Mittwoch, März 5

Wie gefährlich ist die Szene, die den Staat als illegitim ansieht?

Der Entführer wartet auf dem Parkplatz. Als sich ein 27-jähriger Mitarbeiter der Gemeinde Pfäffikon am Abend des 13. Februar in sein Auto setzt, steigt plötzlich ein älterer Mann in den Wagen. Er zwingt den jungen Schweizer mutmasslich mit Waffengewalt, loszufahren.

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Doch der Plan des Entführers misslingt: Bereits nach kurzer Zeit gelingt dem jungen Mann die Flucht. Kurz darauf alarmiert er die Polizei. Der Täter flüchtet in unbekannte Richtung.

Inzwischen, zwei Wochen später, hat die Polizei einen Tatverdächtigen verhaftet, wie sie am Dienstag mitteilte. Der 64-jährige Schweizer wurde am 28. Februar von der Polizei gestellt. Bei einer anschliessenden Hausdurchsuchung stellten die Ermittler mehrere Waffen und diverse Munition sicher. Über die Entführung und die Fahndung waren bislang nichts bekannt.

Recherchen der NZZ zeigen, was mutmasslich hinter der Entführung des Gemeindemitarbeiters steckt. Laut mehreren voneinander unabhängigen Quellen führt die Spur des 64-jährigen Schweizers in die Szene der Staatsverweigerer. In ein Milieu also, das den Staat als illegitim ansieht oder gar als private Firma. Staatsverweigerer zahlen keine Steuern, drucken Phantasieausweise und bombardieren Ämter mit pseudojuristischen Briefen.

Die Polizei bestätigt auf Anfrage, dass es sich beim Entführungsopfer um einen Mitarbeiter der Gemeinde handelt. Der Gemeindepräsident von Pfäffikon will sich nicht zu den Vorgängen äussern – und verweist auf die Kantonspolizei Zürich.

Der Entführer wiederum hatte einen Bezug zur Region. Denn der 64-jährige Schweizer wurde in der Gemeinde Hittnau verhaftet, wie die Polizei bestätigt. Hittnau ist ein Nachbardorf und liegt im Bezirk Pfäffikon.

Sollten die Ermittlungen im Entführungsfall von Pfäffikon den Verdacht bestätigen: Es wären eine neue Eskalationsstufe und der Beweis, dass sich ein Teil der Staatsverweigerer-Szene in der Schweiz radikalisiert und auch vor Gewalttaten nicht mehr zurückschreckt.

Zürcher Behörden wollen intensivere Beobachtung

Die Zürcher Sicherheitsbehörden haben sich schon im letzten Jahr alarmiert über die Entwicklung der Staatsverweigerer-Szene gezeigt. Die Kantonspolizei beantragte deshalb beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) die Eröffnung eines Prüfverfahrens gegen Staatsverweigerer, wie die «NZZ am Sonntag» berichtete.

In solchen Prüfverfahren wird geklärt, ob eine Gruppe auf die klassifizierte Beobachtungsliste des Nachrichtendienstes gesetzt werden soll. Dies würde eine nachrichtendienstliche Überwachung der betreffenden Staatsverweigerer nach sich ziehen. Der Geheimdienst verfügt über diverse Mittel, die er dabei einsetzen kann: von Observationen bis zum Beizug von Auskunftspersonen. Auf die Beobachtungsliste kommt eine Gruppe jedoch nur, wenn sie gewalttätig ist.

Über den Antrag der Kantonspolizei ist noch nicht befunden worden. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr sagt auf Anfrage, man habe beim Nachrichtendienst des Bundes eine intensive Beobachtung der Staatsverweigerer-Szene gefordert. «Wir werden nun aufgrund neuer Erkenntnisse nachdoppeln: Der Nachrichtendienst muss die Staatsverweigerer-Szene ernst nehmen und schnellstmöglich ein entsprechendes Prüfverfahren einleiten.»

Auch Dirk Baier von der Universität Zürich und vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hält eine Überwachung der Staatsverweigerer-Szene für notwendig: «Weil die Szene seit Jahren existiert und auch gefährlich ist.»

Der Wissenschafter ist wenig überrascht, dass im aktuellen Fall ein Gemeindemitarbeiter zum Ziel wurde. Gewalt und Drohungen von Staatsverweigerern träfen in der Regel die vollziehenden Beamten. Diese würden als Feindbild gelten.

Gerade wenn der Staat das geltende Recht durchsetzen wolle, könne es zum Einsatz von Gewalt kommen, sagt Baier. «Es eskaliert meist dann, wenn etwas vollzogen werden muss.» Entsprechend stelle sich im aktuellen Fall die Frage, ob es einen solchen auslösenden Moment gegeben habe.

