Am 18. April jährt sich der Todestag des bekanntesten Wissenschafters der Neuzeit zum 70. Mal. Auf den Spuren eines Genies im kleinsten Museum von Zürich.
Er kannte Marie Curie, Charlie Chaplin, Winston Churchill, das belgische Königspaar und den ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion. Er war nicht nur ein genialer Physiker, der die Relativitätstheorie begründete und damit zum berühmtesten Alumnus der ETH Zürich avancierte. Er war auch ein geselliger Mensch, der es verstand, andere mit seinem Charme zu umgarnen. Er konnte aber auch schroff und abweisend sein, wie Briefe zeigen.
Welch wichtige Rolle der schriftliche Austausch in seinem Leben spielte, dokumentiert ein Mini-Museum in einem alten Spind im Hauptgebäude der ETH Zürich. Dort erfahren Besucher, dass sein Nachlass 14 500 Briefe umfasst, auch im ETH-Archiv lagern solche. Darin legt er physikalische Theorien dar, schreibt über seine Gefühle und Affären. Er korrespondiert mit Freunden – und Frauen: Albert Einstein.
Der erste erhaltene Liebesbrief ging 1896 an eine junge Aarauerin: «Geliebtes Schätzchen! Vielen vielen Dank Schatzerl für Ihr herziges Brieferl, das mich unendlich beglückt hat.» Was machte Einstein in Aarau? Der 17-Jährige wohnte bei der Familie des Mädchens, während er die dortige Kantonsschule besuchte. Einstein, 1879 in Ulm in eine jüdische Familie geboren, hätte eigentlich das Münchner Gymnasium abschliessen sollen. Doch dort fühlte er sich wegen des militärischen Drills unwohl. Obwohl zu jung, versuchte er die Aufnahmeprüfung am Polytechnikum in Zürich, der späteren ETH. Er fiel durch und empfand dies als «voll berechtigt». Man empfahl ihm, die Matur an der als liberal geltenden Kantonsschule Aarau nachzuholen.
Die demokratische Schweiz begeisterte ihn. Einstein war entschlossen, an der ETH Zürich zu studieren, was ihm mit der Matur in der Tasche gelang. Es sollten entscheidende Jahre werden. Damals ahnte noch niemand, dass der junge Mann mit Kraushaar und Schnauz dereinst zu den bekanntesten Wissenschaftern der Neuzeit aufsteigen würde. Dass er mit Vorträgen um die Welt touren, den Nobelpreis und massenweise Fanpost erhalten würde.
Hype in China
Diesen Einstein-Kult gibt es bis heute, auch an der ETH: Ein Audio-Rundgang, der via App zugänglich ist, führt auf den Spuren des Physikers durch das Hauptgebäude. Vor der ETH-Bibliothek gibt es einen Touchscreen, auf dem man durch das Leben Einsteins blättern und die neu erworbenen Kenntnisse in einem Quiz testen kann.
Nach der Matur studierte Einstein von 1896 bis 1900 am Polytechnikum Physik. Dort lernte er im selben Studiengang Mileva Marić kennen, die aus Österreich-Ungarn stammte. Sie sollte seine erste Ehefrau werden.
Auf dem Audio-Rundgang durch das ETH-Hauptgebäude trifft man auf mehrere Fotografien von ihr und Einstein. Die Stimme führt einen zum multimedial eingerichteten Holzspind, der unbekannte Details aus Einsteins Leben offenbart. Der Schrank ist der Höhepunkt der Tour, obwohl er nie Albert Einstein gehörte. Roland Jaggi ist Leiter Campus Experience an der ETH. Er sagt, irgendwo im Hauptgebäude dürfte Einstein einen Spind gehabt haben. Und die unter Denkmalschutz stehenden Schränke von 1924 eigneten sich für ein Mini-Museum. Wegen Brandschutz seien sie eigentlich nicht nutzbar. Aber für den «Einstein-Altar» habe die ETH eine Ausnahmebewilligung eingeholt.
