezing und In-vitro-Befruchtung beinhalten, sind auch in der Schweiz angekommen. Doch das hilft Frauen und Männern mit Kinderwunsch nur bedingt.
Kinderwunschkliniken befinden sich an ruhigen Adressen. Gut erreichbar, aber nicht mitten im Zentrum – Diskretion ist wichtig.
Die neue Zürcher Kinderwunschklinik Cada hat ihren Sitz an einer Ausfallstrasse Richtung Goldküste zwischen Schönheitskliniken, Family-Offices und Privatbanken. Es ist eine exklusive Lage mit Blick auf den Zürichsee. Und doch verirrt sich kaum jemand an die stark befahrene Strasse nur wenige Meter oberhalb der beliebten Seepromenade.
Früher war Cada in der Innenstadt zu Hause. «Das war viel zu nahe am Paradeplatz», sagt der CEO Michael Wendt.
Bei einer Schwangerschaft nachzuhelfen, ist auch heute noch ein Tabuthema. Und das, obwohl mittlerweile etwa jedes sechste Paar von Fruchtbarkeitsproblemen betroffen ist. Bei den gut Ausgebildeten mit hohen Löhnen ist das Problem besonders verbreitet. Und am Paradeplatz arbeiten viele Hochqualifizierte.
Was bei amerikanischen Techfirmen schon seit den 2010er Jahren gemacht wird, hält nun auch in der Schweiz Einzug: Immer mehr Unternehmen sprechen offen über Fruchtbarkeit, einige übernehmen sogar einen Teil der Kosten für In-vitro-Fertilisationen (IVF) oder das Einfrieren von Eizellen.
Wichtige Karriereschritte zwischen 30 und 40
Dass es heute immer mehr Menschen schwerfällt, Nachwuchs zu zeugen, hat unter anderem auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zu tun. Frauen haben heute beruflich mehr Möglichkeiten – und sie nutzen diese auch.
Gudrun Sander ist Wirtschaftsprofessorin an der Hochschule St. Gallen (HSG). Sie sagt: «Auch heute noch tragen Frauen den Hauptanteil an unbezahlter Betreuungsarbeit. Gleichzeitig finden wesentliche Karriereschritte im engen Zeitfenster zwischen 31 und 40 Jahren statt.» Daher würden viele Paare das Kinderkriegen auf später verschieben.
Denn sobald Kinder da sind, reduziert in 80 Prozent aller Fälle die Frau ihr Pensum. Teilzeitarbeit hat wiederum einen Einfluss auf die Aufstiegschancen im Unternehmen. Laut einer Studie, die Sander zusammen mit dem Pharmaunternehmen Merck erarbeitet hat, werden nur 5 Prozent der Teilzeitarbeitenden mit einem Pensum unter 80 Prozent befördert.
Das hat dazu geführt, dass Frauen heute deutlich älter sind, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Gleichzeitig nimmt die Fruchtbarkeit ab 35 Jahren drastisch ab.
Wenn ein Paar keine Kinder bekommen kann, liegt das allerdings keineswegs immer an der Frau. In 30 Prozent der Fälle liegt es am Mann, in weiteren 30 Prozent an der Frau, und bei etwa 20 Prozent liegt es an beiden.
Bis zu 12 000 Franken pro Versuch
Immer mehr Paare benötigen daher Hilfe beim Schwangerwerden. Aber das ist teuer, vor allem in der Schweiz. Zwar übernimmt die Grundversicherung der Krankenkasse die Kosten für drei Versuche mittels Insemination bei Frauen unter 40 Jahren. Dabei spritzt der Gynäkologe das Sperma während der fruchtbaren Tage in die Gebärmutter der Frau.
Kommt es zu keiner Schwangerschaft, bleibt nur noch die In-vitro-Fertilisation. Dabei werden der Frau Eizellen entnommen, die dann im Labor mit den Spermien des Mannes befruchtet werden. Nach fünf Tagen wird die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter eingepflanzt. Meist sind mehrere Versuche nötig, von denen jeder bis zu 12 000 Franken kostet.
Die Schweiz ist das einzige Land in Westeuropa, in dem Paare die Kosten für In-vitro-Fertilisationen vollständig selbst übernehmen müssen. Doch jetzt springen die Unternehmen in die Bresche. Zwar sind Firmen, die Fruchtbarkeitsbehandlungen als «fringe benefit» anbieten, in der Minderheit. «Aber die Manager auf den Führungsetagen sind sich des Problems zunehmend bewusst, nicht zuletzt aufgrund der besorgniserregend niedrigen Geburtenraten», sagt Michael Wendt.
