Nach Jahren des Krieges und der Isolation liegt Syriens Wirtschaft am Boden. Jetzt sorgt der Entscheid des US-Präsidenten, die Sanktionen aufzuheben, für Hoffnung – auch in der Handelsmetropole Aleppo.

Das Itel P54 ist alles andere als ein Luxustelefon. Das Billiggerät aus China ist für weniger als hundert Dollar zu haben und in Europa nahezu unbekannt. Aber in Mamun Hatips neu eröffnetem Mobiltelefon-Shop in Aleppo ist es ein Renner. «Wir haben heute schon 400 Stück verkauft», sagt der Unternehmer, während sich um ihn herum die Kunden drängen. «Wir haben auch ein paar iPhones auf Lager. Aber die Leute können sich das kaum leisten.»

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Hatip hat sein Geschäft in der nordsyrischen Metropole an diesem Tag erst eröffnet. Zur Feier des Tages bringen Angestellte Tabletts voller Süssgetränke. Auf der Strasse spielt ein DJ Techno-Musik. Es gebe Grund zum Feiern, sagt der gelernte Pharmazeut, der 2012 in die Türkei geflohen war und dort einen Versand für Elektrogeräte betrieb. «Ich bin zurück in meiner Heimat. Und Trump hat endlich die Sanktionen aufgehoben.»

Als der amerikanische Präsident vergangene Woche ankündigte, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben, löste das in dem kaputten Land Jubelszenen aus. Tausende gingen auf die Strassen und feierten. In Damaskus flimmerten Bilder von Donald Trumps historischem Treffen mit dem neuen syrischen Präsidenten Ahmed al-Sharaa über die Bildschirme. «Für uns ist das ein Neuanfang», sagt Hatip.

Sogar Banküberweisungen waren verboten

Syriens Wirtschaft liegt nach Jahren der Sanktionen am Boden. Das Land ist seit 1979 mit Strafmassnahmen belegt. Ursprünglich richteten sie sich gegen den im Jahr 2000 verstorbenen Diktator Hafez al-Asad. Unter dessen Sohn Bashar wurden sie weiter verschärft. Als dieser in den Jahren nach 2011 einen Volksaufstand brutal zusammenschiessen liess, wurde Syrien komplett von der Aussenwelt abgeschnitten. Nicht einmal Banküberweisungen waren mehr erlaubt.

Inzwischen ist Asad gestürzt, und in Damaskus herrschen die einstigen Islamisten-Rebellen der Hayat Tahrir al-Sham (HTS). Der neue Präsident Sharaa will Syrien öffnen und die kaputte Wirtschaft wieder aufrichten. Nun ist ihm ein erster Schritt gelungen. Seither atmen die Syrer auf – auch wenn noch unklar ist, wann die Sanktionen tatsächlich eingestellt werden. «Wenigstens schöpfen wir Hoffnung», sagt Mohammed Said Sheik al-Kar, der Chef der Handelskammer in Aleppo.

Der Grosshändler sitzt in einem holzgetäferten Raum, umgeben von weiteren Wirtschaftsführern aus Syriens zweitgrösster Stadt. Aleppo hat unter den Sanktionen besonders gelitten. Die 2-Millionen-Metropole unweit der türkischen Grenze gilt als wirtschaftliches Herz des Landes. «Aleppo war schon immer eine Handels- und Industriestadt», sagt Kar. «Unsere Handelskammer ist daher die älteste des ganzen Nahen Ostens. Sie wurde 1601 gegründet.»

Bereits im Mittelalter war Aleppo ein Umschlagplatz für Waren auf dem Weg von Asien nach Europa. Später, unter den Osmanen, galt die Stadt als zweitwichtigste Wirtschaftsmetropole nach Istanbul. Selbst in den finsteren Jahren unter den Asads, die Syrien erst mit ihrem Staatssozialismus ruinierten und später durch Krieg und Ausbeutung komplett zerstörten, arbeiteten die Unternehmer weiter. «Wir haben den Geschäftssinn im Blut», sagt Kar. In ein paar Jahren werde Aleppo wieder aufblühen, ist er überzeugt.

«Unter Asad wurden wir regelrecht ausgeraubt»

Bis dahin ist es ein weiter Weg. Die Stadt befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Zwischen 2012 und 2016 lieferten sich Asads Armee und Rebellen hier eine blutige Schlacht, die weite Teile der Altstadt in Trümmer legte. Bis heute liegen ganze Strassenzüge in Schutt. Aber auch dort, wo keine Kämpfe tobten, herrscht Tristesse. Die prachtvollen Gründerzeitbauten verfallen, nachts versinkt die Stadt wegen Strommangels in Dunkelheit.

Trotzdem haben in der Industriezone Sheik Najjar nördlich der Stadt Hunderte Firmen ihren Betrieb wieder aufgenommen. Vor allem die Textilindustrie, für die Aleppo früher berühmt war, blüht auf. «Allen Problemen zum Trotz ist die Lage besser als früher», sagt Ahmed al-Sawas, der einen Veredlungsbetrieb für Stoffe betreibt und im Unterhemd in seinem verrauchten Büro sitzt. «Unter Asad wurden wir regelrecht ausgeraubt.»

Links: Mohammed Said Sheik al-Kar, Chef der Handelskammer von Aleppo. Rechts: Ahmed al-Sawas, Textilunternehmer aus Aleppo.