Das hat sich gelohnt. Touristen warten schon frühmorgens in einer Reihe, bis sie dran sind, ein Selfie vor dem Spind zu schiessen. Der Schrank ist das wohl kleinste Museum der Stadt. Obwohl 2018 eröffnet, ist es bei Zürchern kaum bekannt. Im asiatischen Raum hat es jedoch einen touristischen Hype ausgelöst. Das soziale Netzwerk Little Red Book aus China pries den «Einstein Locker» als wichtige Sehenswürdigkeit an. Touristen aus Fernost sagten dem ETH-Magazin «Life», der Spind sei ein absolutes «Must-see», wenn man durch Europa reise.
Roland Jaggi betont, dass das Interesse gross sei und bei Reisenden aus Asien laufend zunehme. Seit November zählt die ETH, wie oft der Spind geöffnet wird: 450 Mal pro Monat, das heisst fünfzehnmal täglich.
Fünfzehnmal täglich also ist im Stockwerk F Geigenmusik von Mozart zu hören, einem der liebsten Komponisten Einsteins. Wer den Spind öffnet, wird Zeuge davon, dass der spätere Physiker ab seinem fünften Lebensjahr leidenschaftlich Violine spielte.
Zu entdecken gibt es auch ein Foto von bestrumpften Damenbeinen. Roland Jaggi erklärt, dass das Bild einen Querverweis auf Einsteins nicht immer einfache Liaisons mit Frauen darstelle. Ein umfangreicher Briefwechsel zeugt von der Beziehung zu Mileva Marić – von einer grossen Liebe, die mit der Zeit erkaltete. Andere Briefe zeigen, dass Einstein während der Ehe eine Affäre mit seiner Cousine und späteren zweiten Ehefrau begann, Elsa Löwenthal.
Spaziergänge auf dem «Ütliberg»
Doch zurück zu Mileva Marić und Albert Einstein ans damalige Polytechnikum. Die beiden lernten gemeinsam und spazierten auf dem Üetliberg. Sie schrieb ihm 1899: «Wenn ich wieder in Zürich bin, dann steigen wir gleich einmal auf den Ütliberg. Und dann fangen wir gleich mit Helmholtz’ elektromagnetischer Lichttheorie an.» Einstein wohnte in Studentenzimmern beim Hottingerplatz, beim Römerhof – und quartierte sich bei Mileva Marić an der Plattenstrasse ein.
Sein Lieblingscafé in Zürich war das mondäne «Metropol» an der Fraumünsterstrasse. Nicht nur dort rauchte er Pfeife. Rauchen war Teil seines Lebens, eine Pfeife im Spind erinnert daran. Sie hing in seinem Mundwinkel beim Arbeiten und sogar beim Baden, trotz dem Verbot seiner Ärzte. Dafür lebte Einstein abstinent. Im Jahr 1901 wurde der unterdessen diplomierte Physiker Schweizer Staatsbürger. Positiv vermerkte der Zürcher Stadtpolizist, der Einsteins Angaben für die Einbürgerung prüfte, dass er keinen Alkohol trinke.
Nach mehreren erfolglosen Bewerbungen findet Einstein 1902 eine Stelle auf dem Patentamt in Bern. Er bezeichnet sich als «ehrwürdigen eidgenössischen Tintenscheisser». 1903 heiratet er Mileva Marić in Bern. Zuvor bringt sie in ihrem Herkunftsort Novi Sad das Mädchen Lieserl zur Welt. Einstein sollte das Kind nie sehen. Sie geben es weg und verschweigen seine Existenz.
1904 wird der Sohn Hans Albert geboren, 1910 der Sohn Eduard. Über Einstein als Vater schreibt Mileva Marić: «Mein Mann verbringt seine freie Zeit zu Hause vielfach nur mit dem Buben spielend.» 1909 wird er als Physikprofessor an die Universität Zürich berufen, wo er bei den Studenten bald äusserst beliebt ist. Die Familie zieht nach Fluntern. 1911 folgt der Ruf nach Prag, wo sich Einstein aber nicht wohlfühlt. 1912 kehrt er nach Zürich zurück, er wird an der ETH zum ersten Professor für theoretische Physik gewählt. Insgesamt lebt er acht Jahre in Zürich.