So wurde Cada zum Beispiel schon von Firmen engagiert, um Webinare zum Thema Fruchtbarkeit abzuhalten. Wendt sagt: «Viele wissen wenig bis gar nichts über ihre Fruchtbarkeit. Meistens wird das erst ein Thema, wenn Paare versuchen, schwanger zu werden, und es nicht klappt.» Die Kinderwunschklinik plant, künftig verstärkt mit Firmen in der Schweiz zusammenzuarbeiten.
«Fertility benefit» als Lockmittel
Beim Pharmakonzern Roche läuft ein Pilotprojekt für Beratungsangebote zum Thema Reproduktion. Dazu gehören individuelle Coachings zu den Themen Familienplanung, unerfüllter Kinderwunsch und Einfrieren von Eizellen. Auch Novartis prüft derzeit die Einführung eines Mitarbeiterangebots zum Thema Fruchtbarkeit.
Die Unternehmensberatung McKinsey unterstützt Mitarbeiterinnen finanziell, wenn sie ihre Eizellen einfrieren lassen möchten.
Der Pharmakonzern Merck geht noch einen Schritt weiter und beteiligt sich neben der Konservierung von Eizellen auch an In-vitro-Behandlungen, Fruchtbarkeitstests und Hormontherapien. Das Angebot gilt für alle Ländergesellschaften und steht auch den Partnerinnen und Partnern der Mitarbeitenden offen. Der genaue Geldbetrag, den die Mitarbeiter erhalten, unterscheidet sich von Land zu Land. Es sei aber immer eine fünfstellige Maximalsumme, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit.
Ganz selbstlos ist die Unterstützung nicht. Als Herstellerin von Fruchtbarkeitsmedikamenten hat Merck ein Interesse daran, dass Behandlungen von Firmen unterstützt werden, und geht daher mit gutem Beispiel voran.
Christian Leufgen ist Head of People Recognition & Rewards bei Merck und somit für das Wohl der Mitarbeitenden zuständig. Er sagt: «Angebote wie der ‹fertility benefit› tragen natürlich auch zur Bindung der Mitarbeitenden und zur Ansprache neuer Fachkräfte bei.» In Deutschland seien seit der Einführung des Programms im Januar 2024 rund 300 Anträge auf Kostenerstattung eingegangen, in der Schweiz waren es 100.
Skepsis gegenüber Social Freezing
Amerikanische Tech-Firmen wie Apple, Google und Meta waren die Ersten, die sich finanziell am sogenannten Social Freezing beteiligten. Dabei entnehmen Embryonenmediziner den Frauen Eizellen und frieren diese ein, damit sie zu einem späteren Zeitpunkt befruchtet und eingepflanzt werden können. Auf diese Methode greifen vor allem Frauen zurück, die noch keinen Partner für die Familiengründung gefunden haben. Die Eizellen dürfen zehn Jahre aufbewahrt werden. Kostenpunkt: zirka 8000 Franken.
Die Wirtschaftsprofessorin Gudrun Sander sieht das kritisch: «Solche Programme sollten nicht nur Social Freezing umfassen, sondern vor allem auch Vorträge und Beratungen zum Thema Fruchtbarkeit.» Werde nur Social Freezing angeboten, suggeriere das, dass es kein Problem sei, auch mit 45 Jahren noch Mutter zu werden. Doch das stimme so nicht.
Die Chancen, schwanger zu werden, sind mit 45 Jahren deutlich geringer als noch mit 37 oder 38 Jahren. Zudem könnte der Eindruck entstehen, dass das Unternehmen ein Interesse daran hat, dass Frauen ihre Schwangerschaften hinauszögern und zuerst Karriere machen.
Mittlerweile haben die meisten amerikanischen Tech-Konzerne das Angebot erweitert. Diese breiter abgestützten Fertility-Benefit-Programme haben viele Vorteile. Sie helfen den Mitarbeitenden, die finanzielle Last zu stemmen, die ein solcher Prozess mit sich bringt. Und sie tragen zur Enttabuisierung des Themas Unfruchtbarkeit bei. Aber das Problem liegt tiefer.
«Was wirklich hälfe, wären flexiblere Karrierewege», sagt Gudrun Sander. Im mittleren Management könne eine Führungskraft gut auch 80 Prozent arbeiten. Zudem müssten Beförderungen vermehrt auch in den Zwanzigern und Vierzigern stattfinden können.
Laut der HSG-Studie wäre es zudem sinnvoll, wenn frischgebackene Eltern oder Mitarbeitende, die mit der Familienplanung beschäftigt sind, ihren Beschäftigungsgrad vorübergehend reduzieren oder einen Teil ihrer Verantwortung für eine bestimmte Zeit abgeben könnten.
Bis sich die Karrierewege flächendeckend flexibilisiert haben, wird es wohl noch eine Weile dauern. Der Kinderwunschklinik Cada wird die Arbeit so schnell nicht ausgehen. Dort freut man sich über das erste Cada-Baby, das im Juli zur Welt kommt.