Der gestürzte Diktator und seine korrupte Clique saugten die Unternehmer bis aufs Blut aus. Die Beamten der Regierung trieben Phantasiesteuern ein und beschlagnahmten nach Gutdünken Betriebe. Zudem verboten sie den Handel mit Dollars. Die Unternehmer, die auch in den dunkelsten Zeiten ins Ausland verkauften, wickelten ihre Geschäfte über windige Mittelsmänner ab. «Es war, als ob wir mit Drogen handeln würden», erinnert sich Sawas. Wer erwischt wurde, landete für bis zu sieben Jahre im Gefängnis.

Sein Geschäftspartner Ziad Amir, der ein paar Strassen weiter eine Weberei betreibt, versteckte seinen Betrieb aus Angst vor dem Geheimdienst sogar in einem halbfertigen Rohbau. «Wenn Asads Leute kamen, fuhren wir die Maschinen herunter und schalteten die Lichter aus. Wir hatten immer Angst.» Seine Firma hielt er trotz Krieg und Chaos aufrecht. «Hätte ich sie zugemacht, dann hätte ich meine Anteile am Markt verloren», sagt er in den Lärm der chinesischen Webmaschinen hinein.

Immer mehr Exilanten kehren zurück

Die neue Regierung hat viele der Hürden aus der Asad-Zeit abgebaut. «Sie sind nicht korrupt und machen gute Arbeit», sagt Amir. Trotzdem liegt immer noch vieles im Argen. Die Unternehmer klagen über unregelmässigen Strom, hohe Benzinpreise und fehlende Ersatzteile. Wegen der Sanktionen können sie ihre Geschäfte immer noch nicht über Banken abwickeln. Aber nach den schlimmen Erfahrungen unter Asad liegt die Messlatte tief. «Uns reicht es, wenn uns die Regierung einfach in Ruhe lässt», sagt Amir.

Die Aufbruchsstimmung lockt inzwischen auch Exilanten zurück in die Heimat. Faisal Fakir Waisi ist ein Getreidehändler, der im türkischen Diyarbakir eine Mühle betreibt und Mehl in den Irak und nach Libyen verkauft. Jetzt will er seinen Betrieb nach Aleppo verlegen. «Als Trump ankündigte, die Sanktionen aufzuheben, wusste ich: Das ist der richtige Zeitpunkt.» Der 37-Jährige empfängt in einem schicken Büro in Azaz, einer seit Jahren von protürkischen Rebellengruppen kontrollierten Provinzstadt nördlich von Aleppo. «Ich will mithelfen, mein Land wieder aufzubauen», sagt er.

Immer mehr Auslandsyrer denken wie er. Viele von ihnen haben Karriere gemacht und eigene Firmen aufgebaut. «Wir haben im Ausland viel gelernt und uns auf dem Weltmarkt bewiesen», sagt Waisi. «Jetzt können wir dieses Wissen in unsere Heimat bringen.»

Links: Faisal Fakir Waisi, Getreidehändler. Rechts: Ziad Amir, Eigentümer einer Weberei in Aleppo.

Der Unternehmer sieht aber noch andere Gründe, die für Syrien als Produktionsstandort sprechen: «Die Leute arbeiten hart. Zudem sind die Löhne tiefer als in der Türkei. In Diyarbakir kostet mich eine Tonne Mehl 18 Dollar, in Syrien nur 8.»

Die Euphorie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Syrern eine Mammutaufgabe bevorsteht. Die Infrastruktur ist völlig zerstört. Experten schätzen die Kosten des Wiederaufbaus auf bis zu eine Billion Dollar. Zudem kann Trump manche Sanktionen nicht im Alleingang annullieren, sondern muss dafür die Erlaubnis des Kongresses einholen.

Keine Arbeit, kein Geld

Nach wie vor herrschen in Syrien Chaos und Instabilität. Im Süden hat Israels Armee Teile des Landes besetzt und fliegt Luftangriffe auf Armeestellungen. Dazu kommt die Präsenz bewaffneter Gruppen und Milizen. Vergangene Woche kam es in Aleppo zu Gefechten zwischen Sicherheitskräften und Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat. Blutige Auseinandersetzungen erschüttern das Land, wie im April, als es in den von der Minderheit der Drusen bewohnten Gebieten zu Kämpfen und Tötungen von Zivilisten kam.

Ausländische Investoren meiden Syrien nach wie vor. Zudem überschwemmen türkische Billigprodukte das Land, seit die neue Regierung die Importbeschränkungen aufgehoben hat. Im Suk von Aleppo ist die Stimmung bei den Händlern deshalb gedrückt. Die Geschäfte liefen schlecht, brummt ein Stoffverkäufer in dem schwer beschädigten Markt. In einer Moschee ein paar Strassen weiter klagt der Muezzin Hussein Melki sein Leid: «Es gibt keine Arbeit, kein Geld», sagt er. «Die Leute können sich kaum mehr Essen leisten.»

Seine Cousins, die eine kleine Näherei betreiben, stünden wegen der Billigkonkurrenz aus dem Ausland kurz vor dem Bankrott, erklärt Melki, der zum Gebet ruft. Das Ende der Sanktionen lässt ihn zwar hoffen.

Die neue Regierung müsse jedoch mehr für die einfachen Leute tun. «Es ist gut, dass der Präsident unterwegs ist und die Mächtigen dieser Welt trifft. Aber er sollte auch herkommen und sich um uns kümmern. Wir können nicht mehr lange durchhalten.»

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Kriegsfotograf Dominic Nahr und Beirut-Korrespondent Daniel Böhm reisten nach dem Fall Asads durch Syrien, und trafen dort auf Bürger, Häftlinge und Minderheiten. Sie erzählen von ihren Reisen und geben eine Einschätzung zur Zukunft Syriens.
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