Verzicht «auf alle persönlichen Beziehungen»
1914 übersiedelt Einstein nach Berlin. Es folgt die Trennung von Mileva Marić. Als «letzte Chance» lässt er seiner Frau Bedingungen zukommen, unter denen er wieder bereit sei, mit ihr zusammenzuleben, wie das Buch «Das verschmähte Genie» zeigt: «A) Du sorgst dafür 1.) dass meine Kleider und Wäsche ordentlich in Stand gehalten werden. 2.) dass ich die drei Mahlzeiten im Zimmer ordnungsgemäss vorgesetzt bekomme. (. . .) B) Du verzichtest auf alle persönlichen Beziehungen zu mir, soweit deren Aufrechterhaltung aus gesellschaftlichen Gründen nicht unbedingt geboten ist.» Auf diese erniedrigenden Forderungen geht Mileva Marić nicht ein. Die Ehe wird 1919 am Bezirksgericht Zürich aufgelöst.
Im selben Jahr avanciert Einstein zum Weltstar. Es ist das Jahr, in dem seine allgemeine Relativitätstheorie bestätigt wird. 1922 erhält er den Nobelpreis.
Der Spind an der ETH zeigt neben dem Pfeifenrauchen weitere Macken von Einstein, etwa, dass er nie Socken trug. Er «verdeckte diesen Zivilisationsmangel» durch das Tragen von Stiefeln. 1921 begibt er sich sockenlos zum Empfang des amerikanischen Präsidenten Warren G. Harding im Weissen Haus.
Zudem kann man Einsteins politische Einstellung hören: Öffnen die Besucher eine Schublade, erscheint ein Plattenspieler mit dem 1932 aufgenommenen Glaubensbekenntnis für die deutsche Liga der Menschenrechte, der neben Einstein etwa auch der Schriftsteller Kurt Tucholsky angehörte.
Die Vereinigung setzte sich für die Rechte des Bürgers ein und leistete Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Letztere zwangen die Liga 1933 zur Auflösung. In dem Glaubensbekenntnis verdeutlicht Einstein seine Lebensphilosophie. Er spricht sich für das Streben nach Wahrheit und Menschlichkeit aus. «Ich bin leidenschaftlicher Pazifist und Antimilitarist und lehne jeden Nationalismus ab. Ich bekenne mich zum Ideal der Demokratie.»
Zum Zeitpunkt der Machtergreifung Hitlers 1933 hält sich Einstein in Kalifornien auf. Sein Geld auf deutschen Konten wird von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, auch sein Sommerhaus in Caputh bei Berlin wird konfisziert. Die Schweizer Behörden weigern sich, ihrem von den Nazis enteigneten Bürger beizustehen. Später wird Einstein festhalten: «Ich habe dieses Land im gleichen Mass gern, als es mich nicht gern hat.»
Albert Einstein bleibt in Amerika und wird Amerikaner. Er stirbt am 18. April 1955 in der Universitätsstadt Princeton. In seinem Glaubensbekenntnis sagt er, dass das Schönste, was der Mensch erleben könne, das Geheimnisvolle sei. Mit diesem Spind ist es der ETH gelungen, einige kleine Geheimnisse erlebbar zu machen.
Albert Einstein und die ETH Zürich, App-Tour. Das ETH-Hauptgebäude ist von Karfreitag bis Ostermontag geschlossen. Sonst gelten folgende Öffnungszeiten: wochentags von 6 bis 22 Uhr, am Wochenende von 8 bis 17 Uhr.
Verwendete Literatur: Alexis Schwarzenbach. Das verschmähte Genie: Albert Einstein und die Schweiz. München 2005.
Walter Isaacson: Einstein. Die Biografie. München 2024.