Bei den meisten Staatsverweigerern gehe deren Widerstand zwar nicht über einen gewissen «Papier-Terror» hinaus, sagt Baier weiter. Sie widersetzten sich also behördlichen Weisungen mit Briefen, Einschreiben oder Schalterbesuchen. Allerdings sei die Gewaltbereitschaft bei den Staatsverweigerern rund zehnmal so hoch wie bei der Durchschnittsbevölkerung, wie Befragungen seines Instituts ergeben hätten.

Die Gefahr gehe im staatskritischen Milieu von Einzelpersonen aus, die sich in sozialen Netzwerken wie Telegram-Kanälen radikalisierten. Baier geht schweizweit von einer vierstelligen Zahl von Staatsverweigerern aus.

Im Entführungsfall von Pfäffikon hat die Staatsanwaltschaft inzwischen beim zuständigen Zwangsmassnahmengericht Untersuchungshaft für den 64-jährigen Schweizer beantragt. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.

Waffen, Munition und Drohungen

Sicher ist, dass ein Teil der Staatsverweigerer sich bewaffnet – und es auch schon zu Drohungen und Gewalttaten gekommen ist. Das zeigen Vorfälle aus der letzten Zeit. So verschickten vor einigen Wochen Staatsverweigerer einen Drohbrief an 250 Staatsanwälte, Gemeindepräsidenten und weitere Personen, die beim Staat angestellt sind. In einem erfundenen Haftbefehl warfen die Urheber ihnen Nötigung, Verletzung der Menschenrechte und weitere Delikte vor. Unterzeichnet waren die Dokumente mit roten Fingerabdrücken und den Worten «Fakten in die fiktive Welt einbringen», wie die Tamedia-Zeitungen berichteten.

Ein anderer Fall ereignete sich in der Zürichseegemeinde Horgen. Die Polizei führte dort im November 2023 eine Razzia bei einem Mann durch, der sich selbst als «Aufseher für Menschenrechte» bezeichnete. Er bezahlte weder Rechnungen, noch erschien er zu Anhörungen bei der Polizei. In seiner Wohnung beschlagnahmten die Einsatzkräfte Munition und mehrere Schusswaffen, unter anderem Pistolen und eine Schrotflinte.

Bei der Hausdurchsuchung fragte der Mann die Polizisten, ob sie bewaffnet seien und er sich ebenfalls bewaffnen solle, damit man auf Augenhöhe sei. Das geht aus einem Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts hervor, das sich erst kürzlich mit dem Fall beschäftigen musste, weil der Mann seine Waffen zurückhaben wollte.

Der Mann war zuvor immer wieder mit den Behörden im Konflikt. Als die Polizei ihn zu Hause aufsuchte, weigerte er sich, mit ihnen zu sprechen. Er gab zu Protokoll, dass man keinen Termin mit ihm vereinbart habe. Man solle «zu einem ihm genehmen Termin vorbeikommen». Im Übrigen müsse man auch seine allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptieren.

Bereits im Februar 2023 war die Polizei bei ihm, um eine Geländeräumung durchzusetzen. Der Staatsverweigerer versuchte, die Aktion zu stören. Und im März 2023 hatte er dem zuständigen Amt geschrieben, dass eine Ordnungsbusse gegen ihn «nicht nach den kaufmännischen Regeln» erstellt worden sei. Er habe keinerlei Verträge mit der ausstellenden Behörde. Es sei ihm daher nicht möglich, auf das Angebot einzutreten. Die Busse schickte er zurück.

Im Monat darauf wehrte er sich am Schalter der Gemeindepolizei gegen einen Zahlungsbefehl. Er könne diesen nicht annehmen, weil sein Name falsch geschrieben sei: Es müsse «Vorname, Nachname» anstatt «Nachname, Vorname» heissen.

Ein andermal erklärte er, dass er eine Busse nicht bezahle, solange seine Anschrift nicht korrekterweise mit «Mensch» erfolge – denn seine «Person» existiere nicht mehr.

Das Zürcher Verwaltungsgericht hielt in seinem Urteil fest, der Mann habe eine «klar radikale Einstellung zum Ausdruck gebracht».

Auch im Entführungsfall von Pfäffikon drehen sich die Ermittlungen nun um die Beweggründe des Tatverdächtigen. In ihrem Communiqué schreibt die Kantonspolizei Zürich, der Hintergrund der Tat und das Motiv des Mannes seien noch nicht restlos geklärt. Die Ermittlungen dauern an.

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